Rezension über:

Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Elke Enderwitz, Ulrich Enderwitz, Monika Noll, Rolf Schubert, 6. Aufl., Frankfurt a.M.: S. Fischer 2008, 864 S., ISBN 978-3-10-091070-7, EUR 22,90
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Rezension von:
Wolfgang Krieger
Philipps-Universität, Marburg
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Krieger: Rezension von: Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Elke Enderwitz, Ulrich Enderwitz, Monika Noll, Rolf Schubert, 6. Aufl., Frankfurt a.M.: S. Fischer 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/15710.html


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Tim Weiner: CIA

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Seit den 1970er Jahren gibt es zuverlässige schriftliche Quellen zur Geschichte des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Seit den 1990er Jahren werden große Aktenbestände für die Forschung freigegeben, die man großenteils im Internet lesen kann. Damit liegen gewiss nicht alle Akten offen zutage - schon gar nicht für die beiden Jahrzehnte seit dem Ende des Kalten Krieges. Gleichwohl ist dieser Informationszugang einmalig für einen aktiven Geheimdienst. (Der Sonderfall der zugänglichen Stasiakten war nur möglich, weil der dazugehörige Staat, die DDR, unterging.)

Man könnte die Frage stellen, warum die CIA so viel Aktenmaterial freigegeben hat und nach welcher Logik sie das tut. Aber Tim Weiner geht nicht mit Fragen an dieses Quellenmaterial heran, sondern mit festgezurrten Überzeugungen, oft genug mit Vorurteilen, die er mit süffigen Zitaten, gruseligen Ereignissen und prominenten Namen ausschmückt. Sein Buch ist somit keine "Geschichte" der CIA (noch weniger "die ganze Geschichte", wie der deutsche Buchtitel suggeriert), sondern eine überlange Anklageschrift, die durch ein Trommelfeuer an Vorwürfen die Geschworenen beeindrucken und weich klopfen will.

Bereits die Gründungsgeschichte der CIA ist vollkommen falsch dargestellt, obgleich wir hierzu heute ein fast lückenloses Aktenmaterial haben, zu wesentlichen Teilen in einem Band der Aktenpublikation Foreign Relations of the United States ediert. [1] Es ist schlichtweg falsch, dass Harry Truman (der erste Nachkriegspräsident) nur "eine Zeitung" haben wollte, also nur ein Büro, welches die eingelaufenen Geheimdienstberichte in eine lesbare Form brachte (27). Vielmehr wollte er bei der Auflösung des Weltkriegsgeheimdienstes OSS behutsam vorgehen, um dieses Instrument nicht in, wie er glaubte, falsche Hände geraten zu lassen. Die Bundespolizei FBI musste ihre Zuständigkeit für Lateinamerika abgeben, obgleich ihr Chef, J. Edgar Hoover, am liebsten einen kombinierten Auslands- und Inlandsgeheimdienst geleitet hätte. Sodann wollte Truman nicht vollständig auf die Militärgeheimdienste angewiesen sein. Deshalb richtete er zunächst die CIA als "zentralen", das heißt dem Weißen Haus direkt unterstellten, Geheimdienst ein, den er nach und nach mit Kompetenzen ausstattete. Das gelang nur schrittweise, da das FBI wie auch das Pentagon großen Rückhalt im Kongress genossen, während Truman selbst nur in die übergroßen Fußstapfen des verstorbenen Präsidenten Roosevelt getreten war und keine parlamentarische Hausmacht hatte.

Der erste Director of Central Intelligence (DCI) war ein mit Truman befreundeter Geschäftsmann, Sidney Souers, der während des Krieges im Marinegeheimdienst tätig gewesen war und dabei den Rang eines Admirals der Reserve erreicht hatte. Zur Unterstützung erhielt er einen kleinen Analysestab aus ein paar Duzend Leuten, die den President's Daily Brief verfassten, jene tägliche Morgenlektüre, die heute durch den Director of National Intelligence (oder seinen Vertreter) überbracht wird. Souers' Nachfolger wurde Luftwaffengeneral Hoyt S. Vandenberg, ein Berufssoldat mit Fronterfahrung, der sich gegenüber dem Pentagon zu behaupten wusste (und der Neffe eines sehr einflussreichen republikanischen Senators war).

Jeder dieser Entwicklungsschritte erfolgte auf der Basis von Weisungen des Präsidenten. Hinzu kam ein spezielles CIA-Gesetz und ein gesondertes Kongressbudget für "undokumentierte Ausgaben", also für Geheimdienstoperationen (1949). Parallel dazu schuf Truman einen Geheimdienst für Abhörtechniken und Funkentschlüsselung, zunächst innerhalb der Army, dann (1952) als separate National Security Agency. Für die während des Zweiten Weltkrieges so wichtig gewordene Zusammenarbeit mit Großbritannien (und seinem Empire) erließ Truman am 12. September 1945, also zwei Wochen vor Auflösung des OSS, eine geheime Direktive. Es ist somit absurd, Truman für einen geheimdienstlichen Waisenknaben zu halten, wie es Weiner tut.

Gewiss gelang Trumans Reform der amerikanischen Militär- und Sicherheitsstrukturen nicht überall. Die Teilstreitkräfte behielten ihre eigenen Geheimdienste. Und sie verwässerten die Vereinigung von Heeresministerium (War Department) und Marineministerium (Navy Department). Erst das Goldwater-Nichols-Gesetz von 1986 brachte diesen Zusammenschluss der Teilstreitkräfte. Doch der National Security Act vom Juli 1947 schuf das Department of Defense und zwei neuartige sicherheitspolitische Institutionen: den Nationalen Sicherheitsrat (NSC) und die CIA.

Tim Weiner jedoch interessiert sich nicht für historische Kontexte. Ja, nicht einmal die anderen US-Geheimdienste neben der CIA beachtet er. (Heute zählt die Intelligence Community 17 Geheimdienste, davon neun militärische.) Es geht Weiner nur um die Misserfolge der CIA, während er die Erfolge ausblendet. Selbst die umfängliche historische Literatur, die eine rasche Orientierung zu diesen Themen leicht macht, ignoriert er weitgehend.

Ohne kritischen Verstand stürzt er sich in die Flut der Quellen, um gelegentlich mit interessanten Hinweisen und Fundstücken wieder aufzutauchen. Um davon zu profitieren, muss man allerdings darauf vertrauen, dass diese Quellen korrekt wiedergegeben werden. Doch hier hapert es gewaltig. Beispielsweise wird eine angeblich vernichtende Bewertung Präsident Eisenhowers am Ende seiner Amtszeit auf die CIA bezogen, obgleich sie der mangelnden Zusammenarbeit der militärischen Geheimdienste galt (232/233). Weiner klebt seine Zitate aus zwei verschiedenen Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrates (im Januar 1961) zusammen, wodurch die Bezüge durcheinander geraten.

Desgleichen verwechselt Weiner Vorhersagen mit Feststellungen. So sagten die US-Geheimdienste (nicht nur die CIA!) in einer Stellungnahme von 1957 für das Jahr 1961 ein sowjetisches interkontinentales Raketenarsenal von 500 Stück vorher, korrigierten jedoch bereits 1960 ihre Einschätzung auf 50 bis 200 und bezifferten den aktuellen Stand von 1961 auf 10 Systeme. Weiner hingegen schreibt, im Jahr 1961 habe man 500 angenommen, obwohl es nur vier gewesen seien (220). Gewiss gab es eine Überzeichnung der heraufziehenden sowjetischen Erstschlagfähigkeit, aber nicht bei der CIA, sondern bei der US Air Force, die um ihren Beschaffungsetat bangte.

Schade, dass sich ein renommierter Journalist auf diesen politischen Feldzug eingelassen hat. Warum nur? Betrachtet man den gewonnenen Pulitzerpreis und die Verkaufszahlen, erhält man einen Teil der Antwort. Der andere liegt in den gewaltigen ideologischen Konfrontationen um die amerikanische Außenpolitik unter Präsident Bush jr., die selbst unter Präsident Obama noch keineswegs ausgestanden sind. Alles wäre so viel einfacher, wenn Weiner Recht hätte und die CIA ein Club von Versagern wäre, die hinter dem Rücken der US-Präsidenten und des amerikanischen Volkes im Trüben fischen. Doch leider ist die Wahrheit komplizierter - und viel schlimmer.


Anmerkung:

[1] Department of State (ed.): Foreign Relations of the United States (Abk. FRUS) 1950-1955, The Intelligence Community, Washington DC 2007.

Wolfgang Krieger