Michael Schultheiß / Julia Roßberg (Hgg.): Weimar und die Republik. Geburtsstunde eines demokratischen Deutschlands, Weimar: Weimarer Verlagsgesellschaft 2009, 255 S., ISBN 978-3-939964-45-2, EUR 19,90
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Auch wenn angesichts der aktuellen Banken- und Wirtschaftskrise so manchem Feuilletonisten derzeit schnell der Vergleich mit der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise aus der Feder fließt und ihm dabei assoziativ der Zusammenbruch der Demokratie in Deutschland einfällt: Siebeneinhalb Jahrzehnte nach ihrem Untergang "qualmt" die Geschichte der Weimarer Republik nicht mehr, wie man in Abwandlung eines Zitats von Barbara Tuchman den Prozess beschreiben könnte, den Zeithistoriker prosaischer "Historisierung" nennen. Deswegen kann diese Republik heute auch eher nach ihren positiven Seiten und ihren Chancen befragt werden anstatt nur als Kontrastfolie zu dienen - wie in den Anfangsjahrzehnten der "Bonner" Republik ("Bonn ist nicht Weimar"). Wie zahlreiche neuere Veröffentlichungen ist auch das bildungspolitische Projekt "Weimar und die Republik" der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihres Landesbüros Thüringen diesem Ansatz verpflichtet. Das Projekt wird seit 2006 betrieben und legt nun - pünktlich zur Erinnerung an das Zusammentreten der Nationalversammlung in Weimar vor neunzig Jahren - eine erste und mit vielen Fotos garnierte Veröffentlichung vor, nämlich jener Vorträge, die im Rahmen des Projekts bisher gehalten wurden.
Dass die Konstituante nicht in Berlin, sondern in Weimar tagte und damit der Republik zu ihrem Namen verhalf, resultierte aus der unsicheren Lage in der Hauptstadt im Winter 1918/19, wo die Möglichkeit der militärischen Sicherung der Nationalversammlung zweifelhaft erschien. Die kleine vormalige Residenzstadt von Sachsen-Weimar war dagegen gut zu kontrollieren, und auch die befürchteten Unterbringungs- und Versorgungsprobleme erwiesen sich schnell als lösbar, wie Stefan Gerber ausführt. Motiv für die Ortswahl war also keineswegs der "Geist von Weimar" als dem Zentrum der deutschen Klassik, auch wenn dieser bald von den Rednern in der Versammlung entdeckt wurde und mit seinem Schatzkästlein an Zitaten so manche Rede dekorierte.
Wilhelm Ribhegge und Hans Mommsen widmen sich mit unterschiedlicher Perspektive der ersten Hauptaufgabe der Konstituante, nämlich der Schaffung einer Verfassung; sie bestätigen dabei den nun schon länger erreichten Historikerkonsens, mit dem eine ältere Forschungsmeinung überwunden wurde: Die Weimarer Republik ist sicher nicht an ihrer Verfassung als solcher gescheitert; vielmehr bewegte diese sich im Wesentlichen auf der Höhe der damaligen Staatsrechtslehre, auch wenn noch die eine oder andere Reminiszenz an das 19. Jahrhundert zu beobachten ist. Ob man deswegen die Weimarer Nationalversammlung zum "Erinnerungsort" stilisieren sollte und ob mit der Verfassungsdiskussion tatsächlich die "Geburt der pluralistischen Gesellschaft in Deutschland" (Ribhegge, 48) anzusetzen ist, mag angesichts der begrifflichen Vagheit dahingestellt bleiben.
Was bei Ribhegge schon anklingt, wird in zwei weiteren Beiträgen thematisiert: Die Verfassungsdiskussion wurde im Mai 1919 jäh durchkreuzt von der Bekanntgabe der Friedensbedingungen in Versailles und von den heftigen und hektischen Diskussionen der Nationalversammlung über den künftigen Friedensvertrag. Diese Koinzidenz von Staatswerdung und als Demütigung empfundenem Friedensschluss blieb ein dauernder Ballast, den in späteren Jahren vor allem die politischen Rechten in ihrem Kampf gegen die Republik weidlich ausschlachteten. Einem kurzen Überblick Stefan Gerbers über die Bedingungen des Vertrags folgt die offenbar mit Absicht kaum bearbeitete Mitschrift eines Gesprächs zwischen Etienne François und Gerd Krumeich: Wunderbar "politisch inkorrekt" wischt Krumeich den nach und nach erreichten Historikerkonsens über den Versailler Vertrag beiseite, der etwa lautet: Angesichts der Erfahrungen von 1945 sei 1919 ein "Kompromissfrieden" (im Sinne eines Kompromisses zwischen den Siegern) geschlossen worden, der nach Lage der Dinge kaum anders ausfallen konnte und für Deutschland durchaus Möglichkeiten offen ließ. Krumeich will nun dies nicht als Maßstab für eine "vernünftige" deutsche Reaktion auf den Vertrag gelten lassen und besteht darauf, als Ausgangspunkt und um der Gerechtigkeit willen die damalige Wahrnehmung der Deutschen zu nehmen, die sich eben tatsächlich gedemütigt fühlten. Ebenso souverän vermittelt François, dass er als Franzose bei Versailles zunächst viele andere historische Assoziationen empfindet, ehe ihm der Versailler Vertrag einfällt.
Drei Beiträge zur Schnittmenge von kulturhistorischen und historisch-politischen Themen komplettieren das Buch und zeigen auch hier, wo Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Weimarer Republik lagen. Zunächst skizziert Bernd Buchner die Streitigkeiten über die Symbole der Republik. Zu ihnen hätte auch das Reichsehrenmal für die Gefallenen des Weltkriegs bei Bad Berka südlich von Weimar gehören sollen, wenn es denn jemals errichtet worden wäre; über seine gescheiterte Geschichte liefert Henrik Hilbrig einen Abriss. Schließlich schreibt Christian Welzbacher über den zwar weitgehend machtlosen, aber nicht unwirksamen "Reichskunstwart" Edwin Redslob, der im Dschungel zwischen Länder- und Ämterinteressen kämpfte.
Eine durch entsprechende Fotografien illustrierte Anleitung zum "Stadtrundgang" auf den Spuren der Ereignisse von 1919 macht noch einmal deutlich, welchem Zweck die Veröffentlichung sich in erster Linie verpflichtet fühlt: Der politischen Bildung und dort - wie im Untertitel angedeutet - der Traditionsschaffung im demokratisch-republikanischen Sinn. Nimmt man diese als Nennwährung und misst nicht jeden einzelnen Beitrag am Goldstandard wissenschaftlicher Originalität und Differenzierung, kann man den Band durchaus als gelungen bezeichnen.
Wolfgang Elz