Ramona Sickert: Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter; Bd. 28), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, III + 472 S., ISBN 978-3-8258-9248-7, EUR 49,90
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Am Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden in den Predigerbrüdern und Minderbrüdern zwei neuartige Ordensgemeinschaften, die sich wesentlich von den bereits vorhandenen Verbänden des Mönchtums und Ordenswesens unterschieden. Die vorliegende Arbeit fragt zum einen nach den traditionellen bzw. innovativen Momenten dieser Bettelorden und zum anderen nach zentralen Orientierungen und Legitimationen, die ihrer religiösen Lebensform zum dauerhaften Erfolg verhalfen. Dazu wählt die Autorin eine institutionstheoretische und imagologische Verfahrensweise: Sie untersucht, welche Unterstützung oder Widerstände die Mendikanten von verschiedener Seite beim Aufbauvorgang ihrer Ordensstrukturen erfuhren und bezieht auf jeder Ebene konsequent die zeitgenössische Wahrnehmungsperspektive dieser Prozesse mit ein. Die Dresdener Dissertation weist überzeugend die These nach, "dass für die Beziehungen der Bettelorden zu ihrem Umfeld und für die gelungene Durchsetzung ihrer Geltungsansprüche die Bewertung der Orden durch ihre Beobachter wichtige Faktoren darstellten, und dass die Wahrnehmung dieser beiden Orden auch von deren Fähigkeit abhing, ihre Leitideen erfolgreich nach außen zu vermitteln".
Dazu zeigt die Verfasserin in einem ersten großen Teil A "die Bettelorden zwischen Selbstrepräsentation und Fremddeutung", indem sie zunächst mendikantische Leitideen und Grundlegungen (20-158) vorstellt. Hierfür findet sie fünf Kriterien - das Armutspostulat, den Bettel, die Predigt, die Seelsorge sowie das Studium - und spiegelt diese Merkmale in den Beobachtungen der Zeitgenossen. Dazu greift sie auf die Kontroversen in päpstlichen Interventionen, Konzilsbeschlüssen und Gutachten, die Diskussionen im Rahmen des Mendikantenstreites und die Kritik des Almosengehens in den satirischen Dichtungen sowie volkssprachliche und lateinische Lyrik zurück. In einem weiteren Schritt verfolgt sie mendikantische Lebensformen und Symbolisierungen (159-216), indem sie die äußere Erscheinung der Mendikanten und deren Perzeption erörtert. Sie erläutert identitätsstiftende Zeichen wie den Habit als Mittel zur Abgrenzung im Reflex der Papstbullen und Dichtung und gibt Deutungen des franziskanischen Gürtels. Ramona Sickert betrachtet die Wanderschaft und Ortsungebundenheit sowie die Konzentration auf die urbanen Zentren und misst sie an der zeitgenössischen Auffassung dieser als typisch empfundenen Phänomene wie der Mobilität, der Lebensweise in der Stadt und den städtischen Konventsbauten. Im Abschnitt zu den Funktionen der Mendikanten (217-242) legt Sickert mendikantische Wirkungsfelder dar und nimmt das Beispiel der dominikanischen Häretikerverfolgung im Midi in den Blick: Die Sicht südfranzösischer Troubadore stellt die Kritik an den Inquisitoren im Kontext weiterer literarischer Zeugnisse heraus.
Ein zweiter, kürzerer Hauptteil B "Religiöse und laikale Umfelder der Bettelorden" widmet sich dem Binnenverhältnis von Franziskanern und Dominikanern (243-266) und beleuchtet den Streit um die Stigmata, die Konkurrenz von Ordensheiligen und den Ordensstreit im Spiegel eines 'Teufelsbriefes'. Das weite Gebiet der religiösen Frauenbewegung (267-281) wird im Lichte der satirischen Dichtungen und der Mechthild von Magdeburg thematisiert. Ein nur knapper Exkurs zu Spielleuten (282-290) folgt. Der dritte, noch kleinere Block C wendet sich motiv- und stoffgeschichtlich "Kontiniutät und Wandel einzelner Deutungsmuster" zu und unterscheidet dabei ältere Vorstellungen wie eschatologische Deutungen der Mendikanten (291-334) im Anschluss an Hildegard von Bingen, Antichristvorstellungen und Bettelorden als Zeugen der Endzeit. Symbolische Deutungen der Mendikanten durch Tiergestalten (335-377) als Schwalben im Pavo figuralis, als Fuchs und Wolf im Rahmen der Fabeln und in den Dichtungen Rutebeufs, Couronnement de Renart und Renart le Nouvel kommen zur Sprache. Die opulente Bibliographie (387-449) verzeichnet die Quellenzeugnisse getrennt nach franziskanischen und dominikanischen Schriften, Quellen der Außenwahrnehmung, lyrischen und prosaischen Dichtungen. Das Register führt zudem einzeln die Initien aller verwendeten Quellenstücke auf (451-459).
Die Monographie stößt nach der langen Fokussierung auf das Paradigma Bettelorden und Stadt über den sozial- und kulturhistorischen Zugang ein neues Feld zum Thema auf. Der originelle Ansatz über eine eigene Methode, die kreative Bearbeitung einer enormen Quellenlage, ein stupender Überblick über den Forschungsstand, eine schlüssige Gliederung und das durchgängige Erkenntnisinteresse von Institutionaliät und Perzeption machen die Studie zum Vorbild und Maßstab der künftigen Beschäftigung der Forschung mit den Bettelpredigern, die in die Nähe von Marktschreiern und Kirmesgauklern geraten. Die in der Literatur mitunter anzutreffende Hinwendung zur besonderen Rolle der bischöflichen Stadtherren [1] oder hochadeligen Höfe [2] innerhalb mendikantischer Gemeinschaftsbildungen wären mögliche Bereiche einer weiteren Problematisierung in dieser Hinsicht. Auch ein Vergleich zu den kleineren Bettelorden der zweiten Gründungswelle [3], denen es an charismatischen Ordensstiftern fehlte, verdiente solche Beachtung.
Anmerkungen:
[1] Klaus Krüger (Hrsg.): Kirche - Kloster - Hospital. Zur mittelalterlichen Sakraltopographie Halles (= Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte; 12) Halle/Saale 2008.
[2] Siehe Christian-Frederik Felskau: Agnes von Böhmen und die Klosteranlage der Klarissen und Franziskaner in Prag. Leben und Institution, Legende und Verehrung, Nordhausen 2008.
[3] Frances Andrews: The Other Friars. Carmelite, Augustinian, Sack and Pied Friars in the Middle Ages, Woodbridge/Rochester 2006.
Andreas Rüther