Barbara Könczöl: Märtyrer des Sozialismus. Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Frankfurt/M.: Campus 2008, 361 S., ISBN 978-3-593-38747-5, EUR 34,90
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Dieses Buch hält mehr als der Titel verspricht. Es geht der Autorin nicht nur um das offizielle Gedenken an die KPD-Gründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, sondern um das Gesamtensemble der Gedenkkultur in der DDR. Wie Barbara Könczöl überzeugend nachweisen kann, erschöpfte sich das Gründungsnarrativ der SED nicht im antifaschistischen Widerstandskampf gegen die NS-Diktatur. Dieser war immer in eine umfassende Meistererzählung eingebunden, an deren Anfang die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts im Januar 1919 stand.
Dabei hatte es schon die KPD der Weimarer Republik nicht leicht mit ihrer Parteigründerin, da sich deren Kritik am Leninismus nur schlecht mit der seit Mitte der Zwanzigerjahre vollzogenen Fixierung auf das bolschewistische Diktaturmodell vereinbaren ließ. Das spätere Bestreben der SED, zwischen Rosa Luxemburg als Märtyrerin und ihren theoretischen Fehlern zu differenzieren, knüpfte an diese Praxis an, führte aber dazu, dass mit dem fortschreitenden Utopieverlust des "Sozialismus in den Farben der DDR" das alljährliche Gedenkritual der Luxemburg-Liebknecht-Feiern immer inhaltsärmer wurde und sich die Parteigründerin zunehmend als Referenz für eine Systemkritik unterschiedlicher Provenienz anbot.
Barbara Könczöl orientiert sich in ihrer Dissertation an der These, dass sich die SED mit der fast religiös überhöhten Heldenverehrung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts selbst sakralisierte, um sich als Vollenderin des kommunistischen Heilsplans zu legitimieren und gegen alle Anfechtungen zu immunisieren. In einem einführenden Kapitel geht sie folglich der Frage nach, welche theoretischen Angebote die Debatten über politische und Zivilreligionen für die Analyse der Mythenproduktion der KPD/SED bieten. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass sich die Partei nach 1945 eine von Märtyrern beglaubigte Tradition erfand, um ihren eigenen messianischen Anspruch glaubhaft vertreten zu können. Auch wenn man Zweifel anmelden kann, ob gerade die Zeitperspektive das entscheidende Distinktionsmerkmal zwischen marxistischen und nationalsozialistischen Utopien (64) ist, bieten die umsichtigen Überlegungen zum Gründungsmythos der Partei doch eine ausgezeichnete Ausgangsbasis für die folgenden Erkundungen zum Luxemburg-Liebknecht-Gedenken.
Dass Barbara Könczöl dieses bis in die Zeit der Weimarer Republik zurückverfolgt, erweist sich als ein Glücksgriff, da sich wichtige Grundmuster des Gedenkens schon seit den späten Zwanzigerjahren abzeichneten. Dazu zählen neben der problematischen Trennung zwischen Rosa Luxemburg und dem "Luxemburgismus" die Tendenz, die Parteigründerin in den Schatten Karl Liebknechts zu stellen, die Aufwertung Lenins und Thälmanns oder auch das dichotomische Freund-Feind-Denken, in dem die SPD eindeutig auf Seiten der Reaktion verortet wurde.
Noch während des Zweiten Weltkriegs konstruierten die deutschen Kommunisten im Exil eine Kontinuitätslinie von der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts bis "zu den Gräueltaten des Nationalsozialismus" (124) und dem antifaschistischen Widerstandskampf. Trotz der taktischen Öffnung zur SPD 1945 und 1946 war der Führungsanspruch der KPD damit bereits festgeschrieben worden. Während das Schlagwort des "Luxemburgismus" in den folgenden Jahren dazu diente, alle politischen Häresien anzuprangern, wurde Rosa Luxemburg gleichzeitig zum Teil einer Parteigenealogie, die Thälmann zum "legitimen Erben der beiden Parteigründer" und Wilhelm Pieck zum Bindeglied zur aktuellen Parteiführung unter Walter Ulbricht erklärte.
Wie Könczöl eindrucksvoll belegt, folgten die Bemühungen der Parteiführung, die Inszenierung Rosa Luxemburgs als Ikone von ihren theoretischen Schriften abzukoppeln, bestimmten Konjunkturen. Auf das offizielle Narrativ in Fred Oelßners Luxemburg-Biografie von 1951 folgten nach 1956 Bestrebungen, den "Luxemburgismus" als "Erfindung antikommunistischer Ideologen" abzutun und die kommunistische Revolutionärin vor diesen in Schutz zu nehmen. Nachdem die parteioffizielle Erinnerung an Rosa Luxemburg in den Fünfzigerjahren immer weiter in den Hintergrund getreten war, sorgte erst die westdeutsche Luxemburg-Rezeption in den späten Sechzigerjahren dafür, dass es die SED-Führung wagte, die Schrift über die russische Revolution in einer Ausgabe der Gesammelten Werke zu veröffentlichen. Dass sich damit keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ideen Rosa Luxemburgs verband, zeigte sich spätestens in den Achtzigerjahren, als Margarethe von Trottas Luxemburg-Film die Partei erneut auf dem falschen Bein erwischte und sie einräumen musste, dass ihr holzschnittartiges Bild der Parteigründerin auf weitaus weniger Resonanz stieß als das Filmporträt aus westlicher Produktion.
Die beiden folgenden Kapitel über die "Gedenkstätte der Sozialisten" und die alljährlichen Kampfdemonstrationen zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar greifen die eingangs formulierten Thesen der mythischen Überhöhung und Sakralisierung der Partei wieder auf. Akribisch untersucht Barbara Könczöl die Inhalte und Formen des Gedenkens in diachroner Perspektive und im Gesamtkontext der DDR-Gedenkkultur. So werden die "Gedenkstätte der Sozialisten" mit dem sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow und der KZ-Gedenkstätte Buchenwald verglichen und die "Kampfdemonstrationen" zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Rahmen des offiziellen Feiertagskalenders analysiert. Überzeugend kann die Autorin darlegen, wie sich die Parteiführung alljährlich als Erbin "von Karl und Rosa" inszenierte und inthronisierte.
Etwas mehr Aufschluss hätte man sich darüber gewünscht, wie die Rituale von der Parteibasis und dem Rest der Bevölkerung wahrgenommen wurden und welche nicht intendierten Nebenwirkungen das zwiespältige Erbe Rosa Luxemburgs hatte. Schon die verstreuten Hinweise in Barbara Könczöls Analyse machen deutlich, dass gerade Luxemburgs Kritik des Leninismus einen idealen Anknüpfungspunkt für reformkommunistische Positionen bot - angefangen von der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) in der späten Weimarer Republik über Wolfgang Harich bis zu Robert Havemann und Wolf Biermann.
Es wirkt daher wie eine Engführung der Argumentation, dass sich der Schlussteil der Untersuchung auf die Luxemburg-Rezeption in den oppositionellen Gruppierungen der späten Achtzigerjahre und die Beteiligung von Regimekritikern an der offiziellen "Kampfdemonstration der Berliner Werktätigen" im Januar 1988 konzentriert. Dass Rosa Luxemburg auch für die innerparteiliche Kritik eine wichtige Referenz blieb, wird nur knapp mit einem Hinweis auf den Leipziger Historiker Werner Bramke gestreift, könnte aber eine Erklärung dafür bieten, wie schnell es der PDS nach 1989 gelang, die Parteigründerin zur Symbolfigur eines demokratischen Sozialismus zu verwandeln.
Diese Überlegungen ändern aber nichts am Gesamteindruck des Buches. Barbara Könczöl hat mit ihrer Dissertation über das Luxemburg-Liebknecht-Gedenken einen wichtigen Beitrag zur Geschichtspolitik der SED, zu den Diskussionen um den Kommunismus als Sinnwelt sowie zu den Debatten über Diktaturen und politische Religionen vorgelegt.
Thomas Schaarschmidt