Michael Epkenhans: Tirpitz. Architect of the German High Seas Fleet (= Military Profiles), Washington: Potomac Books 2008, xii + 107 S., ISBN 978-1-57488-732-7, USD 13,95
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Alfred von Tirpitz, Großadmiral und Politiker und als Staatssekretär im Reichsmarineamt verantwortlich für den Bau der kaiserlichen Hochseeflotte, gehört zweifelsfrei zu den schillerndsten Persönlichkeiten des wilhelminischen Deutschland. Als Ideenspender und "Architekt" der Hochseeflotte verkörperte er wie kein Zweiter den deutschen Anspruch, zu den Weltmächten der Jahrhundertwende aufzuschließen und für Deutschland einen "Platz an der Sonne" zu reklamieren. Unzählige Werke haben sich bisher mit der deutschen Flottenrüstung und dem als "Tirpitz-Plan" bekannten Ziel einer deutschen Schlachtflotte beschäftigt. Umso überraschender ist es, dass Tirpitz selbst bisher nur selten zum Hauptgegenstand einer Untersuchung gemacht wurde und zu ihm anders als zu vielen seiner politischen wie militärischen Weggefährten bis heute keine, auf breiter Quellengrundlage basierende, moderne Biographie existiert.
Michael Epkenhans, fraglos einer der besten Kenner der wilhelminischen Flottenrüstung, widmet sich nun dem Großadmiral des Kaisers. Allerdings, dies sei gleich vorab gesagt, vermag seine, als kursorische Skizze angelegte Betrachtung die Lücke einer groß angelegten Tirpitz-Biographie sicher nicht zu schließen. Vielmehr geht es der Reihe, Potomac's Military Profiles, darum, einen "starting point" zu liefern, der zu weiterer Beschäftigung anregen will. Gewohnt souverän skizziert Epkenhans so auf engstem Raum die Lebensstationen und den Werdegang Alfred von Tirpitz', von der Jugend (1-3), den ersten Schritten auf der Karriereleiter (5-13) und den grundlegenden Erfahrungen und Einsichten zur Seemacht (15-22), bevor er sich der Flottenrüstung zwischen 1897 bis 1916 ausführlicher nähert (23-56). Der Autor entwirft dabei das Bild eines insgesamt völlig gescheiterten Wirkens und rundet seine Betrachtung mit Tirpitz' Abstieg noch während des Krieges (57-71) und der bisher eher weniger beachteten Phase als nationalistischer und republikfeindlicher Politiker in der Weimarer Zeit ab (73-83).
Den Schwerpunkt bilden dabei ohne Frage der Aufbau der deutschen Hochseeflotte und die daraus resultierende deutsch-englische Rivalität. Epkenhans lässt dabei keinen Zweifel an der, gerade in der deutschen Forschung noch immer vorherrschenden Meinung, dass Tirpitz' "Risikoflotte" darauf abzielte, "to revolutionize the international system by replacing the Pax Britannica with a Pax Germanica" (34). Die deutsche Flottenpolitik, so ist sich der Autor gemeinsam mit Paul Kennedy einig, vergiftete das anglo-deutsche Verhältnis und zeichnete sich letztlich für den Kriegsausbruch verantwortlich (56). Allerdings fällt es Epkenhans sichtlich schwer, diese Einschätzung empirisch sicher zu belegen. Tirpitz, so muss er selbst einräumen, "never fully revealed his ultimate aims" (34). Auch ausländische Einschätzungen, wie diejenige des österreichischen Botschafters in Berlin während der Bundesrath-Affäre (1899-1900) wirken letztlich nicht ganz unproblematisch, schließlich ging es gerade Wien auch darum, sich zwischen Berlin und London als Vermittlungsinstanz zu profilieren. Logischer erscheint dem Leser da schon der Hinweis auf die englische Reaktion, die Umgruppierung der Flotten in Richtung Heimatgewässer, die 1904 einsetzende Ententepolitik oder der Dreadnoughtsprung von 1906 (37-39).
Epkenhans folgt damit dem etablierten Interpretationsmuster aus deutscher Aktion und britischer Reaktion und bewegt sich damit auf dem Terrain allgemeiner Deutungen. [1] Jüngere, vom Autor leider nicht hinzugezogene Studien, haben dieses Erklärungsmuster jedoch in den letzten Jahren eindrucksvoll und quellengesättigt widerlegt. Während der jahrzehntelange Fokus auf die Intentionen der Hochseeflotte, die englische Außen- und Sicherheitspolitik als logisch erscheinen ließ, folgte sowohl die Umgruppierung, der Bau der Großkampfschiffe wie auch die Ententepolitik gegenüber Frankreich und Russland wohl vielmehr eigenen, von Deutschland unabhängigen innen- und empirepolitischen Vorgaben. [2] Eine Beachtung oder auch kritische Auseinandersetzung mit diesen neueren Erklärungsansätzen hätte hier sicher auch zu einer differenzierteren Bewertung von Tirpitz und seiner "Risikoflotte" führen können. Zumal Epkenhans selbst Tirpitz völlig zu Recht eher als politische Größe, denn als Seemann charakterisiert. So drängt sich beispielsweise die Frage auf, warum der Großadmiral als Torpedo-Mann und "Man of New Ideas" (15-22) den völlig veralteten Aussagen Mahans zum 18. Jahrhundert folgte, während ausgerechnet die Experten der als Vorbild betrachteten Royal Navy, allen voran John Fisher und Julian Corbett, diese für "nonsense" erklärten und auf neuere Technologien setzten. [3]
Für Tirpitz, dies wird bei Epkenhans klar, ging es vor allem um den propagandistischen Erfolg. Er folgte dem sozialdarwinistischen Zeitgeist und weniger marinetechnischen Erkenntnissen (16f.). Statt, wie Fisher auf neue Technologien wie Torpedoboote, Schlachtkreuzer und Unterseeboote zu setzen, ließ er eine Schlachtflotte bauen und folgte damit seinem politischen Instinkt. Schließlich galten die Großkampfschiffe eher als Prestigeobjekte, zumal die, angesichts zunehmender Technisierung unbedarften Politiker wie auch die Bevölkerung vielmehr durch Masse und Großprojekte denn durch komplizierte Details und Qualität zu beeindrucken waren. Was aber sagt es über den ersten Admiral des Kaiserreiches wie auch dessen Hochseeflotte aus, wenn sie eher populären Theorien zum 18. Jahrhundert, denn neuesten Erkenntnissen folgte? Verbargen sich dahinter bloß die durch die verbreitete Weltreichslehre verblendeten Wunschvorstellungen der wilhelminischen Generation? War es vielleicht sogar Ausdruck eines tiefer sitzenden deutschen Marinedilettantismus, der zwar von Seemacht träumte aber insgeheim eher in kontinentalen Kategorien dachte? Tirpitz hatte vielleicht nicht umsonst seinen Landsleuten vorgeworfen, das Meer nicht zu verstehen (73). Und schließlich, handelte es sich bei der Hochseeflotte wirklich um ein Instrument für eine Konfrontation mit der Royal Navy, oder vielleicht doch vielmehr um eine politische Waffe sowohl nach innen wie nach außen? Obwohl für Epkenhans die Antwort hierauf als gesichert erscheint, ergeben sich aus seiner Profilskizze gerade im Lichte neuerer Forschungen also weitere interessante Fragestellungen.
Gleichwohl hätten einige Flüchtigkeiten vermieden werden können. So führte eben nicht der zum Zeitpunkt der deutsch-englischen Marinegespräche bereits längst verstorbene ehemalige Seelord George Goschen, sondern sein jüngerer Bruder, der Botschafter Edward Goschen, die Verhandlungen für London (42f.). Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, da die Verhandlungen gerade aus diesem Grunde einen betont diplomatischen Anstrich im Sinne der jüngeren, ausdrücklich deutschfeindlich gesinnten Foreign Office Elite erhielten. George Goschen indes war eher für einen nüchternen militärischen Ansatz bekannt. Auch wurden die Großkampfschiffe der Bayern-Klasse nicht wie angegeben schon vor dem Krieg, sondern erst 1916 fertiggestellt. Aufgrund ihrer geringeren Geschwindigkeit zogen sie auch keineswegs mit der Elisabeth-Klasse, der vor allem auf Geschwindigkeit setzenden Royal Navy gleich (39), sondern waren dieser wie auch die Nassau-Klasse von Anfang an qualitativ unterlegen.
Ungeachtet dieser Ungenauigkeiten weist die biographische Skizze, nach Michael Salewskis Arbeit von 1979 [4] erneut darauf hin, dass eine groß angelegte Studie zum "Architekten" der Schlachtflotte auf der Höhe der aktuellen internationalen Forschung längst überfällig ist.
Anmerkungen:
[1] Klaus Hildebrand: "Staatskunst und Kriegshandwerk". Akteure und System der europäischen Staatenwelt vor 1914, in: Hans Ehlert u.a. (Hgg.): Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente, 2. Aufl., Paderborn 2007, 21-43, 28.
[2] Jon Tetsuro Sumida: Sir John Fisher and the Dreadnought: The Sources of Naval Mythology, in: Journal of Military History 59 (Oktober 1995), 619-638; Nicholas A. Lambert: Sir John Fisher's Naval Revolution, Columbia 1999; Jan Rüger: The Great Naval Game. Britain and Germany in the Age of empire, Cambridge 2007.
[3] Fisher an Tweedmouth, 5.10.1906, zit. nach: Arthur Marder: Fear God and Dread Nought, Bd. 2, Nr. 51, 95-7; James Thursfield an George Clarke, 25.11.1898, News International Archive, Nachlass Thursfield.
[4] Michael Salewski: Tirpitz: Aufstieg, Macht, Scheitern, Göttingen 1979.
Andreas Rose