Aaron Spencer Fogleman: Jesus Is Female. Moravians and the Challenge of Radical Religion in Early America (= Early American Studies), Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2007, x + 330 S., ISBN 978-0-8122-3992-8, GBP 16,50
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Die religiöse Erweckungsbewegung des Great Awakening, die in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts die britischen Inseln sowie die nordamerikanischen Kolonien erfasste, fand auch unter den deutschsprachigen Siedlern in Pennsylvania und benachbarten Kolonien zahlreiche Anhänger. Maßgeblichen Anteil daran hatte die pietistische Herrnhuter Brüdergemeine, die seit den 1720er Jahren unter der charismatischen Führung des Grafen Nikolaus von Zinzendorf eine beträchtliche organisatorische Dynamik entfaltete. Die Herrnhuter gründeten Missionssiedlungen von Grönland über Surinam bis Südafrika, waren jedoch in den mittelatlantischen Kolonien Britisch-Nordamerikas besonders aktiv.
Von ihren Hauptsiedlungen Bethlehem und Nazareth aus besuchten Dutzende von hoch motivierten Landpredigern deutsche, englische und schwedische Gemeinden, wo sie angesichts eines akuten Mangels an theologisch ausgebildeten und ordinierten Geistlichen und einer starken Nachfrage nach erbaulichen Predigten auf große Resonanz stießen. Die gute Organisation und kommunikative Vernetzung der Herrnhuter sowie die Tatsache, dass sie für ihre seelsorgerischen Dienste kein Geld verlangten, trugen das ihrige zu ihrem Erfolg bei.
Schon bald formierte sich auf beiden Seiten des Atlantiks jedoch Widerstand gegen die Brüdergemeine. Die "Blut- und Wunden-Theologie", die vor allem während der so genannten "Sichtungszeit" in der Gemeinde Herrnhaag in der Wetterau in eine mystische, stark emotional gefärbte Sprache gekleidet wurde, rief heftige Reaktionen seitens orthodoxer lutherischer und reformierter Theologen hervor, die die Brüdergemeine als Sekte gefährlicher Fanatiker brandmarkten. Die Schriften der Gegner der Herrnhuter wurden auch in Nordamerika breit rezipiert und die ökumenischen Bestrebungen der Brüdergemeine in Pennsylvania brachten weitere polemische Schriften gegen sie hervor, die nicht nur von orthodoxen protestantischen Geistlichen, sondern auch von Erweckungspredigern, radikalen Pietisten und desillusionierten Anhängern Zinzendorfs verfasst wurden. Die massive Opposition zeigte schließlich Wirkung: Um die Mitte des 18. Jahrhunderts musste die Brüdergemeine Herrnhaag aufgeben und sich nach heftigen Auseinandersetzungen auch aus einer Reihe amerikanischer Gemeinden zurückziehen.
Die hier skizzierte Geschichte bildet den Kern der Kapitel vier bis sieben von Aaron S. Foglemans Studie, und hätte er seine Darstellung darauf beschränkt, wäre es ein sehr gutes Buch geworden. Fogleman hat sowohl die bislang von der Forschung kaum beachteten Tagebücher Herrnhuter Landprediger in Nordamerika als auch die umfangreiche Kontroversliteratur der 1740er und 1750er Jahre ausgewertet. Auf dieser Grundlage gelangt er zu interessanten Einsichten in die Praxis der Herrnhuter Missionsarbeit und in lokale Konflikte in amerikanischen Kirchengemeinden. Diese Erkenntnisse sind an neuere Forschungen zum Great Awakening als transatlantischem Ereignis in hohem Maße anschlussfähig.
Leider belässt der Autor es nicht dabei, sondern riskiert eine kühne These, an der sein Projekt letztlich scheitert. Die Herrnhuter, so seine These, seien vor allem deshalb als so bedrohlich wahrgenommen worden, weil sie eine radikale Gender-Theologie vertraten, welche die im frühneuzeitlichen Europa wie im kolonialen Amerika etablierte patriarchalische Geschlechterordnung völlig auf den Kopf gestellt habe. Die Herrnhuter hätten die Heilige Dreifaltigkeit "feminisiert", indem sie dem Heiligen Geist und dem Gottessohn Jesus weibliche Eigenschaften zuschrieben; ferner hätten sie Frauen erlaubt zu predigen und seelsorgerisch tätig zu werden, und sie hätten generell eine wesentlich positivere Einstellung zur Sexualität vertreten als andere christliche Kirchen der Zeit.
Foglemans Problem ist nun, dass er weder die im Titel plakativ formulierte Behauptung, der Jesus der Herrnhuter sei weiblich gewesen, beweisen, noch konkurrierende Auffassungen von Geschlechterrollen und Geschlechterordnungen in den von ihm untersuchten Konflikten belegen kann. Er betont mehrfach selbst, dass er wegen eines Mangels an Quellen letztlich auf Vermutungen, Analogieschlüsse und Plausibilitätsannahmen angewiesen sei (9f., 191f., 215).
Dieses Verfahren wäre vielleicht vertretbar, wenn die Quellenlage über die Gedanken und Aktivitäten der Herrnhuter um die Mitte des 18. Jahrhunderts generell schlecht wäre. Doch das Gegenteil ist der Fall: Kaum eine andere protestantische Religionsgemeinschaft der Zeit hatte eine so hoch entwickelte Schriftlichkeit und hat so viele tausend Seiten an Dokumenten hinterlassen. Obwohl beispielsweise die Herrnhutersiedlung Bethlehem seit ihrer Gründung im Jahre 1742 umfangreiche Gemeindetagebücher führte und ihre Führungspersönlichkeiten zahlreiche Briefe und autobiographische Schriften verfassten, bringt Fogleman - wenn ich recht sehe - ganze zwei Quellenbelege für sexuelle Praktiken in Bethlehem an (94 und 260, Anm. 50 und 51).
Angesichts des provokativen Titels seines Buches überrascht Fogleman seine Leser mit der Aussage: "Moravians never abandoned a view of the body of Christ that stressed its male features" (77; meine Hervorhebung). Weibliche Eigenschaften und Attribute hätten sie Jesus lediglich metaphorisch zugeschrieben. Eine Untersuchung der Metaphorik von Hymnen, theologischen Traktaten und Predigten ist natürlich legitim; sie müsste allerdings in theologischer wie in sprachlicher Hinsicht wesentlich fundierter geleistet werden, als Fogleman dies tut. Dem Vertrauen in die philologische Genauigkeit des Autors ist es jedenfalls nicht gerade förderlich, wenn er den Plural "glieder" in einem Hymnentext im Englischen mit "member" - dem Singular für das männliche Glied - wiedergibt (92).
Im letzten Kapitel (185-216) versucht Fogleman zu zeigen, dass das Auftreten der Herrnhuter in den Kolonien zu einer regelrechten Eruption religiöser Gewalt geführt habe, die letztlich auf deren radikale Gender-Theologie zurückzuführen sei. Dagegen ist dreierlei einzuwenden. Erstens sollte der Terminus "religiöse Gewalt" nicht so undifferenziert gebraucht werden, wie dies hier der Fall ist. In den untersuchten lokalen Konflikten kam es zu Rangeleien, Drohungen, Beschimpfungen, Sachbeschädigungen und in Einzelfällen auch zu Körperverletzungen, von einer "Eruption" oder "Explosion" religiöser Gewalt zu sprechen, ist jedoch sowohl im Vergleich mit europäischen Ereignissen wie der Bartholomäusnacht oder den Londoner Gordon Riots unangemessen als auch im kolonialen Kontext, wo es um dieselbe Zeit bei der Unterdrückung von Sklavenaufständen oder in Indianerkriegen zu ungleich massiverer Gewaltanwendung kam. Die christianisierten Indianer in der Herrnhuter Missionssiedlung Gnadenhütten in Pennsylvania beispielsweise wurden während des Siebenjährigen Krieges massakriert. Zweitens löst Fogleman die Konflikte in Kirchengemeinden wie Philadelphia und Lancaster aus dem Kontext der langfristigen Entwicklung dieser Gemeinden und lässt dadurch sowohl die Ausgangslage als auch die Folgen dieser Auseinandersetzungen im Dunkeln. Seine Feststellung, es sei in diesen Konflikten nicht um Macht- und Autoritätsfragen gegangen, ist daher vor allem der Untersuchungsperspektive geschuldet. Drittens schließlich kann er zwar die Beteiligung von Frauen an diesen Auseinandersetzungen nachweisen, bleibt jedoch jeglichen Beleg schuldig, dass die Frage der Geschlechterordnung in ihnen irgendeine Rolle spielte.
Fazit: Das Buch vermittelt einige interessante Einsichten in die Rolle der Herrnhuter Brüdergemeine während des Great Awakening in Nordamerika. Seine Gesamtkonzeption und seine Kernthese sind jedoch auf Sand gebaut.
Mark Häberlein