Knut Schulz: Handwerk, Zünfte und Gewerbe. Mittelalter und Renaissance, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010, 304 S., ISBN 978-3-534-20590-5, EUR 39,90
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Der Verfasser des zu besprechenden Buches hat als Mediävist an der Freien Universität Berlin gelehrt. Zwei seiner Arbeitsschwerpunkte mit zahlreichen und grundlegenden Veröffentlichungen waren die Stadt- und die Handwerksgeschichte. Das vorzustellende aktuelle Werk des Emeritus schöpft aus dem reichhaltigen Fundus seiner Einzelstudien zu dem genannten Themenkreis.
Wie man es bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft gewohnt ist, ist die Aufmachung gediegen und das Buch sorgfältig hergestellt. 27 Abbildungen haben teils illustrativ-unterhaltsamen Charakter und teils einen direkten Bezug zum Text. Auswahl und Qualität der Abbildungen sind niveauvoll und einem wissenschaftlichen Buch angemessen. Besonders hervorzuheben ist die sprachliche Kompetenz: Der Text ist orthografisch korrekt, ohne Vorkenntnisse verständlich und angenehm zu lesen, was in der heutigen wissenschaftlichen Literatur beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Das Literaturverzeichnis bietet eine Auswahl vertiefender Titel, die wie jede Auswahl subjektive Vorlieben des Verfassers erkennen lässt. Ein Register und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis erlauben dem eiligen Konsumenten einen raschen Zugriff auf die gesuchte Information.
Knut Schulz bezieht seine Darstellung auf den deutschen Sprachraum, wobei er Schwerpunkte setzt. Diese richten sich zum einen nach der Dichte der bisherigen Forschungen und zum anderen nach seiner Annahme, größere Städte und wichtigere Gewerberegionen besäßen eine höhere Aussagekraft (17). Das Kapitel zum Landhandwerk (212ff.) ist dünn, nicht nur im wörtlich-materiellen Sinne. Aspekte des Landhandwerks werden auch an anderen Stellen des Buches gestreift (Klöster, Mühlen, Gewerbelandschaften), doch der Aufstieg des Landhandwerks seit dem 14. Jahrhundert bleibt undeutlich. Bis ins 19. Jahrhundert wohnte bekanntlich die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land, ihre Teilhabe an Handwerk und Gewerbe wird jedoch kaum gewürdigt. In einigen Landschaften und Berufszweigen überwog die Zahl der Landhandwerker schon im 16. Jahrhundert die ihrer städtischen Kollegen. Erst das Landhandwerk erlaubte wenig urbanisierten Gebieten die Teilnahme am Zunftwesen. Die ländlichen Zünfte waren oft weit entfernt von dem Idealbild einer Zunft in südwestdeutschen Reichsstädten, in Köln oder im Hanseraum; durch ihre schiere Zahl bestimmten sie aber das Erscheinungsbild der Zünfte während der Frühen Neuzeit.
Der Buchtitel verheißt eine Darstellung für das Mittelalter und die Renaissance. Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit der Zeitspanne vom 10. Jahrhundert bis zum Dreißigjährigen Krieg, den Knut Schulz als Einschnitt in der Handwerks- und Gewerbegeschichte ansieht. Ein kurzer Einführungsteil stellt das frühe Mittelalter vor, ein Ausblick das späte 17. und das 18. Jahrhundert. Mit starken Strichen zeichnet Schulz die Entstehung des mittelalterlichen Handwerks und des Handwerksrechts der Städte, der politischen Konflikte in den Städten mit Handwerkerbeteiligung im 14. bis 16. Jahrhundert, der Berufsgliederung des Handwerks, der Gewerbe- und Sozialtopografie sowie der Frauenfrage im Handwerk.
Anschließend werden einige Ausführungen zur Technikgeschichte, zum Kunst- und Bauhandwerk und zur Handwerkerbildung gemacht, wobei der Rezensent gestehen muss, dass er Aufbau und Sinn dieses Kapitels nicht recht verstanden hat. Von zehn Objektbereichen der Technikgeschichte, die der Verfasser nennt (94) und denen andere hinzugefügt werden könnten (z.B. die Nahrungsmittelhandwerke), werden ein paar ausgewählt. Mehrere Quellen werden ausführlich besprochen, aber ein halbwegs geschlossenes Bild der Technikgeschichte des mittelalterlichen Handwerks gewinnt der Leser nicht. Die viel diskutierte Frage, ob sich das Zunftwesen eher innovativ oder eher fortschrittsfeindlich ausgewirkt habe, bleibt offen.
Unter der Überschrift "Städtisches Handwerk und gewerbliches Umland" werden Fragen der Wirtschaft und Politik des Handwerks, besonders der Zünfte, besprochen. Anschließend werden die großen Textilgewerbelandschaften (außer den Baumwollgebieten), Nürnberg und sein Metallgewerbe und das Verhältnis der Hansestädte zu ihrem Handwerk vorgestellt. Mit Herausforderungen des Handwerks und neuen Impulsen während des 15. bis 17. Jahrhunderts beschäftigt sich das folgende Hauptkapitel, das den Wandel der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, neue Stadttypen, das Aufkommen der Handwerksgesellen sowie Selbstdarstellung und Ruf der Zünfte thematisiert.
Die Methode des Autors, den Stoff sehr zurückhaltend zu systematisieren und Allgemeinaussagen zugunsten von Einzelbeispielen zurücktreten zu lassen, hat Vor- und Nachteile. Unzulässigen Verallgemeinerungen wird vorgebeugt, und die Ausführungen gewinnen an Farbigkeit. Auf der anderen Seite lernt der Leser zwar viel über die Verhältnisse in Gent, Worms und Straßburg, aber wie sich das "Handwerk vom 10. bis zum 12. Jahrhundert" - so die zugehörige Kapitelüberschrift - entfaltet hat, weiß er nach dem Lesen nicht, da er nicht entscheiden kann, inwieweit die Einzelbeispiele pars pro toto zu verstehen sind. Eine stärker herausgearbeitete Theorie hätte den Text zwar angreifbarer für Detailkritik werden lassen, aber dem Leser einen roten Faden an die Hand gegeben und dem Wissenschaftler Fingerzeige, wo zu widersprechen und weiter zu forschen sich lohnt.
Das Buch wendet sich in erster Linie an interessierte Laien, denen es eine anregende und unterhaltsame Lektüre bietet. Auch für den Fachmann enthält es manchen originellen und neuartigen Hinweis. Es lässt alte Klischees über das Handwerk und seine Organisationen hinter sich und repräsentiert den Forschungsstand der jüngeren Zeit. Die Lektüre lohnt sich für jeden, der mehr über die Gewerbegeschichte vom Spätmittelalter bis zum 17. Jahrhundert erfahren möchte.
Arnd Kluge