Rezension über:

Stefan M. Holzer / Bernd Köck: Meisterwerke barocker Bautechnik. Kuppeln, Gewölbe und Kirchendachwerke in Südbayern, Regensburg: Schnell & Steiner 2008, 216 S., ISBN 978-3-7954-2035-2, EUR 39,90
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Rezension von:
Kathrin Müller
München
Redaktionelle Betreuung:
Julian Jachmann
Empfohlene Zitierweise:
Kathrin Müller: Rezension von: Stefan M. Holzer / Bernd Köck: Meisterwerke barocker Bautechnik. Kuppeln, Gewölbe und Kirchendachwerke in Südbayern, Regensburg: Schnell & Steiner 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 5 [15.05.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/05/15707.html


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Stefan M. Holzer / Bernd Köck: Meisterwerke barocker Bautechnik

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Es ist ein mutiges Vorhaben, ein Buch über historische Dachwerkskonstruktion zu schreiben, das sich ausdrücklich an ein "breiteres Publikum" (7) wenden soll. Die Autoren Stefan M. Holzer und Bernd Köck kommen aus der "Praxis", vom Institut für Mathematik und Bauinformatik der Universität der Bundeswehr München. Doch ist es ihnen gelungen, ein Buch vorzulegen, das auch für den technischen "Laien" (worunter wohl die meisten Geisteswissenschaftler zu rechnen sind) sehr lesenswert ist. Schon in der "Einführung" (9-10) wird deutlich, welchen Erkenntnisgewinn sich auch der Kunsthistoriker aus der Lektüre erhoffen kann: Betont wird die Bedeutung der Bautechnik gerade für die barocke Sakralarchitektur - als "Bühnenmaschinerie" des "Theatrum Sacrum", die zwar essenziell für das Erreichen der Raumwirkung ist, jedoch unsichtbar im Hintergrund bleiben muss.

Die Publikation zeichnet sich vor allem durch die Zusammenführung von Theorie und Praxis sowie die Einbeziehung der technischen Aspekte in einen breiteren Kontext aus und unterscheidet sich darin von vergleichbaren Vorgängern. [1] Die im Rahmen eines Forschungsprojektes über "Tragverhalten und Standsicherheit historischer Holzkonstruktionen" (7) erworbene solide Sachkenntnis bildet die Basis der Publikation: Es werden ausschließlich Beispiele besprochen, die die Autoren selbst in Augenschein nehmen konnten. Neben praktischer Ingenieurserfahrung und Denkmälerkenntnis verfügen die Autoren zudem über eine profunde Kenntnis historischen Quellenmaterials. Mit der Einbeziehung der barocken Traktatliteratur zur Zimmermannskunst rücken sie ein bislang von der Forschung stark vernachlässigtes Thema ins Blickfeld. Richtet sich das Interesse der Kunstgeschichte zumeist auf die entwerfenden Architekten und die an der Ausstattung beteiligten Künstler, so wird hier die Bedeutung des Zimmermanns für die großen Bauprojekte hervorgehoben. Nach einem sehr knapp gehaltenen Überblick über "Barockes Bauwesen in Südbayern" (15-20) werden im Kapitel "Der Zimmermann in der Barockzeit - Ingenieur und Buchautor" (21-42) die zahlreichen Fachbücher zur Holzbautechnik, die zwischen 1649 und 1847 im deutschen Sprachraum erschienen sind, vorgestellt und ihre Rezeption in der Baupraxis untersucht. Dazu gehört das Werk Architektura Civilis von Johann Wilhelm, als "erste[s] deutsche[s] Zimmermannsbuch überhaupt" 1649 erschienen (22-24), und die 1769 in Augsburg erschienene Zimmerkunst von Caspar Walter d.J. (34-36).

Ergänzt wird dieses Kapitel durch das Literaturverzeichnis im Anhang (205-212), welches die Literaturangaben "in chronologischer Folge sortiert, weil sich auf diese Weise eine historische Bibliographie der Dachwerksliteratur ergibt" (205). Dieses Vorgehen ist zwar in Bezug auf die zeitgenössische Traktatliteratur durchaus sinnvoll, dagegen erscheint die Einbeziehung auch der neueren Sekundärliteratur zu den einzelnen Bauwerken in diese Sortierung nur bedingt nachvollziehbar.

Für ihre weiteren Ausführungen stützen sich die Autoren sowohl auf eigene Untersuchungen am Objekt als auch auf die vorgestellte Traktatliteratur. Davon profitiert auch die Bebilderung des Buches, die überwiegend zum einen aus Abbildungen aus historischen Traktaten und zum anderen aus eigenen Fotos und Aufmaßzeichnungen von den heutigen Dachräumen besteht. Hier sei explizit die Qualität der zahlreichen Innenaufnahmen dieser nur sehr schwer zu fotografierenden Räume in dem umfangreichen Farb-Abbildungsteil (155-204) betont. All dies verleiht den Erläuterungen eine große Anschaulichkeit und Praxisnähe. So kann unter der Überschrift "Herstellungstechniken des barocken Dachwerks und Gewölbes" (43-67) - von der Vorbereitung der Hölzer über die Vorarbeiten auf dem Zimmerplatz, das Aufrichten des Dachwerks bis hin zur Dachdeckung und dem Einziehen des Gewölbes - zugleich deutlich gemacht werden, wie die in der zeitgenössischen Literatur geschilderten Techniken tatsächlich in der Praxis umgesetzt wurden. Beispielsweise werden Beilspuren an Dachbalken gezeigt, die noch von dem im Traktat ausführlich beschriebenen Vorgehen der Balkenherstellung zeugen (47).

Es folgt eine Einführung in die technischen und terminologischen Grundlagen der "Konstruktionsprinzipien und Elemente des barocken Dachwerks" (69-93). Dies geschieht auf sehr gut verständliche Weise im laufenden Text. Diese Vorgehensweise ist nicht immer ganz unproblematisch, gelegentlich werden Begriffe erst nach mehrfacher Nennung erklärt (z.B. "Sparrenknechte" erklärt auf Seite 123, genannt aber schon auf Seite 121). Verweise im Register auf den Ort der jeweiligen "Begriffsdefinition" sowie die Tatsache, dass sich durch die präzise Sprache und anschauliche Bebilderung auch nicht explizit erläuterte Fachbegriffe bisweilen von selbst erklären, können dennoch nicht ganz das wünschenswerte Glossar ersetzen.

Etwa die zweite Hälfte des Buches (ab 81) nehmen Beispieluntersuchungen einzelner Dachwerke im südbayerischen Raum ein. So erfolgt - fortschreitend vom Einfachen zum Komplizierteren - die Anwendung der zuvor ausgebreiteten Grundlagen. In den Kapiteln "Große Hängewerke" (95-102) und "'Offene Dachwerke' - Kreuzstrebendachwerke und andere Konstruktionen" (103-124) wird deutlich, dass die Anforderungen der barocken Großbauten zumeist nicht mit einfachen Standardlösungen zu erfüllen waren. Meist waren kompliziertere statische Lösungen gefragt - beispielsweise bei Gewölben mit besonders großen Spannweiten, wie dem Wandpfeilerbau der Klosterkirche Fürstenfeld (95-97), bei der mit unregelmäßigem Grundriss und flacher Holzdecke versehenen evangelischen Heilig-Kreuz-Kirche in Augsburg (97-102) oder bei von unten in den Dachraum hineinragenden Wölbungen wie z.B. in Garmisch (113-115). Es zeigt sich, dass mithilfe der zuvor erläuterten Grundbegriffe sowie des sehr durchdacht verwendeten Bildmaterials selbst die komplizierteren Dachwerke auch für den technischen Laien nachzuvollziehen sind.

Ein eigenes Kapitel ist dem Thema "Kuppeln" (125-154) gewidmet, was der großen Bedeutung der Kuppel in der Sakralarchitektur als höchstes Würdemotiv entspricht. Auch konstruktiv bildet die Kuppel einen Sonderfall der Dachwerkskonstruktion. Ausführlich schildern Holzer und Köck dies am Beispiel Murnau, einem wegweisenden Bau für die barocke Sakralarchitektur in Bayern. Kunsthistorisch interessante Perspektiven eröffnet vor allem die Analyse der Kuppel der Klosterkirche Ettal, wo tatsächlich der Blick ins Dachwerk neue Hinweise zur Klärung der Baugeschichte liefern kann.

Beispiele wie Ettal oder auch die Betrachtung der gestelzten Abseiten-Quertonnen in Fürstenfeld "von oben" zeigen deutlich, wie die Kunstgeschichte von dem veränderten Blickwinkel auf die eigentlich bekannten Kirchenbauten profitieren kann. In den sonst meist verschlossenen Dachräumen verbergen sich grundlegende Bestandteile der barocken Rauminszenierung, in der sich Architektur und Dekoration zum "Gesamtkunstwerk" vereinigen. Mit der vorliegenden Publikation werden uns diese Räume im doppelten Wortsinne zugänglich gemacht.


Anmerkung:

[1] Hans-Joachim Sachse (Barocke Dachwerke, Decken und Gewölbe. Zur Baugeschichte und Baukonstruktion in Süddeutschland, Berlin 1975) beschränkt sich überwiegend auf die detaillierte Untersuchung einzelner Beispiele. Das "Standardwerk" zur Dachforschung von Friedrich Ostendorf (Die Geschichte des Dachwerks, Leipzig / Berlin 1908) beschäftigt sich v.a. mit mittelalterlichen Konstruktionen.

Kathrin Müller