Cordula Grewe: Painting the Sacred in the Age of Romanticism, Aldershot: Ashgate 2009, 436 S., ISBN 978-0-7546-0645-1, GBP 65,00
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"This is a big book." So beginnt Cordula Grewe ihre Studien über die Malerei der Nazarener. Tatsächlich ist es ein dickes Buch, mehr als 400 Seiten, und es ist ein (ge-)wichtiges Buch, denn schon lange ist nicht mehr so konzise, kenntnisreich und innovativ über die Kunst der Lukasbrüder, der Nazarener der ersten Generation, geschrieben worden.
1809 in Wien gegründet, siedelte der Künstler-Kreis um Friedrich Overbeck schon 1810 nach Rom über. Die Lukasbrüder suchten in Rom nicht, wie Tausende Künstler vor ihnen, das antike Erbe; sie wollten nicht primär in der Nähe der Werke Raffaels oder Michelangelos sein. Die heiligen Stätten der Christenheit und der Kirchenstaat waren es, die die jungen Männer anzogen (vgl. 19). Hierin liegt auch eines der Probleme der wissenschaftlichen Rezeption der "Nazareni" begründet, wie die Römer die wegen Kleidung und Haartracht merkwürdigen Künstler alsbald spöttisch nannten. Kunsthistoriker des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhundert hatten und haben Schwierigkeiten mit einer Kunst, die nicht weniger wollte als eine "cultural revolution" einzuleiten (304), eine Bewegung, die das Christentum nach Aufklärung und Säkularisation in die Gesellschaft zurückführen wollte. Am Rande ist zu bemerken, dass es sich vornehmlich um konfessionelles, katholisches Christentum handelte, und dass etliche der Lukasbrüder zum Katholizismus konvertierten. [1]
"But religion is back. At least in sociology and other fields of history. For decades now, scholars have felt uncomfortable with the secularization thesis as un ultimate explanatory model for modern history." (7) Auch wenn es zum 200. Gründungsjubiläum der Lukasbrüder keine monumentale Ausstellung gegeben hat, so wird ihnen doch neue Aufmerksamkeit geschenkt.
Nach einer Einführung gliedert Grewe ihr Buch in sechs Hauptkapitel, leider wurden die informativen Zwischenüberschriften nicht in die "contents" aufgenommen. Ist das erste mit "The great code of art: religious revival and the rebirth of pictural meaning" überschrieben, so handelt es sich bei den folgenden fünf Kapiteln um "case studies". In diesen Fallstudien interpretiert und analysiert die Autorin Franz Pforrs "Sulamith and Maria" (62-98), die Richtung der Interpretation gibt die Fortsetzung der Überschrift an: "erotic Mariology and the cult of friendship". Die enge Freundschaft Pforrs zu Overbeck spiegelt sich hier genauso wie die typologische Deutung der beiden Frauen. Letztlich ist das Bild auch eine Reflexion des Konfliktes, den Grewe schon früher (26ff.) formuliert hat: mönchisches Leben einerseits und familiäre Bindung und Ordnung andererseits.
Das nächste Kapitel ist einem französischen Künstler im Umkreis der Nazarener gewidmet (99-148). Victor Orsel, Schüler Pierre Guérins, folgte seinem Lehrer 1822 nach Rom (99) und gehörte dort zur Schar der Bewunderer Overbecks. Sein Bild "Le Bien et le Mal" ist Ausgangspunkt der Betrachtungen und Analysen. Das von mehreren kleinformatigen Bildern gerahmte Mittelbild zeigt eine junge Frau, vom Erzengel Michael mit Schwert und Schild geschützt, während eine andere junge Frau von einer teuflischen Gestalt, wohl mit Worten, umgarnt und verführt wird. "Pietas and Vanitas" überschreibt Grewe das Kapitel und setzt Orsel in Beziehung zu Wilhelm Schadows gleichnamigem Bild von 1842 sowie zu Schadows "Kluge und törichte Jungfrauen" aus demselben Jahr.
In Kapitel vier wird Friedrich Overbecks Zyklus der sieben Sakramente behandelt, in dem sich "romantic subjectivity and Catholic dogma" gegenüberstehen und ergänzen (149-202). Diese Idiosynkrasie stieß zum Teil schon bei den Zeitgenossen auf Widerstand, wandte sich doch die offizielle Theologie verstärkt einer Neo-Scholastik zu.
Kaum eine Illustrationsfolge zur Bibel war im 19. Jahrhundert so erfolgreich - und daher so weit verbreitet - wie die von Julius Schnorr von Carolsfeld. Geschaffen wurden die 240 Holzstiche zwischen 1852 und 1860. Vielleicht reicht nur die Folge Gustave Dorés von 1866 an die Bekanntheit der ersteren heran (204ff.), lässt sich hier doch sehr gut dokumentieren, wie die Grafiken in der "popular culture" adaptiert wurden (203-251).
Ferdinand Oliviers Stammbaum der deutschen Kunst (253-301) zeigt deutlich den Anti-Judaismus, den die Nazarener vertraten. Diesem Aspekt ist das sechste und letzte Kapitel gewidmet. Dabei ist aber, um Missverständnissen vorzubeugen, nicht der rassische Anti-Semitismus gemeint. Philipp Veit, getaufter Jude und integriertes Mitglied des Männerbundes, ist ein gutes Beispiel dafür.
"As the Nazarenes tried to overcome the era's crisis of communication, they produced a symbolic language that sought to unite conventional sign with mystical speculation. Its formula was ut hieroglyphica pictura." (Hervorhebung: Grewe, 304) "Ut hieroglyphica pictura" ist ein zentraler Begriff, den Grewe in Anlehnung an das horaz'sche "ut pictura poiesis" prägt. Die sichtbare Welt wird zum Symbol für die unsichtbare, wird zum heiligen, eingravierten Zeichen für die "principles of God's creation", wird zur Enthüllung göttlicher Wahrheiten im Bild. Die Kunst der Nazarener ist insofern echte "conceptual art" (3) (und in diesem Sinne viel moderner als manch ein Kritiker der Nazarener glauben will; vgl. 1-18).
Die Gedanken über Schöpfung und Schöpfer, wie die Nazarener sie vertreten, sind in ihrer Zeit nicht wirklich neu. Aber woher kannten sie die Künstler? Waren die Maler in Rom lediglich Seelenverwandte der mittelalterlichen Theologen, lasen sie die entsprechenden Schriften oder wurde ihr Wissen durch Dritte, etwa durch Friedrich Schlegel, befördert? Das sind Fragen, die sich dem Leser stellen, deren Ableitung es aber etwas an Schärfe fehlt (vgl. 303ff. u. 182ff.).
Abgerundet wird Grewes Buch durch viele gute Farbabbildungen sowie ein vorzügliches Register, das das schnelle Auffinden von Künstlern, Begriffen oder Bildinterpretationen erleichtert. Vielleicht wäre es gut gewesen, die inhaltsschweren deutschen Zitate, die alle ins Englische übertragen wurden, in den Fußnoten im Original beizugeben. Auch das Beifügen der unübersetzten Bildtitel wäre sinnvoll gewesen.
Mit "Painting the Sacred in the Age of Romanticism" ist Cordula Grewe ein großer Wurf gelungen, der lange Maßstäbe in der Analyse jener schwierigen Bilder setzen wird. So ist zu hoffen, dass bald auch eine deutsche Übersetzung erscheint. Das dürfte - von der Finanzierung abgesehen - nur wenige Schwierigkeiten bereiten, hat doch die Autorin, die an der Columbia University forscht und lehrt, Deutsch als Muttersprache.
Anmerkung:
[1] Die letzte umfassende Nazarener-Ausstellung fand 2005 in Frankfurt / Main statt: Bazon Brock / Max Hollein (Hgg.): Religion, Macht, Kunst. Die Nazarener. Ausst.-Kat. Schirn-Kunsthalle Frankfurt am Main 15.04.-24.07.2005, Köln 2005. Zuvor: Klaus Gallwitz (Hg.): Die Nazarener. Ausst.-Kat. Städel, Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main 28.04.-28.08.1977, Frankfurt 1977.
Thomas Blisniewski