Françoise Knopper / Jean Mondot: L'Allemagne face au modèle français de 1789 à 1815, Toulouse: Presses Universitaires Mirail 2008, 317 S., ISBN 978-2-85816-963-4, EUR 17,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Das Nachdenken über die Beziehungen zwischen dem deutschsprachigen Raum und der Französischen Revolution ist fast so alt wie die Revolution selbst. Begrenzt man den Blick auf das 20. Jahrhundert, so muss das klassische Werk von Jacques Droz, L'Allemagne et la Révolution française (1949), erwähnt werden. Zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution kam eine fast unübersichtliche Zahl von Werken zum Thema Deutschland und die Revolution heraus [1], die Matthias und Katharina Middell zusammenzufassen versucht haben.[2] Man fragt sich also zunächst, was der zu besprechende Band inhaltlich oder methodologisch Neues bringt.
Mit L'Allemagne face au modèle français de 1789 à 1815 haben die Herausgeber, anders als die Mehrzahl der um 1989 erschienenen Werke, die Zeitspanne von 1789 bis 1815 als eine Einheit aufgefasst und damit das Augenmerk auf die Kontinuität von Revolution und Kaiserreich und deren langfristige Folgen für Deutschland gerichtet. Zu begrüßen ist auch, dass kein Schwerpunkt auf Preußen (ausführliche Behandlung durch Michel Kérautret) liegt, sondern dass fast das gesamte deutschsprachige Gebiet - nur der norddeutsche Raum findet kaum Erwähnung - behandelt wird. Vor allem aber wird im Titel das Wort modèle kursiv geschrieben, womit die Problematik des System- und Kulturtransfers angedeutet wird. Nach einem nuancierten Rückblick auf die Zeit des ancien régime schildern die Herausgeber im Vorwort, wie mit dem Ausbruch der Französischen Revolution die Frage nach dem französischen Modell in Deutschland schlagartig wieder ein wichtiges Thema wurde. Bekanntlich wurde in der ersten Revolutionsphase das Geschehen in Frankreich mit Begeisterung beobachtet, dem immer größere Distanz, dann Enttäuschung und Ablehnung folgten. Mit den revolutionären und napoleonischen Kriegen begann eine Phase politischer Umwälzungen und territorialer Rekonstruktionen in Deutschland: Durch Reichsdeputationshauptschluss (1803), Rheinbund, Abdankung Kaiser Franz II. oder "oktroyierte" Konstitutionen stellt sich die Frage nach dem französischen Modell nicht mehr bloß theoretisch sondern konkret in seiner ganzen Komplexität. Wie kann man die Gleichheits- und Freiheitsbegriffe gegen ihre Urheber anwenden? Wie kann man gegen universelle Werte kämpfen, oder muss man ihnen diese Qualität absprechen und nach anderen Begriffen suchen? So lauten einige der Fragen, die der Band zu beantworten sucht.
Das sehr übersichtlich aufgebaute Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste setzt den theoretisch-allgemeinen Rahmen fest (Lucien Calvié, Guillaume Garner). In einem sehr anregenden Beitrag schildert Alain Ruiz die höchst gegensätzlichen Reaktionen der Zeitgenossen auf Napoleon, während Reiner Marcowitz einen nützlichen Rückblick auf die Geschichtsschreibung von 1800 bis heute wirft. Im zweiten Teil werden einzelne deutsche Territorien näher beleuchtet, während im dritten Teil die "sozialen und kulturellen Entwicklungen" im Reich infolge der Revolution und der napoleonischen Kriege untersucht werden. Abschließend gewährt Jean Paul Cahn einen Ausblick auf die nächste Periode, indem er nach den Nachwirkungen des französischen Modells auf Deutschland nach 1815 und bis in die Gegenwart fragt.
Im ersten Beitrag setzt sich Lucien Calvié mit der Komplexität des französischen Revolutionsmodells in Deutschland auseinander. Zuerst untersucht er die methodologische Möglichkeit eines Modell-Denkens überhaupt. Dann wird die Frage nach dem möglichen Umschlagen des Modells in ein Anti-Modell in Europa gestellt. Dabei unterscheidet der Autor zwischen Ländern, wo das revolutionäre Gedankengut die eigenen nationalen Bestrebungen unterstützte (Italien) und solchen, wo sie im Gegensatz dazu standen (Spanien).
In mehreren Beiträgen werden die Versuche, das französische Gesellschaftsmodell direkt auf Deutschland zu übertragen, untersucht. Françoise Knopper behandelt das Königreich Westfalen, das für Napoleon ein Laboratorium für den Systemtransfer darstellte. Hier sollte sein Bruder versuchen, im Volk "Verfassungspatriotismus" zu stimulieren. Er scheiterte jedoch unter anderem an den Widersprüchen, die mit dem Status einer Besatzungsmacht (Truppenaushebungen, Steuern, Einquartierungen...) zusammenhingen.
Thomas Nicklas untersucht Montgelas' Reformwerk in Bayern - das Werk eines Reformators, der eine echte Begeisterung für die Ideale der Französischen Revolution hegte. Ob die Begeisterung der Bayer ihrerseits trotz der Teilnahme an den Kriegen tatsächlich so echt und dauerhaft blieb, wie suggeriert wird, bleibt dahingestellt.
Sachsens "Franzosenzeit" (Michel Espagne) war reich an Gegensätzen. Das Land büßte durch die eindeutige Parteinahme für Frankreich seine ursprüngliche Vermittlerrolle zwischen Ost und West ein. Vielschichtiger war die Situation in den vielen Kleinstaaten, denen keine andere Wahl blieb, als dem Rheinbund beizutreten (Werner Greiling), ein zum Teil noch unerforschter Bereich. Tristan Coignard behandelt ihn anhand von Zeitschriften, die dem Rheinbund eher positiv gesinnt waren, wobei er nachweist, wie die Debatte sich allmählich vom französischen Modell distanzierte und der Blick auf die "Wiedergeburt" Deutschlands gerichtet wurde, wobei das - 1806 aufgehobene - Heilige Römische Reich als Gegenmodell fungierte.
Mehrere Autoren befassen sich mit der Gegenüberstellung antagonistischer Modelle. Durch das Aufkommen der romantisch-patriotischen Bewegung wurde dem französischen Modell einer egalitären und universellen, aus dem Willen der Revolutionäre erwachsenen Republik (tabula rasa, 3) das Gegenmodell einer hierarchisch abgestuften, organisch im deutschen "Volksgeist" verwurzelten Gesellschaft entgegengestellt, wie sie die "deutsche Tischgesellschaft", die Franzosen und Juden den Beitritt verweigerte (Christine de Gemeaux), oder Ernst Moritz Arndt (Wolfgang Fink) verfochten. Auch die juristische Auffassung im preussischen Allgemeinen Landrecht (1794) weist viele Unterschiede zum Code Civil auf (Gérard Laudin).
Einige Beiträge des Bandes heben indes hervor, dass zur Komplexität des System- und Kulturtransfers auch Einflüsse von Deutschland auf Frankreich gehörten. Dies zeigt das Werk Christian W. Dohms über die "bürgerliche Verbesserung der Juden" (Jean Mondot) ebenso wie auch die Bemühungen Philipp Albert Stapfers und Charles de Villers, die ruhmreiche Universität Göttingen in Frankreich bekannt zu machen. In den gleichen Kontext gehören die vergeblichen deutschen Bemühungen, das napoleonische, vor allem praktische Ergebnisse anstrebende System der Grandes Ecoles zu beeinflussen (Elisabeth Decultot).
Abschließend sei noch der originelle Beitrag René Marc Pilles erwähnt, in dem er die These formuliert, eine gewisse Zerbrechlichkeit in den Tragödien der Weimarer Klassik lasse sich auf dem Hintergrund des unsicheren Friedens nach dem Baseler Vertrag (1795) besser deuten.
Es ist zu begrüßen, dass auf diesem äußerst komplexen Forschungsgebiet in einem relativ begrenzten Umfang kein Eindruck der Zersplitterung entsteht. Vermisst wird - bis auf einige Stellen bei Guillaume Garner - die Behandlung der wenig privilegierten deutschen Volksschichten. Es ist auch bedauerlich, dass im Vorwort nichts über die Entstehungsgeschichte des Bandes und die Biographien der Autoren gesagt wird. Gerade bei die Geschichtsschreibung seit zweihundert Jahren so polarisierendem Thema und angesichts der vielfältigen Versuche, in den letzten Jahrzehnten eine grenzüberschreitende Sicht dieser Zeitspanne voranzutreiben - die zweifellos hier auch am Werk ist - wäre es vielleicht erhellend gewesen, die Überwindung nationaler Gesichtspunkte in der Geschichtsschreibung zu thematisieren.
Anmerkungen:
[1] Siehe u.a. Jean Mondot / Alain Ruiz (éds.): Interférences franco-allemandes et Révolution française, Bordeaux 1994; Lucien Calvié: Le Renard et les raisins. La Révolution française et les intellectuels allemands (1789-1845), Paris 1989.
[2] Katharina und Matthias Middell: 200. Jahrestag der Französischen Revolution. Kritische Bilanz der Forschungen zum Bicentenaire, Leipzig 1991.
[3] Obwohl Lucien Calvié diesen Begriff stark nuanciert (23-24).
Viviane Rosen-Prest