Rezension über:

Jonathan E. Gumz: The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914-1918 (= Cambridge Military Histories), Cambridge: Cambridge University Press 2009, XII + 275 S., ISBN 978-0-521-89627-6, GBP 45,00
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Rezension von:
Rayk Einax
Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Rayk Einax: Rezension von: Jonathan E. Gumz: The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914-1918, Cambridge: Cambridge University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 5 [15.05.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/05/16550.html


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Jonathan E. Gumz: The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914-1918

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"The Habsburg encounter with Serbia from 1914 to 1918 is one that began loudly but ended soft." (231) Dieser Satz, der den Charakter der k.u.k. Besatzungsherrschaft in Serbien lapidar auf den Punkt bringt, rundet die wissenschaftlich ansprechende Beweiskette von Jonathan E. Gumz ab.

Dabei war die militärische Besetzung serbischen Territoriums infolge heftiger Gegenwehr erst Ende 1915 wirklich abgeschlossen. Die zuvor verübten Gräuel an der Zivilbevölkerung erwiesen sich zwar als schwere Hypothek für die anschließenden Bemühungen, das "Militärgouvernement Serbien" (ab 1916) strukturell dem Habsburgerreich anzugleichen. Gumz tritt jedoch den Nachweis an, dass sich die eroberten Gebiete selbst in der Endphase des Ersten Weltkriegs politisch weitgehend unter Kontrolle befanden, zumindest in der Wahrnehmung der Besatzungsbehörden. Darüber hinaus habe sich Serbien im Gegensatz zu manch anderem Kronland zu einem veritablen Nahrungsmittellieferanten für die Monarchie entwickelt. Was von der maroden Habsburgermonarchie blutig als Rachefeldzug und Strafgericht begonnen worden sei, habe sich ausgerechnet im Lande des vormaligen Erzfeindes zu einer fragilen, aber wirtschaftlich erfolgreichen Koexistenz zwischen Okkupationsmacht und serbischer Bevölkerung gewandelt.

Die Besatzungsbehörden als wichtiger Akteur stellen das Untersuchungsobjekt der vorliegenden Studie dar. Dabei werden in fünf Kapiteln die Kernaspekte der Politik und die innere Struktur der österreichisch-ungarischen Administration in Beziehung zu den Reaktionen des serbischen Demos gesetzt. Anschließend stellt der Autor das serbische Exempel kursorisch in einen breiteren historischen Kontext, der das ganze 20. Jahrhundert in den Blick nimmt.

Gumz stellt einleitend fest, dass die Führung der k.u.k. Besatzungsadministration von extrem konservativen Stabsoffizieren durchsetzt war, die neben ihren dienstlichen Obliegenheiten Ambitionen an den Tag gelegt hätten, das vielfach gefährdete Vielvölkerreich im Zuge des Krieges bürokratisch neu zu ordnen. Die Logik der Okkupationsbehörde war demzufolge weitaus universellerer, als es die Bedingungen des Besatzungsalltags zunächst vermuten lassen.

Das Militär nahm bereits seit dem 19. Jahrhundert in der Gesellschaft des Habsburgerreiches eine spezifische Rolle ein, die sich insbesondere in der strikten Trennung beider Sphären manifestierte. Ganz in der Diktion Metternichs habe das Offizierskorps einen übernationalen Habitus entwickelt, der gleichzeitig auf hierarchischen, antidemokratischen und aristokratischen Ordnungsvorstellungen beruhte. Bis zuletzt fühlte sich die Armeeführung, der während des Krieges weitreichende administrative Befugnisse eingeräumt wurden, all diesen konservativen Traditionen verpflichtet.

Das supranational ausgerichtete Armeeoberkommando befürchtete insbesondere die serbisch-nationalistische Unterwanderung der umliegenden Provinzen, z.B. Bosnien-Herzegowinas, Südungarns (Vojvodina) u.a. Es schien den Verantwortlichen, als sei die gesamte serbische Bevölkerung einschließlich der Frauen und Kinder nur durch abschreckende Vergeltungsmaßnahmen zu bändigen. Aber in allen Besatzungsgebieten des Weltkrieges hätten Zivilisten ab diesem Zeitpunkt eine qualitativ neue Rolle eingenommen, bei der sie nicht nur zur ständigen Verfügungsmasse des Militärapparats sondern auch zum Opfer alltäglich eskalierender Gewalt wurden.

Das brutale, unangemessene Vorgehen der österreichisch-ungarischen Behörden war vor allem von der panischen Angst vor serbischen Guerillaaktivitäten (serb.: Komitadzi) diktiert und wurde unter dem Deckmantel der Notwehr im Krieg gerechtfertigt. Dies zog vor allem in den ersten Kriegsjahren 1914 bis 1916 die Behandlung aller Zivilisten als potenzielle Insurgenten nach sich. Hinzu kam ein moralisches Überlegenheitsgefühl, welches in der Einbildung mündete, dass man selbst der wahre Verteidiger einer zivilisierten, rechtlich einwandfreien Kriegsführung sei. Bei einzelnen mag auch "pathologischer" Rassismus oder Serbenhass den Ausschlag gegeben haben.

Trotz der anfangs inflationären Anwendung des Standrechts seien die Generäle aber immer (latent) den internationalen Kriegskonventionen verpflichtet gewesen, auch wenn sich an diesem Punkt viele Widersprüche auftaten. Unmoralische und illegale Kriegsführung wurde allein den Serben untergeschoben. Die Arbeitspraxis der k.u.k. Militärgerichte habe dennoch Diskussionen innerhalb der Monarchie aufkommen lassen. Dadurch hätten sich zumindest unter dem neuen Kaiser Karl I. Milderungen ergeben.

Geradezu überraschend muten aber die Befunde Gumz' zur Versorgungslage an. Bis 1916 habe eine drohende Hungerkatastrophe Serbien zu einem Notstandsgebiet gemacht. Unter Einsatz landwirtschaftlicher Experten gelang jedoch rasch eine Stabilisierung. Bald einsetzende Getreide- und Viehexporte wurden in der Presse als vermeintliches Wirtschaftswunder und neue serbische Prosperität gefeiert. Hierbei sei das Image der Militärverwaltung stark aufgewertet worden, während die zivilen Behörden der Kronländer, wo allerorts Mangel und Hunger vorherrschten, nicht eben als Vorbild firmierten. Natürlich zogen die serbischen Agrarüberschüsse von allen Seiten Begehrlichkeiten und Verteilungskämpfe nach sich.

Eben durch die solide Ernährungslage schien die serbische Bevölkerung in einem beträchtlichen Ausmaße neutralisiert, ja Serbien hätte am Beginn gestanden, zukünftig Teil des Habsburgerreiches zu werden, während andere Regionen der Monarchie bereits hoffnungslos entfremdet waren. Dieser Feststellung schließt sich das Plädoyer an, das Verhältnis zwischen Heimatfront und Okkupationsgebiet für das ganze 20. Jahrhundert stärker in den Fokus zu nehmen. Hier lautet die These, dass eine (wirtschaftlich) erfolgreiche Militärbesatzung enorm zur Ruhe im Innern beitragen kann.

Dazu durfte Serbien als Staatswesen aber nicht wiederauferstehen. Die Konzeptionen des Besatzungsregimes sahen demnach die Entpolitisierung und Denationalisierung der ihm völlig fremd anmutenden Bevölkerung vor. Dies schlug sich z.B. in der Schulpolitik nieder. Zumindest begriff die österreichisch-ungarische Armee Krieg, im Unterschied etwa zu dem späteren Gebaren der Wehrmacht, nach wie vor als Konflikt zwischen Staaten, nicht zwischen Nationen oder Völkern. Und letztlich habe die k.u.k. Militärverwaltung, selbst unter restriktiver Anwendung der elementaren Rechtsgrundsätze, Serbien vor der völligen Ausplünderung bewahrt. Das Ziel der Okkupationsmacht sei es eben nicht gewesen, das Land flächendeckend zu verwüsten, sondern das Imperium in einem "begrenzten Krieg" insgesamt zu stabilisieren.

Die Erkenntnisse der Dissertation, deren Schwerpunkt die Jahre 1916 bis 1918 bilden, beruhen fast ausschließlich auf militärischem Schriftgut - Heeresberichte, Depeschen etc. Hinzu kommen die Berichte bzw. Memoiren einzelner Zeitzeugen aus den Reihen der österreichisch-ungarischen Generalität. Serbische Quellen kommen leider so gut wie gar nicht zum Zuge. Aufgrund des konsultierten Aktenmaterials ist die Darstellung an vielen Stellen recht stark auf die Einschätzung einiger weniger Personen konzentriert. Hinzu kommen einige begriffliche und konzeptionelle Unklarheiten; so bleibt z.B. diffus, was der Autor konkret mit einer faktischen "elimination of the Serb political class" meint (3), oder warum er das Modell des "Sozialdarwinismus" für geeignet hält, um die geistige Einstellung einzelner Oberkommandierender zu beschreiben (13).

Dennoch werden die Aushandlungs- oder Kommunikationsprozesse innerhalb der Behörden und zwischen den verschiedenen Amtsträgern profund dargelegt. Und gerade die Einbettung in einen zeitlich größeren Rahmen macht die Lektüre zu einer recht anregenden Angelegenheit, wie sie für militärhistorische Monografien nicht eben typisch ist.

Rayk Einax