Barry Richard Burg: Boys at Sea. Sodomy, Indecency and Courts Martial in Nelson's Navy, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, XV + 245 S., ISBN 978-0-230-52228-2, GBP 50,00
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Nach "Somody and the Pirate Tradition" (1983) hat Burg nun seine zweite größere Studie vorgelegt, die sich mit mann-männlicher Sexualität auf hoher See beschäftigt.[1] Im Mittelpunkt steht dabei die gerichtliche Verfolgung von britischen Marineangehörigen der Ära Nelson, die gleichgeschlechtlicher Sexualakte beschuldigt wurden ("bugger"). Um diese Kernfrage herum aber entwickelt der Verfasser ein facettenreiches Bild von Strukturen, Werten und Vorstellungen, mit einem Wort: der Lebenswelt auf den Schiffen der Royal Navy im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
Grundlage der Arbeit sind die "Admiralty records", die in den National Archives im Londoner Stadtteil Kew (den Burg im Übrigen aus unerfindlichen Gründen zum Archivort erhebt, 217) verwahrt werden. Damit ist Burg nicht der erste. Schon in den 1970er Jahren hat Arthur N. Gilbert das Material in zwei Zeitschriftenbeiträgen fruchtbar gemacht.[2] Nicht zuletzt deshalb sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie, vor allem im Kapitel über die unter Zeitgenossen offenbar geradezu berüchtigte "man fucking" HMS Africaine (130-157), der bereits Gilbert seine Aufmerksamkeit widmete, in weiten Strecken nicht überraschend. Wohl aber sind sie auf deutlich breitere Grundlage gestellt und unter Verweis auf eine Vielzahl weiterer bemerkenswerter Einzelfälle aus den Jahren zwischen 1704 und 1838 illustriert, wobei nur eine Handvoll dieser Fälle der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstammt. Im Wesentlichen also deckt die Studie einen Zeitraum von nicht ganz einhundert Jahren ab.
Beachtenswert ist die Fülle der zeitgenössischen Druckschriften, die Burg zusätzlich zur archivalischen Überlieferung der Militärgerichtsbarkeit herangezogen hat. Dazu zählen journalistisch, sensationalistisch, oft auch moralisch überformte Prozessberichte, Polemiken, Rechtfertigungsschriften, aber auch Memoiren und zeitgenössische Fachliteratur.
Die von ihm untersuchten Fälle weiß der Verfasser zugleich lebhaft und nah an der Überlieferung entlang zu skizzieren. Das Material, das im Bestand "Admiralty records" zusammengetragen ist, ist durchaus divers, und dem trägt Burg auch Rechnung: Neben Zusammenfassungen und Berichten, wie sie der Bestand ADM 12 bietet, hat er vor allem die zum Teil sehr ausführlichen Prozessakten herangezogen, die in der Signaturengruppe ADM 1 rangieren. Erstaunlicherweise aber hat er es nicht immer unternommen, Prozesse, die in beiden Beständen auftauchen, auch aufeinander zu beziehen.
Burgs Studie hat weder eine exaltiert vorgestellte Fragestellung noch - im Grunde: konsequenterweise - ein Fazit. Das heißt nicht, dass sie keine Ergebnisse hätte. Im Gegenteil: Der Verfasser kann erstaunlich langzeitliche Tendenzen in dem von ihm untersuchten Material aufzeigen. Das ist vor allem die Frage nach Hierarchien und sexueller Gewalt gegenüber Untergeordneten. Denn in der überwältigenden Mehrzahl der untersuchten Prozesse handelt es eben nicht um die Verfolgung konsensualer gleichgeschlechtlicher, ja vielleicht sogar in einem modernen Wortsinne homosexueller Verhältnisse an Bord, sondern handelt es sich um Offiziere, die wegen erzwungener Sexualakte und "immodest acts" angeklagt wurden. Eng verbunden mit solchen Fragen nach sexueller Gewalt in sozialen respektive militärischen Hierarchien ist - gerade im Falle von Schiffsbesatzungen - diejenige nach dem Altersgefälle. Solche Hierarchien spiegelten sich, so Burg in Einklang mit gängigen Vorstellungen der Sexualitätsgeschichte, symbolisch im Akt der Penetration: " [...] as was the case among the Greeks, in sexual contacts involving adults and boys trial transcripts reveal not a single instance of a boy entering a man." (xiii) Tatsächlich jedenfalls sind die Mehrzahl der Opfer sexueller Gewalt durch Vorgesetzte, die in den von Burg untersuchten Prozessen auftauchen, nicht nur sozial und militärisch untergeordnet, sondern auch deutlich jünger als die Beklagten. Zugleich aber stellt Burg ein tiefes Misstrauen auf Seiten der Militärrichter fest, wenn es um die Aussagen von Jugendlichen ("boys") ging. Bemerkenswert bleibt: Diese Jugendlichen treten durchaus in Erscheinung und wehren sich - zumindest eine nicht zu unterschätzende Zahl, die den Weg in die Aktenüberlieferung gefunden hat.
Anmerkungen:
[1] Vgl. ferner den Beitrag des Verfassers zur U.S. Navy, Barry R. Burg: Officers, Gentlemen, 'Man-Talk', and Group-Sex in the 'Old Navy', 1870-1873, in: Journal of the History of Sexuality 11 (2002), 439-456.
[2] Arthur N. Gilbert: The Faricaine Courts Martial. A Study of Buggery in the Royal Navy, in: Journal of Homosexuality 1 (1974), 111-122 und ders.: Buggery and the British Navy, 1700-1861, in: Journal of Social History 10 (1976), 72-97.
Hiram Kümper