Stefan Schweizer: Anthropologie der Romantik. Körper, Seele und Geist. Anthropologische Gottes-, Welt- und Menschenbilder der wissenschaftlichen Romantik, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008, 788 S., ISBN 978-3-506-76509-3, EUR 99,00
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Schweizers Gegenstand, "die Anthropologie der Romantik im Zeitraum von 1800 bis 1840", die er in offenkundigem Anschluss an Manfred Engel [1] "unter literatur- und kulturwissenschaftlichen Vorzeichen" betrachtet (15), ist zweifellos relevant - keineswegs nur für die Interpretation romantischer Literatur, der er in erster Linie zuarbeiten will. Schließlich kann eine Betrachtung des frühen 19. Jahrhunderts auf Kenntnis des zeitgenössischen Menschenbilds ebenso wenig verzichten wie die des frühen 20. Jahrhunderts auf Wissen um die Traditionslinien und Spezifika neoromantischer Strömungen dieser Zeit. Auch zahlreiche Historiker werden daher mit Interesse zu Schweizers Band greifen.
Nicht zuletzt aber liefert er einen genuinen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte. Schließlich hat die erneute Gewichtsverschiebung von der Physik als Leitdisziplin unter den Naturwissenschaften hin zu den Biowissenschaften in den letzten Jahrzehnten ebenso zu einem neuen Blick auf Wissenschaftsverständnis und -praxis der Romantik geführt wie das neue Aufblühen ganzheitlicher und organizistischer Vorstellungen. Die von Schweizer behandelten Autoren sind daher heute keine Unbekannten mehr. Was ihn von seinen Vorgängern unterscheidet, ist allerdings der Anspruch, den Rahmen der untersuchten Forschungen weiter zu spannen und einen umfassenden Überblick über das Feld romantischer Lehren vom Menschen zu geben. Schließlich bildete die Anthropologie dieser Epoche nach heutigen Maßstäben einen Querschnitt zumindest auch aus Philosophie, Psychologie, Soziologie, Biologie, Medizin - viele der von Schweizer betrachteten Autoren waren auch als Ärzte tätig -, Religionswissenschaft und Theologie. Das illustriert die zentrale Bedeutung des Themas, aber auch die Schwierigkeit, es - ganz abgesehen von seiner historischen Einordnung - mit gleichmäßiger Kompetenz zu bearbeiten. Fast zwangsläufig muss Schweizer manche in diese ehrgeizige Unternehmung gesetzte Hoffnung enttäuschen.
Sechs Autoren - Jakob Friedrich Fries, Johann Christian August Heinroth, Carl Gustav Carus, Gotthilf Heinrich von Schubert, Johann Michael Leupoldt und Joseph Ennemoser - unterzieht Schweizer einer eingehenden Lektüre in der Regel eines einzelnen Hauptwerks. Dies unternimmt er sehr gründlich und spürt mit philologischer Akuratesse Sprachformen und Semantiken auf. Dabei orientiert er sich an der Terminologie Luhmanns, auf den er sich auch methodisch beruft. Bei der Lektüre drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass ein stärker systematisch zusammenfassendes Vorgehen erhellender, zumindest aber ökonomischer gewesen wäre als dasjenige, das zu jeweils etwa hundertseitigen Kapiteln führt, in denen die Quellentexte fast Seite für Seite durchgegangen werden. Selbst der Schlussteil resümiert wieder getrennt die Lehre der einzelnen Autoren, statt sich etwa durch zusammenhängende Betrachtung einzelner Motive der Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden - und damit auch der Einheitlichkeit des Gegenstands - stärker anzunähern.
Etwas beckmesserisch könnte man anmerken, dass so der Titel des Buchs, der ja impliziert, es habe überhaupt eine "Anthropologie der Romantik" gegeben und nicht viele Anthropologien in der Romantik, in der Schwebe bleibe. In diese Richtung weist auch, dass Schweizer die Auswahl seiner Autoren nicht näher begründet, auch nicht in einer Unterscheidung zwischen den sechs sehr eingehend behandelten und den sieben anderen, deren Werk er auf jeweils ein bis drei Seiten zusammenfasst. Andere so wichtige Autoren wie "der berühmte Naturphilosoph und Anthropologe" Lorenz Oken, von Schuberts "unerbittlicher Gegner" (432), müssen froh sein, wenn sie überhaupt beiläufig erwähnt werden. Demgegenüber ist positiv hervorzuheben, dass Jakob Friedrich Fries sogar zu den ausführlich behandelten Autoren gehört, obwohl seine kantianische Lehre, wie Schweizer bewusst ist, in vieler Hinsicht der Aufklärung näher steht als der Romantik. Seine Aufnahme in den "Kanon" des Buchs gibt der Darstellung der zeitgenössischen Theorien aber erhebliche Tiefenschärfe. Gleichzeitig wird bei der Behandlung Fries' allerdings auch deutlich, wie der Romantikbegriff Schweizers zwischen einer inhaltlichen Füllung und einer bloß chronologischen Umrahmung changiert.
Überhaupt wünscht man sich häufig eine klarere Trennung zwischen Quellen- und analytischen Begriffen. Das gilt etwa für das Verständnis von "Seele" und "Geist", obwohl deren Verhältnis das zentrale Ordnungskriterium des Buchs darstellt. Dort nämlich scheidet Schweizer eine Gruppe von Anthropologen, die einen "Dualismus" von Körper und den Geist umfassender Seele behaupten, von einer, die den Geist von der Seele löst und so zu einer Trias gelangt. Den Unterschieden zwischen diesen Auffassungen spürt der Autor in den Quellentexten sehr genau nach, verwendet die Begriffe daneben aber eben auch analytisch, ohne ihre Bedeutung dafür näher zu bestimmen. Ähnliches gilt auch für sein Wissenschaftsverständnis, wenn Schweizer etwa über Schubert urteilt, dass er "nicht eben selten die wissenschaftlichen Mängel durch literarisch anmutende Argumentationsverfahren und -strategien zu kaschieren und kompensieren" versuche (511). Nun entspricht - unter den vorgestellten Autoren nicht nur - Schuberts Wissenschaftsverständnis nicht heutigen Maßstäben und fand er auch unter Zeitgenossen grundsätzliche Kritik; der Vorwurf des Kaschierens und Kompensierens setzt aber voraus, dass Schubert sein Vorgehen selbst als defizitär empfunden und nicht die "literarische" Argumentation als eine der strikter empirischen ebenbürtig aufgefasst habe. Hieran sind zumindest Zweifel erlaubt.
Schweizers auf den Umfang von Schuberts "Geschichte der Seele" gemünzte Kritik - "Der [...] der Monografie mitunter typische Hang zur epischen Breite korreliert mit einer gewissen Weichheit und partiellen Inkonsistenz der wissenschaftlichen Argumentation." (511) - ist angesichts seiner eigenen nur etwa hundert Seiten knapperen Studie mutig. Zahlreiche Redundanzen ergeben sich nicht nur durch deren Aufbau, der jeden Quellentext einzeln behandelt, sondern teils auch ohne ersichtlichen Grund, wenn beispielsweise ein Abschnitt über Nachwirkungen romantischer Anthropologie im Abstand von acht Seiten nahezu wörtlich wiederholt wird (21 und 29). Den Eindruck einer hastigen Endredaktion nährt auch die hohe Fehlerdichte: Teilweise mag man dies mit noch einem lachenden Auge sehen, wenn etwa Fries für eine Zwischenüberschrift die Vornamen wechselt (113), oder die zwischen 1967 und 2000 aufgelegte, immerhin 28 Bände umfassende Gesamtausgabe seiner Schriften im Literaturverzeichnis auf einen einzigen Band zusammenschnurrt, der auch noch seinem Kollegen Carl August Eschenmayer zugeschrieben wird (771). Falsche Bezüge sowie fehlende Satzanschlüsse oder Prädikate im angesichts seines Gegenstands oft ausgesprochen komplexen fortlaufenden Text erschweren das Verständnis nicht selten aber erheblich. Ein Sachregister der Begriffe und Motive sowie ein Personenregister wären angesichts der Anlage des Buchs sehr hilfreich gewesen.
Anmerkung:
[1] Manfred Engel: Romantische Anthropologie. Skizze eines Forschungsprojekts, in: Historische Anthropologie 8 (2000), 264-271.
Christoph Franzen