Angela Windholz: Et in academia ego. Ausländische Akademien in Rom zwischen künstlerischer Standortbestimmung und nationaler Repräsentation (1750-1914), Regensburg: Schnell & Steiner 2008, 470 S., ISBN 978-3-7954-2060-4, EUR 79,00
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"[...] chiunque entra in quella grande città vi trova la sintesi di due grande epopee, l'una più meravigliosa dell'altra. I monumenti che celebrano queste epopee sono l'orgoglio del mondo [...]." [1]
Mit diesen Worten umschrieb der spätere italienische Ministerpräsident Francesco Crispi in einer Parlamentsrede im März 1881 die Stadt Rom. Als lange ersehntes Ziel der italienischen Einigungsbewegung des Risorgimento wurde Rom im 19. Jahrhundert mystisch verklärt und zum unabdingbaren Garanten wie künstlerisch-politischen Maßstab einer erfolgreichen Konstituierung des italienischen Nationalstaats erhoben. Doch nicht nur auf die Italiener hatte die ewige Stadt diese identitätsstiftende Anziehungskraft: Seit Jahrhunderten zog es Künstler und Wissenschaftler aus ganz Europa und später auch aus Amerika nach Rom, um von Kunst und Kultur der Stadt zu lernen und etwas von der antiken wie weltumspannenden päpstlichen Größe in ihre Heimatländer zu exportieren.
Die Kunsthistorikerin Angela Windholz geht in ihrer 2008 bei Schnell & Steiner in opulenter Buchform erschienenen Dissertation "Et in Academia ego. Ausländische Akademien in Rom (1750-1914)" auf jene Rombegeisterung ein und beschreibt kenntnisreich die lange Genese der ausländischen Akademien am Tiber. Sie widmet sich damit einer Bauaufgabe, die für Rom fast singulär ist und dort ihren Ursprung hat. Gegenwärtig werden zwar ausländische Akademien und Kulturinstitute von San Francisco bis Shanghai eröffnet, doch sind sie alle Epigonen jener ersten Akademiegründungen in Rom.
Die Studie von Windholz beschäftigt sich mit dem weiten und wechselvollen Zeitraum von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Mit der Verwissenschaftlichung der Welt im Zuge der Aufklärung setzte auch eine Verwissenschaftlichung der Kunst und des Künstlers ein. Seine Schulung an den Vorbildern der Vergangenheit wurde zentral. Kaum konnte es dafür einen besseren Ort geben als Rom. Die Romreisen der jungen Künstler wurden ritualisiert und im Rahmen von Rompreisen und -stipendien einem strengen Regelkanon unterworfen.
In einem umfangreichen Vorspann geht Angela Windholz auf die Frage nach institutionellen Vorbildern und Traditionen ein, aus denen die zahlreichen Kunstakademien hervorgingen. Die Ziele und Probleme der Künstlerausbildung in Rom werden genauer beleuchtet. Besonders verdienstvoll ist die erstmalige Aufarbeitung der Herausbildung eines eigenen Bautypus 'Kunstakademie': Dabei wird der Leser von dem Umstand überrascht, dass diese Entwicklung im Rahmen großer Wettbewerbe wie dem Concorso Clementino oder dem Französischen Grand Prix nur auf dem Papier stattfand. In Anlehnung an den Komplex von Sant'Ivo alla Sapienza sowie Hospital- und Klosteranlagen entstanden hochfliegende Träume elitärer Künstlerausbildungsstätten. Doch wurde einzig in Sankt Petersburg Ende des 18. Jahrhunderts eine entsprechende Akademie der Künste gebaut. Die römische Realität sah hingegen ganz anders aus: Mit der Auflösung der alten Zunftregeln fiel der Künstler aus dem Versorgungs- und Ausbildungssystem der Meisterwerkstatt. Damit unterlagen die Romaufenthalte der vornehmlich nordeuropäischen Künstler neuen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen (59).
Diesem Umstand wollte die bereits 1666 unter Ludwig XIV. ins Leben gerufene Französische Akademie in Rom entgegenwirken. Junge Künstler sollten sich in geschützter Umgebung an den Meisterwerken der Stadt schulen und die Früchte dieser Ausbildung in Form von Historiengemälden nach Paris senden. Die Künstler der übrigen Nationen blieben auf sich gestellt. Selbst wenn sie mit einem Rom-Stipendium ausgestattet waren, litten sie häufig unter Isolation und schwieriger Unterkunftslage. Für viele wurde die Traumstadt Rom zu einem Albtraum.
Chronologisch widmet sich Windholz der von zahlreichen Wechselfällen geprägten Entstehungsgeschichte der Spanischen, Britischen, Deutschen und US-amerikanischen Akademien in Rom, die zumeist auf jahrzehntelanger Initiative der Künstler fußten. Grundlage waren deren informelle Treffen und Aktstudienkurse. Die Fürsprache vieler einflussreicher Repräsentanten aus Politik und Kultur war notwenig, um mehr als zweihundert Jahre später mit den Franzosen in der prominenten Villa Medici gleichzuziehen.
Windholz' historisch angelegte Studien zu den einzelnen Akademiegründungen zeichnen sich durch ein intensives Studium der jeweiligen Quellen in den entsprechenden Nationalarchiven aus und verfolgen den sinuskurvigen Interessensverlauf in den Beispielnationen.
Kennzeichnend für die langwierigen Gründungsprozedere sind zahlreiche Konflikte, die Windholz im Einzelnen aufschlüsselt, wie der im 19. Jahrhundert schwelende Widerstreit zwischen nationaler Selbstverortung, der Suche nach einem eigenen Stil, dem Universalitätsanspruch Roms und dem Wunsch, sich selbst als Staat über die Kunst am Tiber zu präsentieren. Gleichzeitig verlangte die Verbürgerlichung des Kunstmarktes die staatliche Förderung der hochstehenden Historienmalerei als Mittel sittlicher Bildung und nationaler Erziehung. Solch monumentale öffentliche Kunstwerke konnten nur im Angesicht der römischen Meisterwerke entstehen. Zudem werden alle Akademiegründungen von zwei gegenläufigen Interessenslagen beherrscht: dem Verlangen nach kultureller Kommunikation mit dem Gastland und den internationalen Vertretungen in Rom sowie einer gleichzeitigen, auf Repräsentation dringenden, die Kultur ausnutzenden Machtpolitik. Daneben wurden die idealen Bedingungen von künstlerischer Kreativität immer wieder neu diskutiert.
Paradoxerweise entstanden die Akademien der Spanier, Briten, Deutschen und Amerikaner erst um die Jahrhundertwende in einem allgemeinen Klima der Akademiekritik. Ihre verspätete Gründung mag zum einen daran liegen, dass erst das italienische Königreich ihre Ansiedlung förderte. Die Präsenz der Auslandsakademien legitimierte den eigenen Status und ermöglichte dem Dritten Rom sich als weltoffener, der Wissenschaft und Kunst zugetaner moderner Staat zu präsentieren. Zum anderen interpretiert Windholz die Akademiegründungen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges als ein Werben um Italien. (79)
Bautypologisch orientieren sich die behandelten Akademiegebäude nicht an den hehren Wettbewerbsentwürfen oder den nationalen Präferenzen im internationalen Stilgerangel des 19. Jahrhunderts, sondern formieren ein heterogenes Panorama: So bezogen die Spanier ein aufgelassenes Kloster, die Deutschen eine neu errichtete Villa suburbana, die Briten nutzten einen Ausstellungspavillon um und die USA ließ sich einen Renaissancepalazzo vis-a-vis der Villa Medici auf dem Gianicolo errichten. Detailreich schildert Windholz die verschiedenen Entscheidungs- und Planungsphasen der Bauten sowie die Genese unterschiedlicher Auftraggeberverhältnisse und Trägerschaften, doch bleibt ein Vergleich hinsichtlich Raumdisposition, Nutzung und Abfolge leider aus. Der Leser wird dafür jedoch mit zahlreichen bisher unveröffentlichten, transkribierten Dokumenten aus den Archiven entschädigt, die den jeweiligen Akademiebesprechungen beigefügt sind.
Die Frage, die der Buchtitel impliziert, ob Academia mit Arcadia gleichzusetzen ist, wird bewusst nicht abschließend geklärt, sondern muss vielleicht von jeder Generation internationaler Stipendiaten in Rom neu beantwortet werden.
Die Präsenz von Akademien und Kulturinstituten aus mittlerweile 24 Ländern in Rom lässt die Genese der ausländischen Akademien in Rom zumindest hinsichtlich nationaler Repräsentation als eine Erfolgsgeschichte erscheinen, die das künstlerische und intellektuelle Leben der Stadt bis heute mitgestaltet und mitträgt.
Mit ihrem breit angelegten kulturhistorischen Werk zu den Akademiegründungen in Rom bis 1914 ist Angela Windholz ein wichtiger Beitrag zur internationalen Institutions- und Stadtgeschichte Roms gelungen, der unterschiedlichste Landesgeschichten und Entwicklungen bündelt und Roms reziproke Wirkung wie Anspruch an Künstler und Staaten klar darlegt.
Anmerkung:
[1] Zitiert nach Robin B.Williams: Rome as state image. The architecture and urbanism of the royal Italian government, 1870-1900, Ann Arbor 1993, 125.
Britta Hentschel