Bernhard Maaz (Hg.): Im Tempel der Kunst. Die Künstlermythen der Deutschen, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008, 164 S., ISBN 978-3-422-06853-7, EUR 29,90
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Das vorliegende Buch, ein Ausstellungskatalog der Staatlichen Museen zu Berlin 2008/2009, ist Teil des umfassenden Zyklus "Kult des Künstlers", der unter der Leitung von Peter-Klaus Schuster organisiert wurde. Der eigentliche methodische Ansatzpunkt der vorliegenden Publikation verbirgt sich im Untertitel mit der Bezeichnung "Die Künstlermythen der Deutschen", die allerdings in der Publikation nicht wirklich durchgehend erklärt wird. Wenn Mythen Ansammlungen symbolischen Kapitals sind und diese Orientierung schaffen und Zuversicht spenden sollen, dann beschreibt die "Mythomotorik" die Träger, Orte und Räume aus dem Arsenal der Geschichte. Mythengeschichte ist demnach immer auch Mentalitätsgeschichte, allerdings in der doppelten Bedeutung des Genitivs - Mythen über Künstler und Mythen der Künstler. Hinter dem Begriff "Künstlermythen" verbirgt sich aber ein Konzept, das den Begriff "Mythen" nur punktuell begründet: Peter-Klaus Schuster zufolge soll nicht der triumphierende "Mythos der obsiegenden Moderne im Panorama der Kunst des 19. Jahrhunderts" (7) in den Blick genommen, sondern vielmehr die "Brüche des Jahrhunderts" (7) deutlich gemacht werden. Der Ausstellungsort selbst, die Alte Nationalgalerie, erhält hier die Funktion eines "Überbau[s] zu den Künstlermythen der Deutschen" (8). Die im 19. Jahrhundert als "ästhetische Kirche der Nation" konzipierte Galerie, welche einer kultischen Verehrung der Kunst Raum geben sollte, ist hier gleichsam das Gehäuse, in dem sich nun diese Problematisierung einer kultischen Kunstgeschichte der Deutschen abspielt. Wenn Schuster im Rahmen seiner Einführung in quasi-emphatischer Weise auf die Heilsfunktion der Kunst, "In einem Jahrhundert der Brüche, der Zweifel und der Zwecke rettet uns - so der Künstlermythos der Deutschen von Goethe bis Beuys - allein die Kunst!" (8), verweist, dann wird deutlich, wie dem Konzept der Ausstellungsmacher den "Künstlermythen" eine affirmative und legitimierende Funktion zugrunde liegt. Dies mag angesichts der Tatsache erstaunen, dass die Problematisierung dieser Frage in der Vergangenheit in den letzten Jahren unter ganz anderen Gesichtspunkten thematisiert wurde. Neben der weit ausgreifenden Streitschrift Werner Hofmanns ("Wie deutsch ist die deutsche Kunst?", 1999) hat vor allem Hans Belting im gleichen Jahr in seiner Publikation "Identität im Zweifel" mit kritischer Distanz von der deutschen Identität und "ihrer" Kunst geschrieben. Nicht zuletzt ist das Problem der Identitätssuche der Deutschen und "ihrer" Mythen durch Herfried Münklers monumentale Publikation "Die Deutschen und ihre Mythen" (2009) jüngst wieder in den Blickpunkt geraten - also nun nochmals eine Abhandlung zur deutschen Identitätssuche?
Der Katalog handelt in kurzen Abschnitten die wichtigsten Fragestellungen zur Künstlerikonografie vom Porträt bis zum Malerfürsten und zur Künstlergemeinschaft ab und behandelt diese vor allem vor dem Hintergrund der Werke der Nationalgalerie. Bernhard Maaz nimmt in seiner Einleitung "Künstlermythen" (10-27) auf die Fragen des Künstlermythos Bezug, stellt aber die Bedeutung einer - jede Mythen relativierenden - "Künstlergeschichte" in den Vordergrund. Wie angesichts der in der Antike und in der Frühen Neuzeit formulierten Künstlerverehrung im 19. Jahrhundert reagiert wurde, stellt Maaz anhand kurzer Texte vor, die von der Verherrlichung des Künstlers über das Verhältnis zu weltlichen Potentaten bis hin zu Selbstbild und Selbstironie am Ende des Jahrhunderts reichen. Das Panorama entfaltet sich von dem apodiktischen Selbstbekenntnis Asmus Jakob Carstens' als der "Menschheit" und nicht der Berliner Akademie zugehörend bis zu "Hofkünstlern" im Sinne Anton von Werners. Es ist deshalb richtig von vielen unterschiedlichen Künstlertypen zu sprechen, da gesellschaftliche Position, Ansehen und Verdienst nicht unwesentlich differieren konnten, wie bereits das berühmte Gegensatzpaar Rubens - Rembrandt zu zeigen vermag. Niemals zuvor sind so viele Künstler geadelt worden wie unter den verbürgerlichten Monarchien des 19. Jahrhunderts. Die bürgerliche Gesellschaft, die sich nach der Französischen Revolution etablierte, setzte den Künstler von der Nachahmung, von den zünftischen Strukturen und von der Bindung an den Auftraggeber frei. In dieser Hinsicht ist der aus Bindungen entlassene und dem anonymen Markt preisgegebene Künstler der im 19. Jahrhundert dominante Künstlertypus. Die individuellen Verhältnisse und die unterschiedlichen Beziehungen zu den Auftraggebern lassen aber die Definition eines einheitlichen Sozialprofils nicht zu.
Besonders im Abschnitt zur Selbstrechtfertigung und Selbststilisierung der Künstler wird deutlich, wie "Mythenbildungen" wirklich funktionierten. Das Postulat ästhetischer Eigengesetzlichkeit der Kunst im Gefolge von Hegels "Ästhetik" war ein wesentlicher Grund, dass ein Wertesystem entstehen konnte, das den Künstlern ewige Weihe versprach. Viele in diesem Zusammenhang wichtige Aspekte der Rolle des Künstlers - insbesondere die Analogiebildung des "artifex" mit dem Schöpfergott als "Deus artifex" - gehen allerdings auf antike und mittelalterliche Anregungen zurück. Verschiedene Phänomene, die im Katalog beschrieben werden, sind demnach keine genuinen Phänomene des 19. Jahrhunderts, sondern besitzen essentielle Vorstufen in der Frühen Neuzeit bzw. sind keine spezifisch deutschen Charakteristika wie etwa die Krise der Akademien, die sich im Gefolge der gewandelten Rolle des Künstlers neu behaupten mussten (28-31).
Ein besonders interessanter Indikator für das Selbstverständnis der Künstler ist hier die Aufgabenstellung des Selbstporträts (40-51). Das vitale Interesse am gleichsam ewigen Nachruhm des Künstlers ist allerdings keine Erfindung des 18. Jahrhunderts (36), sondern bereits in den Schriften Pietro Aretinos und schließlich in der Charakterisierung Michelangelos als "persona divina" grundgelegt. Über die Fragen des Porträts und Selbstporträts (besonders bei Anton Graff) behandelt der Katalog weiters die nazarenischen "Raffaeljünger als Staatskünstler", "Künstlerbrüder und Gemeinschaftswerk" (Casa Bartholdy), also stark auf die deutsche Situation bezogene Phänomene, dann aber unmittelbar anschließend wieder übergreifende Themenfelder wie "Paragone - Musik (bzw. Dichtung) im Bild". Das daraus entstehende Bild wird noch vielfältiger und zugleich verwirrender, wenn im Anschluss daran die bekannten (antiken) Gründungsmythen der Malerei (74-77) thematisiert werden, unmittelbar folgend die "Künstlerverehrung im 19. Jahrhundert", die aber im besten Sinn des Wortes als universales Anliegen zu bezeichnen ist, im Katalog aber sowohl an deutschen Werken mit europäischen Protagonisten (Cimabue, Giotto, Veronese) als auch an deutschen Sujets (Dürer, Erwin von Steinbach) abgehandelt wird.
Die gezeigten Beispiele verdeutlichen nachdrücklich, dass die Komplexität der historischen Situation nur schwer mit dem im Buchtitel suggerierten Zugang, der sich auf deutsche "Künstlermythen" beruft, zur Deckung zu bringen ist. Die Publikation kann deshalb für sich das Recht in Anspruch nehmen, diese enge Verflechtung von nationaler und europäischer Perspektive zum Thema gemacht zu haben.
Werner Telesko