Rezension über:

Anabelle Kienle: Max Beckmann in Amerika (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 57), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2008, 190 S., ISBN 978-3-8656-8243-7, EUR 39,95
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Françoise Forster-Hahn: Max Beckmann in Kalifornien. Exil, Erinnerung und Erneuerung (= Passerelles; Bd. 9), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, 96 S., ISBN 978-3-422-06733-2, EUR 14,80
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Rezension von:
Olaf Peters
Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Olaf Peters: Max Beckmann in Amerika (Rezension), in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/16218.html


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Max Beckmann in Amerika

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Die amerikanische Zeit Max Beckmanns, der nach zehnjährigem Exil in Amsterdam 1947 nach Saint Louis übersiedelte, stellte bis vor kurzem einen überraschenden weißen Fleck in der Beschäftigung mit dem deutschen Maler dar. Sie ist erst in jüngster Zeit genauer untersucht worden, auch wenn sie in Monografien und Retrospektiven sowie der kunsthistorischen Exilforschung immer wieder in Form von Lebenserinnerungen, Überblicken oder exemplarischen Einzelstudien thematisiert worden ist [1]. Mit Anabelle Kienles Münsteraner Dissertation aus dem Jahre 2005 liegt jetzt die erste systematische wissenschaftliche Bearbeitung des Themas vor, die glücklich von einem knappen, aber subtil-gedankenreichen Essay Françoise Forster-Hahns ergänzt wird.

Kienles mit 150 illustrierten Seiten nicht sehr umfangreiche Arbeit besteht aus zwei Teilen, von denen der erste Beckmanns Vorstellungen von Amerika, seine frühen Erfolge und seine Rezeption als auch seine persönlichen Kontakte untersucht (11-61). Der zweite Teil (63-156) widmet sich dem zwischen 1947 und 1950 entstandenen malerischen amerikanischen Werk. Das vergleichsweise opulent aufgemachte und gut illustrierte Buch wird die solide Grundlage jeder zukünftigen Beschäftigung mit der amerikanischen Zeit Beckmanns sein, informiert es doch auf der Basis der zum Teil verstreuten oder nicht zugänglichen Literatur (z.B. Magisterarbeiten) und zahlreicher unpublizierter Quellen. Vor allem dieser erste Teil der Studie überzeugt durch die genaue Aufarbeitung der "amerikanischen Karriere" Beckmanns, angefangen mit der ersten amerikanischen Einzelausstellung des Malers bei seinem langjährigen Händler Israel Ber Neumann im Jahre 1927 über seine Beteiligung an der bahnbrechenden Ausstellung German Painting and Sculpture im MoMA 1931 bis zum kunsthändlerischen Engagement Curt Valentins und der wichtigen Ausstellung im Saint Louis Art Museum 1948. Hier kann man sich vorzüglich über die Ausstellungen, die Rezeption und Beckmanns Netzwerk informieren, wobei der künstlerische Kontext von seiner Position bis auf wenige Hinweise auf die Beliebtheit von Picasso oder Matisse ausgeblendet bleibt.

Es gehört zu den Schwächen der Arbeit, dass Kienle bei der Analyse und Interpretation des amerikanischen Oeuvre leider nicht aus dem primär motivgeschichtlichen und rezeptionsgeschichtlich-biografischen Ansatz auszubrechen vermag. Nach kurzen, wenig vertieften Hinweisen zu formalen Veränderungen in Beckmanns Malerei, die Farbe, Kontur und Raum betreffen (65-80) werden einige Motivkomplexe (z.B. die Stilleben), die Porträtarbeiten sowie die Selbstbildnisse erörtert. Zu einer wirklich intensiven Durchdringung von Beckmanns Schaffen kommt Kienle aber nicht. Zu additiv erscheint die Anlage der Arbeit, überzeugend sind allein die mitunter erhellenden Vergleiche mit den Hauptvertretern der Pariser Schule, etwa, wenn die Farbigkeit von Matisse' Gemälde Sitzender Akt mit Tamburin (1926) mit Beckmanns aufreizender Frau mit Mandoline in Gelb und Rot (1950) oder seine Frau vor Aquarium (1921/23) mit Beckmanns kraftvollem Bild Schlafende Frau mit Fischglas (1948) verglichen wird. Wenn anschließend Beckmanns eigene Positionsbestimmung in den USA anhand seiner Lehrtätigkeit und seines wichtigen Vortrags Drei Briefe an eine Malerin (1948) behandelt wird, fällt auf, dass Kienle weder eine Beeinflussung durch die zeitgenössische amerikanische Avantgarde in Erwägung zieht - warum sollte Beckmann nicht ähnlich sensibel wie George Grosz auf den 1948 beginnenden Starruhm von Jackson Pollock reagiert haben? - noch eine Problematisierung der Exilerfahrung - selbst wenn man den Begriff hier in Frage stellen möchte - vornimmt. Dass Beckmann in Amerika bewusst provozierend seine kulturkritischen Ansichten der Weimarer Republik aktualisiert, wird gar nicht erwähnt. Überdies hat Kienle die Literatur zu den Themenkreisen des künstlerischen Exils in Amerika (und seien es nur die Erfahrungen von Albers oder Grosz in den USA) und der amerikanischen Geschichte im 20. Jahrhundert nicht berücksichtigt und dies dürfte man bei einer Dissertation, die sich ausschließlich mit der Thematik "Beckmann in Amerika" beschäftigt, allerdings erwarten.

Wie anders man sich dem schwierigen Komplex von Beckmanns amerikanischer Kunst nähern kann, zeigt Françoise Forster-Hahn mit ihrem schmalen, ca. 60 Textseiten umfassenden Band. Er beschäftigt sich vorrangig mit der kalifornischen Zeit Beckmanns, die in seinem letzten Lebensjahr vor allem vom Lehraufenthalt im Sommer 1950 am Mills College in Oakland/Kalifornien geprägt war. Der Essay ist überaus lesenswert und klug konzipiert, denn genauere Werkanalysen, etwa zum Triptychon The Beginning, heute im New Yorker Metropolitan Museum of Art, wechseln sich mit grundsätzlichen Erörterungen zur Erfahrung des Exils und biografischen Skizzen zum Schicksal des Künstlers ab. Den Anfang macht dabei ein kurzes Kapitel mit dem Titel Die Dialektik des Exils, dem Forster-Hahn die Erörterungen des Medientheoretikers Vilém Flusser zugrunde legt, der die Durchdringung von alt und neu, vergangen und gegenwärtig im Zustand des Exils nicht zuletzt vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen beschrieben hat. [2] Die Analyse des Triptychons The Beginning (1946-1949), das noch in Amsterdam begonnen, aber erst drei Jahre später in den USA beendet wurde, verdeutlicht die Verschränkung von Kindheit und Exilerfahrung an einem der Hauptwerke Beckmanns - hier bietet sich übrigens der direkte Vergleich mit Kienle an, die das Bild knapp und vergleichsweise oberflächlich behandelt (s. Kienle, 139-145). Aber auch Überarbeitungen, wie die Veränderung einer Ansicht von Baden-Baden zur Bergbahn in Colorado (1937/49), oder das erneute Signieren von Bildern, wobei die gotische Schrift durch römische Buchstaben überschrieben werden konnte (60 f.), geraten der Autorin in den Blick. Sie erhärten die Abwendung von der Selbststilisierung als "deutscher Maler" und die erneuerte internationale Ausrichtung des Künstlers, der dies in dem schönen Wort vom "Heimatgefühl im Kosmos" fassen sollte, im Detail (78).

Forster-Hahn geht in anderen Kapiteln wie Kienle auf das kunsthändlerische und intellektuelle Netzwerk Beckmanns ein, der in Kalifornien keineswegs auf ein unvorbereitetes Publikum traf, sondern eine illustre Gemeinde besaß, die sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Werken vertraut gemacht hatte. Dazu zählte z.B. der ausgebildete Kunsthistoriker und Horrorfilmstar Vincent Price, dessen Garten Beckmann in seinen Briefen als Paradies beschrieb. Neben den vertrauten Namen wie Curt Valentin, Stephan Lackner oder William Valentiner sind es Figuren wie Price oder der Händler Frank Perls, die von der Autorin kurz beleuchtet werden und dies wird kunstvoll verwoben etwa mit einem Exkurs zu Galka Scheyer. Sie, die sich für die Maler des Blauen Reiters und des Bauhauses in Kalifornien einsetzte, ließ sich von Richard Neutra ein Haus in den Hollywood Hills bauen, anhand dessen Forster-Hahn der Erfahrung des Exils in den USA nachspürt (44-46). Dies geschieht so souverän und anregend, wie es vielleicht nur in der Form des Essays zu leisten ist. Wenn freilich Flussers von Forster-Hahn zitierte Aussage, dass das Exil, "wie immer es auch geartet sein möge, [...] die Brutstätte für schöpferische Taten, für das Neue ist", dann muss man auch den Versuch unternehmen, das Neue, in diesem Fall das Neue der Malerei Beckmanns herauszupräparieren. Forster-Hahn deutet das in der knappen Form an, Kienle ist dies trotz anderslautender Absichtserklärung leider kein wirkliches Anliegen ihrer gleichwohl informativen Studie. Die spezifische ästhetische Konkretionsform der individuell erfahrenen und mitunter erlittenen Exilerfahrung wird nicht zureichend analysiert.


Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Barbara C. Buenger: Max Beckmann in Paris, Amsterdam und den USA, in: Ausst.-Kat. Exil. Flucht und Emigration europäischer Künstler 1933-1945, hg. von Stephanie Barron, Los Angeles County Museum of Art und Nationalgalerie, Berlin/München 1997, 58-67.

[2] Vgl. Vilém Flusser: Exil und Kreativität, in: ders.: Von der Freiheit des Migranten. Einsprüche gegen den Nationalismus, Berlin 2000, 103-109, 109.

Olaf Peters