Ruth Rosenberger: Experten für Humankapital. Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland (= Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit; Bd. 26), München: Oldenbourg 2008, 482 S., ISBN 978-3-486-58620-6, EUR 64,80
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In ihrer 2006 vom Fachbereich III, Neuere und Neueste Geschichte, der Universität Trier als Dissertation angenommenen Arbeit, beschreibt Ruth Rosenberger die Genese des modernen Personalmanagements in deutschen Unternehmen, ausgehend von vereinzelten so genannten "Sozialsekretären" in wenigen "Musterbetrieben" im späten Kaiserreich, bis zu den in der Geschäftsführung vertretenen Personalexperten und Leitern ausdifferenzierter Personalabteilungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Für die Darstellung der Professionalisierung des betrieblichen Personal- und Sozialwesens nach 1945 greift die Autorin dabei im wesentlichen auf die Aktenbestände von drei unternehmerischen Fallbeispielen - Bayer, Glanzstoff und Merck - zurück. Die Entwicklung des personalpolitischen Feldes im selben Zeitraum rekonstruiert sie hingegen anhand einer breiten Auswahl zeitgenössischer personalwirtschaftlicher Fachzeitschriften. Ihr Einführungskapitel über die geistigen Ursprünge der betrieblichen Sozialarbeit im diakonischen Sozialwerk des 19., sowie in den Bestrebungen der bürgerlichen Sozialreformer des frühen 20. Jahrhunderts und die langwierigen Auseinandersetzungen mit innerbetrieblichen Gegenspielern, wie z. B. den Rationalisierungsingenieuren in der Zwischenkriegszeit, basiert auf einer umfassenden Auswertung der relevanten Forschungsliteratur.
Neben den Fragen nach den Ursachen dieser Entwicklung und den entscheidenden Akteuren formuliert Rosenberger darüber hinaus eine Reihe von Fragen, die sich in ihrer Tendenz an die gängigen historischen Erklärungsansätze zur Deutung der westdeutschen Nachkriegsgeschichte anlehnen. Kann die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung des Personalwesens als Ausdruck einer gelungenen Demokratisierung westdeutscher Unternehmen bezeichnet werden? Handelt es sich gar um eine "spezifische Form der bundesrepublikanischen Integration in die Ordnung des Westens" (11), also das Produkt eines Westernisierungsprozesses? Oder sind es viel eher die Konsequenzen der "Liberalisierung traditioneller Sozialbeziehungen in einer zivilen, zunehmend sich liberal-kapitalistisch ausbildenden Gesellschaft?"(11)
In Konsequenz dieser sehr weit formulierten Fragestellung, bei einem doch eher unternehmenshistorischen Untersuchungsgegenstand, bezeichnet Rosenberger ihre Arbeit folgerichtig als "sozio-ideell erweiterte Unternehmensgeschichte". Deren Zielsetzung soll es sein, organisatorische Veränderungsprozesse in Unternehmen insbesondere vor dem Hintergrund parallel verlaufender gesellschaftlicher Veränderungen zu untersuchen. Ein derart erweiterter Zugriff ist zweifellos zu begrüßen, angesichts einer schon länger in der Disziplin geübten Praxis, außerökonomische, kulturelle und soziale Faktoren zu berücksichtigen freilich auch nicht neu.
Um den breiten Zugang methodisch zu bewältigen, bedient sich Rosenberger des Bourdieu'schen "Feld"-Ansatzes als zentraler analytischer Kategorie. Das ist klug gewählt, da sich gerade die dynamische Entwicklungsphase des personalpolitischen Feldes in Westdeutschland nach 1945, die konkurrierenden Ansätze in der betrieblichen Arbeit und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen unter den verschiedenen beteiligten Akteuren bzw. Akteursgruppen, sehr gut - im Sinne der Feldkonzeption - herausarbeiten lassen.
Für die inhaltliche Struktur ihrer Untersuchung identifiziert Rosenberger die drei wesentlichen gesellschaftlich-anthropologischen Leitbilder, deren jeweilige Grundsätze die Arbeit der Zentralakteure des betrieblichen Personal- und Sozialwesens während der verschiedenen Abschnitte des Untersuchungszeitraums besonders beeinflusst haben. So speiste sich das Engagement der frühen Sozialexperten einerseits aus einer stark christlich ausgerichteten, übergeordneten Gemeinwohlorientierung, andererseits aus den, zum Teil schon auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen beruhenden Bestrebungen der bürgerlichen Sozialreformer. Mit dem Leitbild vom "Menschen im Mittelpunkt" unternahmen die Sozialexperten dann seit den frühen Jahren des Wiederaufbaus nach 1945 einen neuen Anlauf, um ihre Vorstellungen einer humanwissenschaftlich basierten betrieblichen Personal- und Sozialpolitik in den Unternehmen zu realisieren. Nach ihrer letztendlich erfolgreichen Etablierung in den Unternehmen als maßgebliche Stichwortgeber in den Belangen des Personal- und Sozialwesens setzte sich mit der Einrichtung ausdifferenzierter Personalabteilungen im Zuge der zahlreichen Divisionalisierungskampagnen während der 1960er und 70er Jahre ein neues Menschenbild in der Personalarbeit durch: das Leitbild des "Unternehmerischen Selbst", eines Menschen, der sich selbst als unvollkommen begreift und daher täglich an der Optimierung seiner Eigenschaften arbeitet. Dieser erneute Paradigmenwechsel in der betrieblichen Personalarbeit und die damit verbundene Generalisierung des "reflexiven Handlungsprinzips" haben seither nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
Die Unterschiede in der Rezeption humanwissenschaftlicher Expertise in den Unternehmen während der 1950er Jahre herauszuarbeiten, gelingt Rosenberger besonders gut anhand der zwei Fallbeispiele Bayer und Glanzstoff. Während der Leiter des Personal- und Sozialwesens von Bayer, Fritz Jacobi, mit seiner Maxime vom "sozial verantwortlichen Unternehmer" eine betriebliche Personalpolitik unter Ausschluss externer Humanexperten realisierte, gelang es den Humanexperten bei Glanzstoff hingegen, entscheidenden Einfluss auf die Personalarbeit zu erlangen. Nur bei ihrem letzten Fallbeispiel, der Rekonstruktion einer Auseinandersetzung über zwei konkurrierende personalpolitische Konzepte bei dem Pharma- und Chemiehersteller Merck, gibt Rosenberger dann leider ihren nüchternen und unvoreingenommenen analytischen Blick auf. Die Ablösung eines als "spezifisch weiblich qualifizierten" Konzepts der Betriebspsychologin Liselotte Cauer-Klingelhöffer durch den "männlich-kameradschaftlichen vergemeinschaftenden" Ansatz des ehemaligen Luftwaffen-Offiziers und neuen Personalchefs Werner Zahn nimmt sie zum Anlass, zur Person Cauer-Klingelhöffers einerseits überflüssiges, nicht-evidentes Archivmaterial auszubreiten, und andererseits wenig ertragreiche Geschlechter-Stereotypen aufzuwärmen. Dies verwundert umso mehr, als Cauer-Klingelhöffer ohnehin für das Personal-Management bei Merck ohne Einfluss geblieben ist.
Dieser Kritikpunkt kann jedoch den positiven Gesamteindruck nicht schmälern: Ruth Rosenberger leistet mit ihrer insgesamt detaillierten und facettenreichen Entwicklungsgeschichte des Personalmanagements in Deutschland eine fruchtbare Pionierarbeit. Am Ende beurteilt sie diesen Prozess als "Inkubationszeit" neuer Ordnungsvorstellungen und Deutungsmuster, die einen weiteren Beitrag zur Etablierung einer liberal-demokratisch und kapitalistisch geprägten Gesellschaft zu Beginn der 1970er Jahre in Westdeutschland leisteten. Diese Veränderungsdynamik wurde dabei nicht vorrangig durch Westernisierung oder Amerikanisierung, sondern durch die starken Verwissenschaftlichungsbestrebungen seiner zentralen Akteure hervorgerufen. Da historische Untersuchungen zur betrieblichen und außerbetrieblichen Personalarbeit bisher weitgehend Mangelware sind, ist es umso beachtlicher, dass sich die Autorin der gesamten Bandbreite dieser Akteure, Organisationen und geistigen Strömungen gewidmet hat, die zur Entstehung des personalpolitischen Feldes in Westdeutschland beigetragen haben.
Christian Reuber