Dominik Collet: Die Welt in der Stube. Begegnungen mit Außereuropa in Kunstkammern der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 232), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 403 S., 49 Abb., ISBN 978-3-525-35888-7, EUR 68,90
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Dominik Collets vergleichende Studie zur Geschichte frühneuzeitlicher Sammlungen, eine überarbeitete Fassung seiner 2006 an der Universität Hamburg eingereichten, am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen entstandenen Dissertationsschrift, widmet sich anhand von drei exemplarischen Beispielen - der fürstlichen Kunstkammer auf Schloss Friedenstein in Gotha, der Sammlung des wohlhabenden Privatgelehrten William Courten sowie der zu Forschungszwecken angelegten Sammlung der Royal Society (beide in London) - dezidiert der Praxis des Sammelns, d.h. einem komplexen sozio-ökonomischen Geflecht repräsentativer, wissenschaftlich-edukativer und unterhaltender Funktionen, welche den Kunstkammern des 17. und 18. Jahrhunderts ihre Gestalt gab.
Im Fokus steht dabei die Frage nach der Faszination für Exotika (den außereuropäischen Sammlungsgegenständen), deren Erwerb und Präsentation sowie deren Bedeutung für das Selbst- und Fremdbild einer europäischen Wissensgesellschaft. Durch diese Perspektive gibt Collet in seiner quellengesättigten Studie dem in der Forschung immer wieder hervorgehobenen und von den Kunstkammertheoretikern des 17. Jahrhundert vielfach unkritisch übernommenen, programmatischen Universalismus der Sammlungsräume eine gleichsam profane, innerweltliche und funktionsgeschichtliche Wendung. Der Titel des Buches ist - wohl in ironischer Distanznahme - dem Sammelband von Andreas Grote [1] entliehen. Dabei bewegt sich der Autor mit seiner Studie auf Augenhöhe mit jenen sammlungsgeschichtlichen Forschungsarbeiten (etwa durch Paula Findlen und Pamela Smith [2]), die in den letzten Jahren verstärkt die Überlagerung und wechselseitige Befruchtung von Ökonomien des Handels und des Wissens herausgearbeitet haben.
Das Buch unterteilt sich in sechs Kapitel. Neben der Einleitung sind dies die drei den Fallstudien gewidmeten Kapitel, welche durch ein komparativ-resümierendes und im Sinne der Leserfreundlichkeit der Studie sehr lobenswertes Ergebniskapitel sowie pointierende Schlussbetrachtungen komplettiert werden.
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der minutiösen Darstellung der Sammlungspraxis der Gothaer Kunstkammer zwischen 1653 und 1721 (35-208), die bislang nicht Gegenstand einer größeren wissenschaftlichen Untersuchung war. Bildungsreformatorischen und schöpfungsapotheotischen Zielen verpflichtet, gehörte die Sammlung des Fürsten Ernst bald zum öffentlichen Bereich des Schlosses (ebenso wie Bibliothek und Theater) und öffnete auch unstudierten Adeligen und Kaufleuten die Welt der Bildung. Sie war eingebettet in ein soziales Gefüge des status- und distinktionsbewussten Handels mit Objekten. Anhand dreier historischer Akteure und deren Relationen zum Gothaer Hof, nämlich dem durch seine apodemischen Schriften bekannten Thüringer "Aventurier" Caspar Schmalkalden (1616-1673), dem Orientalisten und Reisenden Johann Michael Wansleben (1635-1679) sowie dem Universalgelehrten und Gothaer Kunstkämmerer Wilhelm Ernst Tentzel (1659-1707), beleuchtet Collet den sozialen Kontext der in insgesamt fünf zeitgenössischen Inventaren verbürgten (exotischen) Objekte der Gothaer Kunstkammer. Erst in zweiter Linie gilt sein Interesse der Einbettung in die naturphilosophische Theoriebildung. Eine Ausnahme stellt diesbezüglich die sehr lesenswerte Episode der durch Tentzel bekannt gewordenen Entdeckung eines prähistorischen Elefantenskeletts bei Gotha dar, die im Kontext der Sintfluttheorie und der 'ludi naturae' sowie als Ursprung der Paläozoographie diskutiert wird.
Anhand der umfangreichen Sammlung des einer nobilitierten Kaufmannsfamilie entstammenden Virtuoso William Courten (1642-1702), die dieser zwischen 1684 und 1702 in seinen Privatgemächern zusammentrug, arbeitet Collet das gut entwickelte Netzwerk der Kuriositätenhändler der Metropole heraus (209-268). Courten, der für die Akkuratheit seiner Sammlung bekannt und geschätzt war, kaufte und verkaufte Kuriositäten (Exotika). Die Beschreibung und Bestimmung seiner Objekte besorgte er gewissenhaft, bezeichnenderweise aber fast ausschließlich unter Rückgriff auf das ihm zugängliche (zumeist apodemische) Buchwissen und unter Verzicht auf experimentelle Verfahren, die ihm aufgrund seiner Nähe zur Royal Society bekannt waren. Collet kann nachweisen, dass das einseitige, anachronistische und homogenisierende Bild einer indianischen Gegenwelt größtenteils aus Reiseberichten übernommen wurde und Courtens außereuropäische Objekte ein "invertiertes Spiegelbild des bekannten Europa" (253) abgaben.
Collets letztes Fallbeispiel, das "Repository" der Royal Society (269-314), kann Dank der Arbeiten Michael Hunters als mittlerweile sehr gut erforscht gelten. Collet fokussiert daher am Gegenstand der Exotika vor allem auf die Diskrepanz, die sich zwischen dem programmatischen 'Nullius in verba' und einer manifesten "bookishness" (Michael Hunter) der Forschungspraxis der Akademiker auftut: Am Beispiel des Projektes der 'Weltnaturgeschichte' wird die widersprüchlich anmutende Buchfixiertheit der frühen Royal Society einerseits und die Lust an der Betrachtung exotischer Kuriositäten andererseits herausgearbeitet. Collet kommt zu dem Schluss, dass das etablierte Sammlungsmodell der europäischen Kunstkammer gegenüber der Baconschen Forschungssammlung rasch die Oberhand gewann.
Eine angesichts ihres Status als Rara bemerkenswerte Homogenität der Sammlungsgegenstände wird von Collet insgesamt überzeugend aus der sozialen und ökonomischen Funktionalisierung der Objekte begründet. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die außereuropäischen Sammlungsobjekte nicht als Informationsträger sondern als Projektionsflächen des Fremden dienten. Dieser, von ihm treffend als "projektive Ethnographie" (332-348) charakterisierte, gleichsam erfahrungsresistente Umgang mit Objekten - ein "Selbstgespräch, das die Europäer mit dem auf die Exotika projizierten 'exotischen Anderen' führten" (348) - lässt ihn zu dem Schluss gelangen, dass die "'wissenschaftliche Revolution' [nicht] im Museum statt[fand]" (349). Eine produktive Zuspitzung, die vor dem Hintergrund der bearbeiteten Quellen sicherlich einleuchten und insgesamt anregend wirken mag. Mit Blick auf jene komplexe Latenzphase einer offenen Epistemologie, in der das Verhältnis von Theorie und Praxis zutiefst widerspruchsvoll ist, gerade weil es eine Neubestimmung erfährt, scheint diese Feststellung allerdings überzogen.
Ein Manko der Studie ist der überwiegend illustrative Umgang mit den zahlreich zum Abdruck gelangten Bildern. Gerade vor dem Hintergrund einer ergebnisreichen bildwissenschaftlichen Forschung zu Kunst- und Wunderkammern [3], bleibt der Autor im Rekurs auf die Bildquellen hinter der Analyse seiner Textquellen zurück.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Collet auf der Basis weit reichender Archivstudien und durch eine kenntnisreiche Einbettung seiner Fallbeispiele in die europäische Sammlungsgeschichte eine wichtige und äußerst lesenswerte Studie verfasst hat, die einen frischen und diskussionsbefördernden Blick nicht allein auf die Frühgeschichte des Museums sondern auf die Konstituierungsphase neuzeitlicher Wissenschaft im 17. und frühen 18. Jahrhundert bietet.
Anmerkungen:
[1] Andreas Grote (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo: Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450-1800, Berlin 1994.
[2] Siehe etwa Pamela H. Smith / Paula Findlen (eds.): Merchants & Marvels: Commerce, Science and Art in Early Modern Europe, New York u.a. 2002.
[3] Verwiesen sei hier nur auf die Arbeiten von Barbara M. Stafford, Horst Bredekamp und Robert Felfe.
Jan Lazardzig