Katja Richter: Der Triumph des Kreuzes. Kunst und Konfession im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 143), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, X + 350 S., ISBN 978-3-422-06730-1, EUR 58,00
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Die Organisation des Sakralraums während der katholischen Reform im späten 16. Jahrhundert, das haben eine Reihe von Arbeiten in den letzen Jahren deutlich gemacht, ist von komplexen raum-zeitlichen Konzepten geprägt, die ihr Material aus der frühneuzeitlichen Raum- und Stadtplanung, aus spätmittelalterlichen Kultpraktiken und einer quellenkritisch-archäologisch orientierten Kirchengeschichtsschreibung bezogen. [1]
Die vorliegende Dissertation von Katja Richter untersucht die Reform des christlichen Bildgebrauchs an Beispielen der räumlichen Inszenierung und bildlichen Darstellung des Kreuzes. Die Entscheidung der Autorin, die Verwendung eines "polysemantischen bildlichen Symbols" (6) exemplarisch aufzuarbeiten, bietet die Möglichkeit, reformkatholische Kult- und Bildpraktiken in den unterschiedlichsten Zusammenhängen nachzuzeichnen, gehörte doch die Förderung der Kreuzesfrömmigkeit, unter dem Druck protestantischer Kritik an der Marien- und Heiligenverehrung, zu den wichtigen Anliegen gegenreformatorischer Orden, etwa der Theatiner oder Jesuiten. [2]
Das eröffnende Kapitel bietet einen ersten Einblick in die theoretische Auseinandersetzung mit dem Kreuzsymbol im Schrifttum der Reformation und Gegenreformation. Klärungsbedarf bestand vor allem im kirchlichen Gebrauch des Zeichens, zumal das Kreuz im Zeitalter der beginnenden Konfessionalisierung parteienübergreifend weiterverwendet und seine Präsenz im Kirchenraum nur in streng bilderfeindlichen Positionen infrage gestellt wurde. Die chronologische Ordnung und weitgehend an der Oberfläche gehaltene Analyse des Schrifttums erschwert es mitunter, der Argumente zu konkreten Problemen habhaft zu werden. Wichtige Fragestellungen diskutiert Richter erst in späteren Kapiteln, so Bellarmins oder Bosios Definition des Reliquiencharakters (249, 253), das Problem der Kreuzesweihe von Kirchen (241-244), der Kreuzesfeste und der Kreuzeslegende (181-185).
Die erste Fallstudie der Arbeit gilt der Errichtung monumentaler Säulenkreuze im Mailand der 1570/80er-Jahre unter Carlo Borromeo. Die Besetzung der wichtigsten Plätze vor den Kirchen der Stadt mit derartigen Triumphzeichen erklärt sich aus den Bedürfnissen der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit und der Frontstellung gegen reformatorische Bewegungen. Der urbanistische Anspruch, die Umdeutung des Stadtraums in eine Prozessionslandschaft werden in den liturgischen Vorgängen an den Kreuzen deutlich.
Nicht folgen mag man der Autorin, wenn sie diese Praxis grundsätzlich von der vorangegangenen Tradition mittelalterlicher Wegekreuze, Sühnekreuze und Pestkreuze abgrenzt (65), auf die zeitgenössische Quellen immer wieder hinweisen, und die doch die Setzung der Kreuzeszeichen als Stiftung von Kontinuität belegt.
Die drei folgenden Kapitel des Buches widmen sich ausschließlich römischen Projekten des späten 16. Jahrhunderts. Der Franziskanerpapst Sixtus V. - hier hätte man sich einen Exkurs in die franziskanische Kreuzesfrömmigkeit gewünscht - richtete an wichtigen Punkten der von ihm geschaffenen Straßenachsen Obelisken auf, die er mit einem Kreuz bekrönen und dem Kreuz weihen ließ. Die Kreuzungen selbst wurden auch kartografisch sprachfähig gemacht. Der universale Anspruch der urbanistischen Neugestaltung Sixtus' V. kommt überdies in der inhaltlichen Vereinnahmung der Obelisken zum Ausdruck. Die Vorstellung von der Überwindung der Vergangenheit verweist auf die Verfahren historischer Selbstbestimmung der katholischen Reform, die sich an einer ganzen Reihe weiterer Ausstattungen nachvollziehen lässt.
Sie prägt - in anderer Form - auch die "archäologischen" Renovierungskonzepte im Umkreis des Oratoriums kurz vor 1600, etwa die Erneuerungen von Santo Cesario und Santi Nereo ed Achilleo durch Cesare Baronio. Anhand der Umgestaltungen der beiden Titularkirchen an der via Appia diskutiert Richter die theoretische Beschäftigung Baronios und Giacomo Bosios mit der frühchristlichen Tradition der Kreuzesdarstellungen und die Neuschöpfungen frühchristlicher Gemmenkreuze.
Ein zentraler Teil des Buches gilt den Bildzyklen der Kreuzeslegenden im späteren 16. Jahrhundert in Rom. In der Regel im Zusammenhang mit örtlichen Kreuzesreliquien entstanden und von für den Kult verantwortlichen Bruderschaften in Auftrag gegeben, belegen sie eine besonders seit dem späteren Mittelalter greifbare Vorliebe für die Kreuzesthematik.
Ein Zyklus wie der in der Helena-Kapelle von Santa Croce in Gerusalemme veranschaulicht darüber hinaus das Bestreben, wichtige Orte frühchristlicher Kultpraktiken archäologisch zu rekonstruieren. Die Systematisierung der Zyklen, die veränderten Themenschwerpunkte, der Verzicht auf Teile der mittelalterlichen Legenden zeugen von der Revision der Legende im Kontext des Tridentinums. Daraus grundsätzliche Veränderungen im Kreuzverständnis des späteren 16. Jahrhunderts ableiten zu wollen, von einer ursprünglichen Einbeziehung des Kreuzes in die "heilsgeschichtliche Ordnung" hin zum Konzept einer historisch bestimmbaren Reliquie (223), dürfte der Komplexität der Vorgänge aber kaum gerecht werden, eher wird man sich der Formulierung Carla Heusslers von der "Rekonstruktion einer für die Zeitgenossen vorbildlichen, christlichen Antike" anschließen. [3]
Den Abschluss des Buches bildet die Untersuchung der Kreuzsymbolik in der Münchner Jesuitenkirche von Sankt Michael, in deren Programm sich der gegenreformatorische Impetus des Ordens und die Konstantins-Imitatio der bayrischen Herzöge spiegelten. Die Kirchen der wichtigsten frühen Niederlassungen der Jesuiten in Ingolstadt und Landsberg standen unter dem Kreuzespatrozinium. Wilhelm V. richtete in der Kreuzkapelle der Münchner Jesuitenkirche eine Heiltumskammer ein, die gleichzeitig mit dem herzoglichen Oratorium und der im Chor geplanten Grablege verbunden war, ein Konzept, das mit den Verschiebungen der Frömmigkeitsinteressen im 17. Jahrhundert bald obsolet werden sollte.
Die zentrale Analyse des Altarblattes von Hans von Aachen, deren Schlussfolgerungen im visuellen Bestand mitunter nicht ganz nachvollziehbar sind, verweist wieder auf ein grundlegendes Problem schon in der Themenstellung der Arbeit: Die Kreuzesverehrung ist kaum vom Geschehen der Kreuzigung abzukoppeln.
Das Buch präsentiert im Wesentlichen bekanntes Material unter neuer Perspektive, die historischen Momentaufnahmen werden der Vielschichtigkeit des theologischen bild- und frömmigkeitsgeschichtlichen Diskurses allerdings nicht immer gerecht. Die Fixierung auf das Kreuz als Triumphsymbol reflektiert zwar eine der Verwendungsmöglichkeiten des Zeichens in den Jahrzehnten nach dem Tridentinum, die tatsächlichen Zusammenhänge des Kreuzeskults mit den Weiterentwicklungen spätmittelalterlicher Passionsfrömmigkeit im 16. Jahrhundert, wie etwa der Entwicklung der Kreuzwege oder der Gedichtform der sieben letzten Worte Jesu am Kreuz, sind auf diese Art aber nur bedingt erfasst.
Anmerkungen:
[1] Stellvertretend hier: David Ganz: Barocke Bilderbauten. Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580-1700, Petersberg 2003.
[2] Die Verwendung des Kreuzeszeichens im Zeitalter der Konfessionalisierung war auch Thema der Tagung: Das Kreuz. Darstellung und Verehrung in der Frühen Neuzeit - Kontinuitäten und Brüche, Rastatt, 17.-19. Juli 2008.
[3] Carla Heussler: De Cruce Christi. Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung. Funktionswandel und Historisierung in nachtridentinischer Zeit, Paderborn 2006, 320.
Lorenz Enderlein