Cornelia Jöchner (Hg.): Räume der Stadt. Von der Antike bis heute, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2008, 386 S., ISBN 978-3-496-01393-8, EUR 49,00
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Räumliche Bedingungen der Stadt und ihre Entwicklung sind ein nahezu klassisches Feld stadtgeschichtlicher Forschung, weder die Geschichtsschreibung der europäischen Stadt noch ihren Entgrenzung im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung kamen ohne die Berücksichtigung räumlicher Dimensionen aus. Rechtssystem, Besitzverhältnisse, Herrschafts-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen sind in ihr ablesbar und waren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, sowohl von Einzelstädten, als auch typologisch und vergleichend. Was also ist neu an der vorliegenden Publikation?
Der Sammelband vereint 17 Aufsätze, die im Rahmen eines von der DFG geförderten wissenschaftlichen Netzwerkes entstanden. Überwiegend kunsthistorische Ansätze wurden mit architekturgeschichtlichen, ethnologischen, theater- und literaturwissenschaftlichen sowie archäologischen Perspektiven zu einer Gesamtschau visuell lesbarer Erscheinungsformen der Stadt verbunden. Gemeinsam ist allen Beiträgen, dass sie das Erscheinungsbild der Stadt ins Zentrum stellen, gleichsam von einem bildlichen Befund ausgehend dahinter stehende historische Bezüge analysieren und nach deren Repräsentation im Raumgefüge der Stadt fragen. Das zeitliche Spektrum reicht von der Stadt der Antike bis hin zu den Städten der Nachkriegszeit, die räumliche Dimension, obwohl die Städte Kerneuropas dominieren, vom östlichen Mittelmeer bis Westafrika. Dennoch ist der Band weder chronologisch noch geografisch geordnet. Er untergliedert sich in fünf thematische Kapitel, "Grenze und Territorium", "Innen-Außen-Beziehungen", "Topologien der Stadt", "Räumliche Ordnungen" und "Mediale Repräsentationen".
Felix Pirson thematisiert unter "Grenze und Territorium" die Herrschaft symbolisierende Raumaneignung des hellenistischen Pergamon, das die umgebende Region durch architektonische Landzeichen erschlossen hat. Cornelia Jöchner beschreibt die Architektur der Budapester Milleniumsausstellung von 1896 als virtuelles Raumprogramm, mit dem die Grenzen eines antizipierten (und erträumten) ungarischen Reiches symbolisch markiert werden sollten. Im Kapitel "Innen-Außen-Beziehungen" findet sich ein Beitrag von Marion Linhardt über die veränderliche Rezeption der Metropole London im Unterhaltungstheater, eine Art Selbstvergewisserung des Publikums über seinen eigenen Standpunkt gegenüber der Stadt, in der es wohnt und arbeitet. Aus dem Kapitel über "Topologien der Stadt" sei die Untersuchung von Monika Wagner über die Planung sozialistischer Festräume in der Stadtplanung der DDR am Beispiel von Berlin und Rostock benannt. Zu den "Medialen Repräsentationen" gehörte unter anderem das Stadttheater, das Markus Bauer am Beispiel von Czernowitz beschreibt.
Besonders klar wird das Konzept des Bandes im Kapitel über "Räumliche Ordnungen", in dem zum einen Mischa Bisping das Verhältnis der frühneuzeitlichen Manufakturstadt Krefeld zu ihrem Territorium als einen Übergang klar definierter Stadt-Land-Grenzen hin zu einer Stadtlandschaft analysiert, zum anderen Joachim Schlör die innerstädtische, symbolisch wie real umkämpfte "Sabbatgrenze" im preußischen Regierungsbezirk Bromberg während des 19. Jahrhunderts beschreibt.
Während jeder Einzelbeitrag des Bandes einen eigenen, aufschlussreichen Zugang zur visuellen Erscheinung und Repräsentation der verschiedenen räumlichen Dimensionen von Stadt darstellt, kann die Gesamtpublikation und ihre inhaltliche Struktur nicht vollends überzeugen. So sind zum Beispiel die Beiträge über symbolische Architektur in verschiedenen Kapiteln untergebracht, obwohl deren direkte Gegenüberstellung nicht nur den Vergleich vereinfacht, sondern auch gegenseitige Bezüge deutlicher gemacht hätte. Dies gilt zum Beispiel für die verschiedenen Beiträge zur modernen Stadt von Gerhard Vinken (über Le Corbusier), Monika Wagner (Städte in der DDR) und Jasper Cepl (über Oswald Mathias Ungers), aber auch für kulturelle Repräsentationen wie Stadttheater und Milleniumsausstellung im Zusammenhang mit dem Beitrag von Thomas Steinert über die Salzburger Festspiele.
Die notwendige Heterogenität der vorgestellten städtischen Raumkonstruktionen erschwert vergleichende Perspektiven, was auch daran liegt, dass diese in den Einzelbeiträgen auch selten formuliert werden; zeitliche Einordnungen im Rahmen der jeweiligen Stadtgeschichte, typologische Verortungen, aber auch direkte Vergleiche zwischen verschiedenen Städten finden sich leider zu selten, obwohl der Beitrag von Kerstin Pinther über zwei Städte in Ghana, die koloniale und postkoloniale Musterstadt Accra und Kumasi als vorkoloniales Herrschaftszentrum, sowohl im typologischen Vergleich wie auch in seiner gegenwärtigen kulturellen Konnotierung ein gutes Beispiel geboten hätte.
"Räume der Stadt" bietet zahlreiche Anregungen für eine erneute Aufmerksamkeit zur Analyse des Erscheinungsbildes von Städten und eine Fundgrube für weitere Systematisierungen eines vergleichenden Blicks auf die Stadt als binnendifferenzierter und raumgreifender Ort von Gesellschaft.
Andreas Ludwig