Roger S. Bagnall (ed.): Egypt in the Byzantine World, 300-700, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xv + 464 S., ISBN 978-0-521-87137-2, GBP 55,00
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R.S. Bagnall ist ein ausgewiesener Spezialist für die Geschichte des nachpharaonischen Ägypten der Antike. Auch wenn der vorliegende, von ihm herausgegebene Sammelband zum spätantiken Ägypten nicht den Titel "Companion to ..." trägt, so hat er doch den gleichen Charakter. Das bedeutet, dass häufig nicht so sehr neue Erkenntnisse und Interpretationen geboten werden, sondern ein Schwerpunkt auf der Strukturierung und Präsentation der jeweiligen Themen liegt. Eingeordnet sind die insgesamt 21 Aufsätze, von denen hier nur einige wenige exemplarisch vorgestellt seien, in vier Großkapitel.
Kapitel I beschäftigt sich mit der "Culture of Byzantine Egypt". Hier besticht besonders der erste Beitrag von Alan Cameron zu "Poets and pagans in Byzantine Egypt", der gleichsam eine famose Eröffnung des Themenbandes bildet. Er beginnt mit der Feststellung, dass sich, entgegen der vielbeachteten Arbeit von Frankfurter ("Religion in Roman Egypt"), kein Beleg für einen paganen Widerstand im frühen christlichen Ägypten finden lasse. Die spätantiken Philosophen sind eine kleine Minderheit, die sich zudem noch gegenseitig bekämpfte, sie können also nicht als Beleg für die These des paganen Widerstandes gelten. Christliche Heiligenviten sind hingegen von ihrem Quellen- und Aussagewert her äußerst problematisch und vor allem Zeugen eines christlichen Triumphalismus. Nach diesen wichtigen Präliminarien geht es Cameron um die "pagan culture" dieser Zeit, womit er vor allem die nichtchristlichen Bildungsinhalte meint. Es ist festzustellen, dass sich Christen ganz besonders für diese Kultur interessierten - sie war ein wichtiger Bestandteil der paideia. Cameron kommt zu dem Ergebnis, dass "most of the classicizing poets" dieser Zeit Christen und nicht Heiden waren - als solche wurden sie höchstens von ihren (häufig strenggläubigen) christlichen Gegnern stigmatisiert. Auch der letzte Beitrag dieses Kapitels ist lehrreich. F. Dunand, "Between tradition and innovation: Egyptian funerary practices in late antiquity", zeichnet nämlich ein hochinteressantes Bild ägyptischer Begräbnispraxis römischer und spätantiker Zeit. Christen wurden bis ins 7. Jh. weiter mumifiziert, nur änderte sich die Technik der Mumifizierung. Natürlich hatte das aber nichts mehr mit pagan-ägyptischen Vorstellungen vom Weiterleben nach dem Tod zu tun, sondern man knüpfte hierbei an den Gedanken der leiblichen Wiederauferstehung an. Es wurden den Toten teils sogar weiterhin Gaben ins Grab mitgegeben und in einem Beispiel konnte ein apokalyptischer Text die Funktion des "Totenbuchs" übernehmen. Daneben gab es in Ägypten aber auch christliche Stimmen, die sich gegen die Mumifizierung wandten.
In Kapitel II "Government, environment, society, and economy", beschäftigt sich J. Beaucamp mit "Byzantine Egypt and imperial law" und der häufig gestellten Frage, inwiefern und auf welche Weise reichsweite Gesetzgebung auch in Ägypten Berücksichtigung fand. So gibt es einerseits die Auffassung, dass seit Justinian das römische Recht verstärkt zur Anwendung gebracht wurde, und andererseits die Position, dass in Konstantinopel formuliertes Recht in Ägypten nicht berücksichtigt wurde. Beaucamp kommt, wie man es gern bei konträren Ansichten macht, zu dem Ergebnis eines "weder noch". Sie neigt trotzdem der ersten Ansicht zu, weil sich viele Texte mit Bezug auf das Reichsrecht finden lassen. Die gesamte Situation sei aber äußerst komplex: Man konnte sich schließlich auf Recht berufen, ohne es anzuwenden oder es manipulieren oder gar eine Regel in ihr Gegenteil verkehren. Es gab aber keinesfalls eine ägyptenspezifische Opposition gegen außerägyptisches Recht - Ägypten war kein Sonderfall. Am Thema und dem Sinn des Themenbandes vorbeigeschrieben ist hingegen der Beitrag von T.G. Wilfong, "Gender and society in Byzantine Egypt". Er stellt nur die verschiedenen Möglichkeiten der Genderforschung vor (etwa masculinity studies oder queer theory) und gibt dann an, in welchen Bereichen hier vielleicht Anwendungsmöglichkeiten für das spätantike Ägypten möglich sind: Es sind vor allem der ägyptische Monastizismus, aber auch Privatarchive und Graffiti. Das ist banal; der Beitrag ist deshalb, gerade im Gesamtrahmen des häufig in die Tiefe historischer Interpretation gehenden Bandes, enttäuschend. Damit ist gleichzeitig die Chance vertan worden, diese interessanten Fragestellungen auch für das spätantike Ägypten fruchtbar zu machen.
Kapitel III "Christianity: The church and monasticism", beginnt mit einem äußerst wichtigen Thema, nämlich der "Institutional church" von E. Wipszyckas. Umso unverständlicher ist aber, dass die Verfasserin in ihrer Beschreibung nur in besonderen Fällen auf die Quellen oder Sekundärliteratur hinweist. Es heißt meist nur "our sources" oder "modern historians". Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil der Beitrag eine schöne Synthese bietet, die auf diese Weise nur schwer nachvollziehbar und überprüfbar wird. Methodisch gut gelungen ist der Beitrag von A. Papaconstantinou, "The cult of saints: A haven of continuity in a changing world?". Sie weist zunächst auf das Problem hin, dass hagiographische Quellen wesentlich später entstanden sind als die Ereignisse, über die sie zu berichten vorgeben. Papaconstantinou stellt die "outlines" der allgemeinen Entwicklung von Heiligenkulten seit der Mitte des 5. Jahrhunderts vor, weil sie sich erst seit dieser Zeit jenseits des hagiographischen Schrifttums nachweisen lassen. Jede Stadt und jedes Dorf hatte Lokalheilige, deren Feste das Leben strukturierten. Zum Ende des 6. Jahrhunderts traten die Heiligen, die in Klöstern verehrt wurden, zu diesen in Konkurrenz. Ebenso begegnen auch erst seit dieser Zeit vermehrt heilige Mönche - es lässt sich also eine bisher wenig untersuchte "monasticization" des Heiligenkultes bemerken. Auch der Kult der Heiligen erfuhr trotz vieler Kontinuitäten Änderungen. Die Heiligen erhielten etwa immer elaboriertere Titel. Zudem änderte sich die Schwerpunktsetzung der Heiligenvitae von der Konversionsleistung hin zu den finanziellen Aufwendungen, die der Heilige von Gläubigen für die Gemeinschaft erwartete und den Strafen bei Nichteinhaltung solcher Verpflichtungen.
Sehr erfreulich ist, dass Kapitel IV "Epilogue" mit nur einem Aufsatz von P.M. Sijpesteijn noch "The Arab conquest of Egypt and the beginning of Muslim rule" in den Blick nimmt. Die Eroberung war keine Eroberung mit all ihren negativen Folgen für die Bevölkerung sondern auf lokaler Ebene "a treaty-based session"; es gab keinen wirklichen Widerstand. Die Verwaltung blieb personell erhalten, wurde aber besser von oben überwacht. Das Land wurde nicht an die Eroberer verteilt - die Bevölkerung entrichtete Abgaben. Das Weiterleben und -wirken der spätantiken Kultur Ägyptens war damit möglich.
Bagnall, der nicht selbst mit einem eigenständigen Beitrag in seinem Band vertreten ist, bietet zu Anfang eine Einleitung, in der er versucht, verbindende Fäden zwischen den Aufsätzen zu ziehen. Es lässt sich jedoch, wie er feststellt, für die drei Jahrhunderte in keiner Weise zu generalisierenden Aussagen kommen, sowohl in chronologischer als auch in geographischer, kultureller und religiöser Perspektive. Das einzige verbindende war der Zugriff der kaiserlichen Verwaltung auf die Ressourcen des Landes ebenso wie das Reichsrecht tief in den Strukturen der ägyptischen Gesellschaft verwurzelt war und natürlich das Militär einer einheitlichen Organisation unterlag - also das, was ein "imperial framework" bildete.
So bleibt festzuhalten, dass man in derzeit keinem anderen Buch einen besseren und aktuelleren Überblick über den Forschungsstand und die Forschungen zum spätantiken Ägypten erhält. Die Aufsätze sind fast durchwegs gut verständlich geschrieben und stammen von ausgewiesenen Spezialisten zu den jeweiligen Themen. Das, was deshalb wirklich fehlt und gerade für ein Überblickswerk ungemein wichtig ist, wäre ein Index der zitierten Quellen.
Anmerkung:
[1] Vgl. die Rezensionen http://bmcr.brynmawr.edu/2008/2008-09-57.html von Shawn W.J. Keough und http://www.bookreviews.org/pdf/6510_7040.pdf von D. Frankfurter.
Stefan Pfeiffer