Johanna Schaffer: Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung (= Studien zur visuellen Kultur; Bd. 7), Bielefeld: transcript 2008, 200 S., ISBN 978-3-89942-993-0, EUR 24,80
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Nicht jedwede Sichtbarkeit ist geeignetes Instrument gegen Marginalisierung und Repression: Dies haben die Guerilla Girls mit ihrem scharfzüngigen Plakat-Slogan "Do women have to be naked to get into the Met. Museum?" 1989 bereits vermittelt. Die Kunsthistorikerin Johanna Schaffer hat dazu eine in theoretischer und methodischer Hinsicht äußerst präzise gearbeitete Studie verfasst, die auf einer Dissertation basiert, die an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Oldenburg eingereicht wurde. Darin untersucht sie die epistemologischen, politischen und ästhetischen Implikationen der in Hinblick auf Verteilungsgerechtigkeit artikulierten Forderung nach einem Mehr an Sichtbarkeit und fragt nach den Formen von Repräsentation, die einer wirksamen Politisierung zuträglich sind. Sie greift damit eine in feministischen, anti-rassistischen, queeren Zusammenhängen virulent diskutierte Forderung auf und führt die politische Kategorie Sichtbarkeit in den Bereich der Visualität, der künstlerischen und theoretischen Auseinandersetzung mit Phänomenen des Visuellen und der Ästhetik zurück, der seinerseits politisiert wird. Und sie verortet sich im Bereich der Studien zur visuellen Kultur im Anschluss an Irit Rogoff und Nicholas Mirzoeff und nimmt in ihre Überlegungen zu Dominanzverhältnissen auch disziplinäre Übergänge zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft, zwischen Inter- und Transdisziplinarität herein. Die hier vorgefundenen Grenzziehungen werden explizit thematisiert, nicht implizit bestätigt. Es handelt sich mit dem Forschungsfeld visuelle Kultur nicht nur um eine politisierte Bildwissenschaft, sondern auch um eine herrschafts- und damit geschlechterkritische Analyse auch des Sehens, der Konstitution und theoretischen Aufladungen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Wider "Bildpaniken" (44) entwickelt Johanna Schaffer aus dem Dilemma zwischen Repräsentationseuphorie einerseits und Repräsentationskritik andererseits die theoretische Figur einer "anerkennenden Sichtbarkeit" (19), die dem Problem der Bestätigung minorisierter Subjektpositionen gerade durch deren Darstellung, wie es in kritischen Theorien zu Fotografie und Dokumentarismen vielfach besprochen worden ist, entkommt. Über die Figur der aktiven "Belehnung mit Wert" (20) mit Judith Butler (152 ff.), der konsequenten Frage nach der je spezifischen Art und Weise der Repräsentation, der spezifischen Verflechtung von Symbolischem, Imaginärem und Politischem, entgeht Schaffer damit auch der äußerst unproduktiven Separierung von Kultur und Ökonomie.
Auch die Herangehensweise ist getragen von Anerkennung: So wird der Diskurs um Sichtbarkeit und das darin eingeschlossene Verhältnis zu Unsichtbarkeit nicht nur respektvoll aus den so unterschiedlichen Feldern von Wissensformation heraus entwickelt, auch die kategorialen Setzungen, Begriffe wie Repräsentation, Visualität, Stereotypie und Hegemonie, Subjektivität, schließlich Idealisierung, Übersetzung und Anerkennung werden präzise aus dem breiten Aktionsfeld verschiedenster herrschaftskritischer Autorinnen und Autoren mit Schwerpunkt aus dem feministisch-queeren und postkolonialen Bereich abgeleitet. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei den Film-Theoretikerinnen Kaja Silverman und Teresa de Lauretis - mit ihren Überlegungen zu den Produktionsweisen von Normativität im Feld des Visuellen und den entwickelten Gegenstrategien (Idealisierung, produktives Blicken, space-off) - wie auch Judith Butler mit ihren Überlegungen zu den Prozessen der Anerkennung zu: Wo das Blicken selbst als wertkonstituierend und normengeleitet aber zumeist unbewusst verstanden wird, stellt sich die Frage, wie überhaupt in derart Entwertungen reproduzierende und doch subjektive Praxen interveniert werden kann. Ausstellen, Zeigen, Wahrnehmen minorisierter Subjektpositionen allein können der erneuten Bestätigung nicht Einhalt gebieten; deshalb theoretisiert Johanna Schaffer mit genannten Autorinnen und Autoren - psychoanalytisch informiert - reflexive und widerständige Praxen der aktiven, von Begehren geleiteten Bedeutungsgebung.
Sowohl die Fragestellung als auch die Einwände gegen ein Mehr an Sichtbarkeit sind aber deutlich aus dem visuellen Material selbst entwickelt und werden stufenweise auch anhand verschiedener Register von Bildlichkeit diskutiert, die im Anspruch übereinkommen, minorisierte Positionen durch das Zu-Sehen-Geben demokratiepolitisch zu stützen. Dabei wird in einem ersten Schritt das in Anlehnung an Deniz Göktürk so bezeichnete "Migrant_innendrama" (63 ff.) als TV-Genre kritisch analysiert, das "bedingte Anerkennung" (60) verleiht, im "Stereotypisieren" (62) (Stuart Hall) vor allem auch der Geschlechterpositionen eine souveräne Subjektkonstruktion aber unangetastet lässt, ja diese bestätigt. In einem weiteren Schritt werden zwei Plakatkampagnen im öffentlichen Raum differenziert, die mittels Portraifotografie "Blickobjekthaftigkeit" (104) (Laura Mulvey) und Vereinzelung reifizieren und somit als Regulativ von Sichtbarkeit durch die Zuweisung eines gesellschaftlichen Ortes fungieren. Und schließlich werden anhand einiger Portraitfotografien von Catherine Opie und Del LaGrace Volcano die "Visuellen Strukturen der Anerkennung" reformuliert: Gemäß der Erkenntnis, dass auch gegen-hegemoniale Setzungen innerhalb der Rahmung von Hegemonialität agieren, werden dabei als Strategien einer wirksamen Affirmierung, die in das Feld der visuell gestützten Normenbildung intervenieren, ohne dies neutralisieren zu können, die Verfahrensweisen "Besetzen" (Opie) (128 ff.) und "Auffalten" (Del La Grace Volcano) (130 ff.) herausgearbeitet. Die "Ambivalenzen der Sichtbarkeit" werden - mit diesen Strategien argumentiert - nicht in eine nebulose Grauzone überführt, aber in Richtung einer Praxis der Übersetzung, einer "aneinander hin"-Übersetzung (154) von Texten und Kontexten, einer Praxis von "emphatisch" (162) distanzierter Bedeutungsgebung, die öffnet, anstatt zu schließen und sich den Risiken in Hinblick auf die eigene Positionalität aussetzt.
Johanna Schaffer plädiert damit für eine reflexive und selbst-reflexive Praxis von sowohl Sehen und Blicken als auch Darstellen und Zeigen, Prozesse die allesamt als historisch, politisch und sozial generiert zu verstehen sind. Sie weist damit einen Weg hin zu einer gesellschaftspolitisch relevanten Auseinandersetzung mit den spezifischen Strukturen und Effekten von Bildern und unterstreicht so auch die nicht zu unterschätzende Verantwortung derer, die sich als visuell kompetent verstehen.
Edith Futscher