Uwe Schultz: Richelieu. Der Kardinal des Königs. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2009, 350 S., 22 Abb., ISBN 978-3-406-58358-2, EUR 24,90
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Von allen historischen Persönlichkeiten des französischen Ancien Régime ist, neben D'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis, Alexandre Dumas und den zahlreichen Verfilmungen der Geschichte um die Musketiere sei Dank, Jean Du Plessis, Kardinal de Richelieu (1585-1642) zweifellos eine der bekanntesten in Deutschland. Doch die deutschen Historiker - im Gegensatz zu ihren französischen und englischen Kollegen - wählen ihn selten als Sujet einer Biographie: Die letzte große deutsche Richelieubiographie (Carl J. Burckhardt) datiert aus den 1930er Jahren, und auch die kleine Monographie Willy Andreas' über Richelieu atmet den Geist der 1940er Jahre.
Umso mehr freut sich der Fachmann, wenn er beim Anblick der neuen Biographie von Uwe Schultz hofft, dass hier der Versuch unternommen wird, einem größeren Publikum ein neues Bild von Richelieu vorzustellen, denn schließlich wurden von französischer, englischer und deutscher Seite in den letzten Jahrzehnten wichtige Spezialstudien vorgelegt. [1] Doch schon nach wenigen Seiten macht sich Enttäuschung breit: Weniger aufgrund des eher konventionellen Vorgehens einer chronologischen Erzählung, die von der Wiege bis zum Tod führt - mit Ausnahme des zwölften und einiger Abschnitte des 13. Kapitels - als vielmehr aufgrund des Porträts, dass hier geboten wird. Es ist selbstverständlich, dass hier nicht der Maßstab einer wissenschaftlichen Biographie angelegt wird, aber von einem Autor, der auf dem Klappentext als "einer der besten Kenner der Politik und der Gesellschaft des französischen Barock" angekündigt wird, darf das interessierte Publikum und der Fachhistoriker den Rückgriff auf den aktuellen Forschungsstand erwarten.
Zum Leben Richelieus muss nicht viel gesagt werden: Aus dem mittleren Adel des Poitou stammend, klettert der begabte Armand-Jean rasch die kirchliche Karriereleiter empor, nachdem er aus familienpolitischen Gründen in den geistlichen Stand getreten war und das "Familienbistum" Luçon übernommen hatte. Den jungen Bischof zieht es in die Politik und damit an den Hof, wo auch sein älterer Bruder schon Fuß gefasst hatte. Zeittypisch sucht er einen Protektor und fand diesen in der Person der Regentin, Maria von Medici. Steinig war der Weg, bis er 1624 in den "conseil d'en haut" berufen wurde, und es dauerte noch sechs weitere Jahre, bis nach einem dramatischen "Tag der Geprellten" ("la journée des dupes", 10. November 1630) seine Macht als Minister und Favorit Ludwigs XIII. gesichert war und er sich "nur" Verschwörungen des Hochadels erwehren musste. Als Politiker folgt Richelieu der mit Heinrich II. abgebrochenen und von Heinrich IV. wieder aufgenommenen Tradition des Staatsaufbaus im Inneren und der Bekämpfung der Habsburger nach Außen.
Schultz erzählt dieses Leben und nicht mehr. Er unternimmt keinen Versuch, dem Leser Richelieu und seine Zeit näher verständlich zu machen. Weder werden die politischen Konzeptionen Richelieus, die er in großen Denkschriften formulierte, erläutert, noch die Grundlagen seines komplexen, auf theologischen Prämissen gründenden politischen Denkens rekonstruiert. Richelieus Verständnis von Staatsräson ist nur durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff der "raison" von Thomas von Aquin zu erklären, dessen Werk im Zentrum von Richelieus theologischen Auffassungen steht. Dass Richelieu eine große Bibliothek zusammentrug, dass er führende Historiker und Gelehrte der Epoche (etwa die Gebrüder Dupuy) gleichsam als "think-tank" für seine Politik beschäftigte, davon erfährt der Leser nichts. Aus diesem Kreis von späthumanistisch gebildeten Angehörigen der Gelehrtenrepublik kamen wichtige Vorarbeiten, die in Richelieus konzeptionelle Denkschriften eingingen (z.B. die Legitimation französischer Besitzansprüche im Elsaß, Lothringen und in Norditalien).
Auch sind die Urteile über Richelieus Klientel- und Familienpolitik, über seine Bereicherung im Amt, seinen Status als "Favorit", geprägt vom Unwillen, sich mit dem historischen Kontext dieser Praktiken auseinanderzusetzen - die Forschung hierzu war in den zurückliegenden Jahrzehnten sehr intensiv -, Werturteile des 20. Jahrhunderts überwiegen hier. Kurz, der Richelieu, der hier präsentiert wird, ähnelt eher dem Richelieu Hollywoods, inklusive seines Strebens nach "Souveränität" (246) und angeblicher Frauengeschichten (272), die hier aufgewärmt werden.
Das alles könnte man bilanzieren unter dem Begriff "Chance vertan". Was aber das Buch zu einem Ärgernis macht, ist eine redaktionelle und auch inhaltliche Nachlässigkeit, die man von einem Verlag wie C.H. Beck nicht erwartet hätte: Seit wann werden im Deutschen Herrschernamen nach englischem oder französischem Muster geschrieben - also Ludwig XIII statt Ludwig XIII.? Dies ist durchgehend der Fall, wie auch die verwirrende Praxis, Herrschernamen mal einzudeutschen, mal nicht: Karl Emmanuel I. von Savoyen, aber sein Sohn: Victor Amédée I. - die französische (noch nicht einmal die italienische!) Form, statt des deutschen Viktor Amadeus. Begriffe werden nicht erklärt ("paulette", 111), ebenso wenig der Unterschied zwischen einem ministre d'état und einem Staatssekretär (133-135). Was bedeutet "kirchliche Kanonisierung" (7, Kanonisation ist der Prozess der Heiligsprechung, aber in Richelieus Familie wurde niemand heilig gesprochen)? Dass Ludwig XIII. 1629 nicht nur mit Venedig und Savoyen, sondern auch mit "zahlreichen spanischen Fürsten [ein Defensivbündnis] gegen Spanien" geschlossen hat, ist neu (189). Es gibt falsche Zuordnungen von Zitaten (285: in Anm. 22 ist der Nachweis des Zitats von Guez de Balzac enthalten, auf das in Anm. 21 verwiesen wird) und Schreibfehler, die einfach nicht passieren dürfen - "Charante" statt "Charente" (285), "Sourdès" statt "Sourdis" (258, weitere Beispiele für Ungenauigkeiten 47, 50, 89, 138). Ganz abgesehen davon, dass wichtige Literatur im Quellenverzeichnis nicht erscheint (z.B. die neueste Edition der Richelieu-Papiere [2]), ist es von Schreibfehlern durchsetzt (332f., hier nur der schönste: W. F. Churchill!, statt W. F. Church[3]).
Zu guter - eher: schlechter - Letzt erhebt der "beste Kenner des barocken Frankreichs" das "Parlament" in den Rang eines Repräsentativorgans - oder wie ist diese Aussage zu verstehen: "[Richelieu] hat [...] dem Land die Chance genommen, das Parlament zu einer politischen Stimme von Gewicht werden zu lassen" (317). Ein "Parlament" als Repräsentativorgan der Bevölkerung gab es nicht in Frankreich, sondern mehrere, dies waren aber bekanntlich Gerichtshöfe, von denen das Pariser Parlement den größten Zuständigkeitsbereich hatte. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstanden sich die im Konflikt mit der Monarchie liegenden Richter an den Parlamenten als Repräsentanten des Volkes - ohne es zu sein, denn sie hatten ihr Richteramt vom König gekauft.
Fazit: Ein Buch, das aufgrund seiner grundlegenden Mängel den Eindruck vermittelt, hier sei ein schnell geschriebenes Manuskript vollkommen unbearbeitet in den Druck gegangen. Eine Richelieu-Biographie in deutscher Sprache für ein breites Publikum, die seine Persönlichkeit und seine Zeit angemessen behandelt, ist noch zu schreiben.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B.: Rainer Babel: Deutsch-französische Geschichte 1500-1648, Bd. 3: Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie, Darmstadt 2005; Joseph Bergin / L. W. B. Brockliss (eds.): Richelieu and his Age, Oxford 1992; David Parrott: Richelieu's Army. War, Governance, and Society in France, 1624-1642, Cambridge 2001; Roland Mousnier (éd.): Richelieu et la culture, Paris 1987. Alle Titel fehlen in der Bibliographie.
[2] Les Papiers de Richelieu. Section Politique Intérieure. Correspondance et papiers d'État, hg. v. Pierre Grillon, 6 Bde. [1624-1631], Paris 1975-1985; Section Politique Extérieure. Empire allemand [1616-1642], hgg. v. Adolf Wild / Anja V. Hartmann: 3 Bde., Paris 1982-1999.
[3] Es handelt sich um W. F. Church: Richelieu and Reason of State, Princeton 1972.
Sven Externbrink