Christian Klein (Hg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart: J.B. Metzler 2009, XV + 485 S., ISBN 978-3-476-02263-9, EUR 64,95
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Bernhard Fetz (Hg.): Die Biographie - Zur Grundlegung ihrer Theorie, Berlin: De Gruyter 2009, VII + 563 S., ISBN 978-3-11-020226-7, EUR 99,95
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Manfred Hettling (Hg.): Volksgeschichten im Europa der Zwischenkriegszeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003
Eduard Mühle: Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Düsseldorf: Droste 2005
Bo Stråth: Sveriges historia. 1830-1920, Stockholm: Norstedts 2012
Die Biographie ist seit Langem ein höchst erfolgreiches Genre. Die Biographieforschung zeigt, wie komplex dieses Genre ist - jedenfalls, wenn man sich von einem engen Biographiebegriff löst. In dieser Hinsicht wird man das von Christian Klein herausgegebene "Handbuch Biographie" getrost als einen großen Wurf bezeichnen können. In diesem knapp 500-seitigen, zweispaltig gedruckten Buch entwerfen 47 Autoren und Autorinnen in kurzen Artikeln ein breit angelegtes Panorama über ein Forschungsfeld, das sich immer weiter ausdifferenziert und entwickelt. Ziel ist es, "eine Brücke zu schlagen zwischen einem engeren und einem weiten Verständnis von Biographie." Damit sind einerseits diejenigen Texte gemeint, die man als "Biographie" in jedem Buchhandel erstehen kann und die gemeinhin das Leben einer realen Person von Kindheit bis Tod schildert, andererseits "biographische Erscheinungsformen in anderen Medien und Formaten" (XIV).
Gerade diese Ausweitung auf gesellschaftliche Institutionen, die aus funktionalen Erwägungen biografische Texte produzieren (zum Zwecke medizinischer Diagnostik beispielsweise), auf alltägliche Lebenssituationen, in denen biografische Texte zur Selbstvergewisserung verfasst oder auch nur gesprochen werden, oder auf wissenschaftliche Disziplinen, die biografische Methoden zur Gesellschaftsanalyse nutzen, ist höchst anregend. Auf diese Weise kann eine breite Palette von Problemen aufgerissen werden, etwa der Realitätsbezug, die Bedeutung der Sprache, die Frage, wer biographiewürdig ist, das Verhältnis zur Anthropologie oder zur Gedächtnisforschung. Indem die Geschichte der Biographie, national unterschiedliche biografische Traditionen sowie der spezifische Umgang unterschiedlicher Disziplinen mit biografischen Texten und Methoden skizziert werden, wird deutlich, wie wenig man von der Biographie oder auch nur einem fest umrissenen Genre sprechen kann. Noch komplexer wird das Bild, wenn man die Spanne zwischen wissenschaftlichen, literarischen, populären und fiktionalen Metabiographien in den Blick nimmt - geschrieben mit einem strikten Realitätsbezug oder gerade als experimentierende Reflexion darüber angelegt.
Mit dieser Aufzählung ist erst die Hälfte des ungemein reichhaltigen Inhalts angerissen. Selbstverständlich können einige Themen nur angetippt werden, und nicht auf jede Frage gibt es abschließende Antworten. Zu viel ist gerade wegen der weiten Perspektive noch unerforscht. Außerdem lassen sich die Artikel zu den nationalen Biographietraditionen wegen fehlender Kriterien kaum vergleichen, es werden also im Grunde lauter "Sonderwege" einfach nebeneinandergestellt. Auch bleibt unklar, wie die nur als Fragmente skizzierten und willkürlich ausgewählten Theoreme des "Habitus" (Bourdieu) bzw. "Denkstils" (Fleck) in Kombination das Schreiben von Biographien anleiten sollen (425-8). Und in Bildern wiederum erkennt das Handbuch vor allem Illustrationen, Zusatzinformationen oder die Erläuterung bzw. Pointierung des Textes. Dass sie, oft unbewusst, ähnlich markant wie schriftliche Quellen den biografischen Text über eine Person prägen, explizit oder implizit der Selbstinszenierung einer Person dienen konnten / können oder gar systematisch zu einem Teil der Biographie einer Person werden, kommt nur andeutungsweise in den Blick.
Insgesamt aber macht der Facettenreichtum der fast durchweg auf hohem Niveau geschriebenen und sehr dichten Artikel die große Stärke dieses Bandes aus (nur einige Literaturwissenschaftler tendieren zu einem unnötig verschachtelten Stil). Er lässt sich wie eine Monographie zur Einführung in die Biographieforschung lesen oder gezielt auf spezifische Fragestellungen hin auswerten. Literaturangaben ermöglichen thematische Vertiefungen; ein Sach- und ein Namensregister erleichtern die Arbeit mit dem Handbuch.
Der von Bernhard Fetz herausgegebene Sammelband hat eine etwas andere Zielsetzung. Hier geht es - laut Untertitel - stärker um die Grundlegung einer Theorie der Biographie. Schon in der Einleitung aber wird dem Genre eine "beträchtliche Theorieresistenz" bescheinigt (3). Tatsächlich sollen die 15 Beiträge des Bandes "den Begriff des Biographischen konturieren" und gemeinsam in einen übergreifenden Rahmen theoretischer Überlegungen gestellt werden (8 [Hervorhebung im Original]). Dazu sind sie in fünf Blöcke unterteilt, die den Zusammenhang von Biographie und Geschlecht, Gesellschaft, Kulturtransfer und Medialität beleuchten. Damit überschneidet sich der Band teilweise mit Kleins Handbuch, etwa wenn über den Status biografischer Quellen reflektiert oder die Bedeutung der biografischen Methode in den Sozialwissenschaften beschrieben wird. Andererseits werden erheblich weniger Themen weit detaillierter präsentiert, etwa die Bedeutung von Biographien für den vergleichenden Blick auf andere Nationen bzw. den Kulturtransfer oder das komplexe Verhältnis von biographiertem Leben und biografischem Text. Sehr viel durchdachter als in Kleins Handbuch behandelt außerdem Caitríona Ní Dhúhill das Verhältnis von Verbalisierung und Visualisierung. Wird auf diese Weise auch keine Theorie der Biographie begründet, so bietet der Band doch reichhaltige Reflexionen über ein schwer einzugrenzendes, ganz unterschiedliche Medien durchdringendes, heterogene Funktionen übernehmendes, sich vielfältig materialisierendes Genre (er schließt mit einer knapp 30-seitigen Auswahlbibliographie).
Abschließend möchte ich auf zwei erstaunliche blinde Flecken hinweisen. Bei den Quellen wird in beiden Bänden praktisch gar nicht auf das vielleicht wichtigste Pendant zu Biographien eingegangen, nämlich Nachlässe, die eine eminent autobiografische Bedeutung haben. Sie werden von ihren Stiftern oft gezielt angelegt, von ihnen oder den Nachfahren gestaltet und ins Archiv gegeben, um die Arbeit künftiger Biografen anzuleiten. Nicht nur der Biographierte (oder dessen Familie) wird damit gewissermaßen zum Co-Autor, auch soziale Traditionen schreiben an Biographien mit, etwa ein Wissenschaftsverständnis, das nur das Werk gelten lässt und Privates ausradiert.
Noch überraschender ist für mich, dass ebenfalls in beiden Bänden ein zentrales Paradox weitgehend ausgeblendet ist. Auf der einen Seite wird der biografische Text als narrative Konstruktion realer Lebensläufe verstanden und die Idee einer kohärenten biografischen Identität als naiv zurückgewiesen. Biografische Experimente, in denen etwa "die historische Figur Bob Dylan von verschiedenen Schauspielern dargestellt wird", um die "multiple Identität der Bob Dylan-Figur" herauszuarbeiten (Fetz, 50f.), machten deutlich, dass sich ein Leben immer nur in heterogenen Facetten wahrnehmen lasse, dass es nicht eine "wahre", realitätsabbildende Biographie gebe. Auf der anderen Seite wird aber stets eine von Geburt bis Tod biologisch konstante Entität zugrunde gelegt, die mit einem Eigennamen identifiziert wird: "Die nicht weiter reduzierbare elementare biographische Angabe stellt der Eigenname dar, der im Regelfall - meist zumindest mit den Angaben von Geburts- und Todesjahr - zugleich für das gesamte Leben eines Biographierten steht, zuweilen aber auch nur für einen Teil. Die Vielfalt von Namensvarianten [...] kann Probleme verursachen [...]. Dies ändert jedoch nichts an der fundamentalen Ebene, auf der sich der jeweilige Name als Kern-Element befindet." (Klein, 137)
Anders formuliert: Biographie als Konstruktion, die gleichwohl eine nicht fassbare Realität abbildet, "anti-biographische" Dezentrierung, die eines Eigennamens bedarf, biografische Fragmente, die auf eine biologische Einheit bezogen sind, unter zahllosen Brüchen ein identischer "Erlebniskern", die Ablehnung einer illusionären biografischen Kohärenz, deren multipler Charakter jedoch nur mit Hilfe eines kohärenzstiftenden Genre dargestellt werden kann - es wird abgelehnt und zugleich vorausgesetzt, was offenbar konstitutiv für das Genre Biographie ist: Kohärenz und Einheit, die gleichwohl erst durch das Genre gestiftet werden können. Nur Autorinnen wie Ester Marian oder Caitríona Ní Dhúhill, die Biographien aus gender-theoretischer Perspektive problematisieren, stellen sich überhaupt diesem Paradox und fragen, "ob die Biographie als solche überhaupt zu retten ist, da sie ohne jeden positiven Bezug auf eine wie auch immer geartete Vorstellung von Autonomie und Individualität schwer vorstellbar ist." (Fetz, 163) "Angesichts der Tatsache, dass die Biographie explizit damit befasst ist, ein stabiles und verifizierbares Bezugsobjekt für das Pronomen 'sie' oder 'er' zu etablieren", sei es schwierig, "die Vorstellung von kohärenter Individualität und narrativ rekonstruierbarer Subjektivität aufzustören, die für biographische Texte formal wie inhaltlich konstitutiv sind." (Fetz, 199)
Das zu thematisieren hätte beiden Bänden mit ihrem hohen theoretischen Anspruch durchaus angestanden. Aber auch so tragen sie anregend dazu bei, das Phänomen "Biographie" auf eine produktive Weise weiter zu denken.
Thomas Etzemüller