Björn Alexander Rautenberg: Der Fiskal am Reichskammergericht. Überblick und exemplarische Untersuchungen vorwiegend zum 16. Jahrhundert (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 368), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2008, XXXII + 205 S., ISBN 978-3-631-57145-3, EUR 42,50
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Das Reichskammergericht war in der Frühen Neuzeit von 1495 bis 1806 das höchste Zivilgericht. Es war für Erbschaften, Schulden, gebrochene Verträge, Religionsstreitigkeiten, aber auch für Landfriedensbruch und Grenzstreitigkeiten zwischen Territorien zuständig. In vielen dieser Punkte schrieb das Reichskammergericht mit seinen Entscheidungen deutsche Rechtsgeschichte. Im Laufe seiner Existenz wurde das Gericht das wirksamste Mittel, um das überall verbreitete Faustrecht in friedliche prozessrechtliche Bahnen zu lenken.
Forschungen zum Reichskammergericht haben in letzter Zeit stark zugenommen. Neben einzelnen Prozessen wurden das Gericht und sein Personal näher untersucht. [1] Trotzdem gibt es immer noch große Forschungsdefizite in Bezug auf die Organisation des Gerichts, die Rechtsprechungspraxis sowie die Kanzlei. Eine dieser Lücken versucht die vorliegende Dissertation zu schließen, die sich mit dem Fiskal am Reichskammergericht beschäftigt.
Das Amt des Fiskals gab es schon im römischen Recht, es überdauerte den Untergang des römischen Reiches. Die Aufgabe des Amtes war es, die prozessuale Vertretung in Streitigkeiten über die dem Fiskus zustehenden Einnahmen und Rechte wahrzunehmen. Im 12. Jahrhundert setzte Kaiser Friedrich II. in Sizilien schließlich procuratores fisci vel curiae ein - die Einrichtung gilt als Ursprung für das europäische Fiskalat. Am Reichskammergericht erhielt der Fiskal die Funktion eines Anklägers des crimen laesae majestatis. Anfänglich war der Fiskal eine einzelne Person, die mit der Wahrnehmung kaiserlicher Interessen vor dem Reichskammergericht befasst war.
Rautenberg untersucht das Amt, indem er zuerst die normativen Grundlagen und die Stellung des Fiskals am Reichskammergericht erklärt. Er geht auf die Organisation und Besoldung des Amtes ein, beschreibt die Verwendung der Einkünfte aus der Tätigkeit des Fiskals und die finanzielle Ausstattung des Amtes. Dabei stellt er fest, dass sich mit der Eingliederung des Fiskals in den gerichtlichen Betrieb die enge Bindung an den Kaiser allmählich löste und er seine Arbeit und sein finanzielles Gebaren immer sorgfältiger rechtfertigen musste.
Im zweiten Teil der Dissertation werden die einzelnen Aufgaben des Fiskals untersucht: Er war zuständig für die Aufsicht über den Landfrieden, die Steuerpflicht sowie die Einhaltung der Ordnung im Reich. Hierzu zählten die Überwachung von Monopolen, Marktrechten und des Münzwesens. Eine weitere Aufgabe war die Durchführung von Exemptionsprozessen, d. h. es musste geklärt werden, ob ein Territorium seine Steuern direkt an den Kaiser oder einen Territorialherren zu entrichten hatte. Auch die Religionsprozesse fielen in den Aufgabenbereich des Fiskals, die Überwachung der gerichtlichen Ordnung und der Achtung vor dem Gericht sowie Strafsachen. Grundsätzlich wurde der Fiskal in allen Belangen tätig, die eine rechtlich abwendbare Bedrohung für Kaiser und Reich darstellten.
Der dritte Teil beschäftigt sich schließlich mit der prozessualen Stellung des Fiskals. Hier geht es vor allem um dessen Prozessvorrechte, die den fiskalischen Sachen den Vorrang einräumten, was zu harten Auseinandersetzungen zwischen Ständen und Kaiser führte. Je mehr sich das Fiskalat jedoch in die Organisation des Gerichts einfügte, umso unproblematischer wurde es für die Stände, den Vorrang fiskalischer Prozesse zu akzeptieren. Es wird jedoch auch das Bemühen deutlich, Vorkehrungen gegen Eigenmächtigkeit und Fremdeinfluss zu treffen.
Der Autor kann schlüssig zeigen, dass die Arbeit des Fiskals gerade in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sehr mühsam und vielfältig war, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aber zu großer Bedeutung gelangte. Rautenberg betont die Stellung des Fiskals treffend, indem er sagt: "Denn ohne den Fiskal hätte dem Kaiser ein wesentliches, zur Durchsetzung der Reichssteuerpflicht und auch zur Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen notwendiges Instrument gefehlt" (95). Wichtig in diesem Zusammenhang waren vor allem die Exemptionsprozesse, die während der dreihundertjährigen Existenz des Gerichts mehr oder minder immer aktuell blieben, denn hier ging es nur vordergründig ums Geld. Ausschlaggebend war vielmehr das Kräfteverhältnis zwischen dem Reich und den Ständen. Rautenberg bemerkt richtig: "Hier stellte die Tätigkeit des Fiskals einen wichtigen Hebel dar, mit dem der Kaiser versuchte, das bisherige Machtgefüge im Reich zu erhalten" (159). Allgemein ist dem Autor zuzustimmen, der gerade das Fiskalat als "einen stabilisierenden Faktor im alten Reich" sieht.
Die Darstellung ist klar gegliedert und gut zu lesen, sie hat zum Teil Handbuchcharakter. Die Arbeit folgt in weiten Teilen den Darstellungen des Rechtsgelehrten Harpprecht aus dem 18. Jahrhundert und hat deshalb darüber hinaus nicht viel Neues zu bieten. Die Prozessbeispiele stammen vorwiegend aus dem bayerischen Hauptstaatsarchiv München. Sie sind sehr interessant und facettenreich und mit großer Sorgfalt ausgesucht, werden allerdings immer nur äußerst kursorisch abgehandelt, was sehr schade ist. Es scheint, als ob sich die Abhandlung vor allem auf gedrucktes Material stützt. Trotzdem muss betont werden, dass die Arbeit einen sehr hilfreichen und systematischen Überblick über das Amt des Fiskals bietet und die Rezensentin als nützliches Nachschlagewerk künftig begleiten wird.
Anmerkung:
[1] Siehe z. B. Anette Baumann: Advokaten und Prokuratoren. Anwälte am Reichskammergericht 1690-1806, (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 51), Köln/Weimar/Wien 2006 und Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil II Biographien, Bde. 1-2, (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 26), Köln/Weimar/Wien 2003.
Anette Baumann