Łukasz Kamiński / Krzysztof Persak / Jens Gieseke (Hgg.): Handbuch der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa 1944-1991. Übersetzt von Jürgen Hensel, Norbert Juraschitz und Heike Schlatterer (= Analysen und Dokumente; Bd. 33), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 583 S., ISBN 978-3-525-35100-0, EUR 39,90
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Klaus Bachmann / Jens Gieseke (eds.): The Silent Majority in Communist and Post-Communist States. Opinion Polling in Eastern and South-Eastern Europe, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2016
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1989/90 lösten sich in Osteuropa im Zuge der friedlichen Revolution die meisten kommunistischen Geheimdienste mehr oder weniger auf. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte kaum jemand ernsthaft daran geglaubt, dass sich die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Gerechtigkeit gegen die sich als "Schild und Schwert" der kommunistischen Parteien verstehenden Sicherheitsdienste durchsetzen könnte. Zu mächtig erschienen die Sicherheitsapparate, die über ein scheinbar unbegrenztes Budget und Zehntausende bis manchmal Hunderttausende Mitarbeiter, Agenten und Zuträger verfügten.
Die kommunistischen Geheimpolizeien konnten nur in einer Atmosphäre von Angst und Terror funktionieren. Sobald die Menschen, wie beispielsweise in der DDR 1953, 1956 in Ungarn oder während des Prager Frühlings 1968 sowie im Herbst 1989 die Furcht vor den Sicherheitsdiensten verloren, wurde deutlich, dass die Geheimdienstler wohl in der Lage waren, den Widerstand Einzelner zu unterdrücken, doch gegenüber wirklichen Massen- und Volksprotesten blieben selbst sie hilflos. Damit endeten die sich nach dem Vorbild des ersten kommunistischen Geheimdiensts - der sowjetrussischen "Tscheka" - verstehenden Tschekisten auf dem Abfallhaufen der Geschichte. Die oft kilometerlangen Aktenreihen ihrer Behörden und Opfer landeten zumeist in staatlichen Archiven, wo sie jetzt, wie im Fall der Bundesrepublik und Polens, für die Forschung sehr gut oder, wie in Russland und Rumänien, kaum oder nur selektiv zugänglich sind.
Knapp 20 Jahre nach der Zerschlagung der Geheimdienste und der zumindest teilweise erfolgten Öffnung ihrer Archive gab das Institut für nationales Gedenken in Warschau in englischer Sprache eine erste Fassung des Handbuches der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa heraus. Hiermit sollte erstmals ein Vergleich der verschiedenen Geheimpolizeien des Warschauer Pakts ermöglicht werden. Jetzt liegt endlich eine überarbeitete Fassung dieses wichtigen Werkes auch auf Deutsch und Polnisch vor.
Um eine tatsächliche Gegenüberstellung der Geheimpolizeien der ehemaligen sozialistischen Staaten des Ostblocks gewährleisten zu können, gaben die Herausgeber den Autoren - allesamt ausgewiesene Spezialisten auf dem Gebiet der Geheimdienstgeschichte - eine einheitliche Grundstruktur vor: Im Mittelpunkt stehen Struktur- und Organisationsgeschichte der Dienste, ihr hauptamtliches und inoffizielles Personal sowie Operationsmethoden und die Felder der geheimpolizeilichen Tätigkeit. Untersucht wird aber auch, wer in die Fänge der Geheimpolizei geriet und mit welchen Mitteln und Methoden die Tschekisten ihre Opfer einschüchterten, verfolgten, verschleppten, wegsperrten oder gar psychisch und physisch vernichteten. Am Schluss erörtern die Verfasser Forschungsstand sowie Literatur- und Aktenlage, zudem werden Auswahlbibliografien und Kurzbiografien der wichtigsten leitenden Geheimdienstmitarbeiter angefügt.
Allerdings folgt gleich der erste Aufsatz von Alexander Werth zur Geschichte der sowjetischen Geheimpolizei zwischen 1917 und 1945 diesem Schema nicht. Der Autor widmet sich fast ausschließlich der Organisationsgeschichte und dem Personal von Tscheka, GPU, OGPU, NKWD und NKGB. Im Hinblick auf die Opfer nennt Werth meist nur dürre Zahlen; warum sie ins Visier des Geheimdienstes gerieten, bleibt weitgehend ungeklärt. Wesentlich lesenswerter und informativer ist der Beitrag von Andreas Hilger zur Geschichte des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes zwischen 1945 und 1991. Er schließt die Darstellung des Prototypen aller kommunistischen Geheimdienste gelungen ab.
Die unterschiedliche Forschungs- und Archivlage in den ost- und mitteleuropäischen Staaten wirkt sich auf das Niveau der Darstellungen zu den einzelnen Diensten stark aus. Dass die Aufarbeitung in der Tschechoslowakei, Polen und Deutschland bislang am weitesten vorangeschritten ist, belegen die Beiträge von Petr Blažek/Pavel Žáček und Antoni Dudek/Andrzej Paczkowski sowie von Jens Gieseke. Um ein aktuelles Stimmungsbild zu erhalten und gegen Regimegegner vorzugehen, setzten die Geheimpolizisten auf einen immer stärker erweiterten Überwachungsapparat. Der tschechoslowakische Geheimdienst ließ beispielsweise 1982 mehr als 55 Millionen Pakete überprüfen. In Polen wurden im gleichen Jahr mehr als 82 Millionen Briefe, drei Millionen Pakete und zehn Millionen Telegramme und Fernschreiben von der Bezpika geprüft. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR kontrollierte in den achtziger Jahren täglich bis zu 90 000 Brief- und 60 000 Paketsendungen; zudem konnten allein in Ostberlin gleichzeitig 20 000 Telefone abgehört werden.
Zur Auswertung der gesammelten Informationen griffen die Geheimdienste immer stärker auf moderne Computertechnik zurück, um eine fast lückenlose Erfassung zu erreichen. Gleichzeitig wurden jedoch auch, wie beispielsweise im Fall des MfS, archaische Methoden angewandt. So nahmen die ostdeutschen Geheimdienstmitarbeiter unter anderem Körpergeruchsproben von verhafteten und verhörten Dissidenten, um das Ziel einer "Rundum-Kontrolle" zu erreichen. Gleichzeitig wurden beispielweise Flugblätter von verdächtigen Personen mit radioaktiven Substanzen markiert, um den Empfängerkreis ausfindig zu machen. In der Tschechoslowakei bauten Geheimpolizisten sogar eine falsche Grenzstation auf. Hier sollten sie, als amerikanische Offiziere getarnt, Flüchtlinge und Gegner des kommunistischen Regimes aufspüren und verhaften.
Konnten die genannten Beiträge auf eine breite Aktenbasis zurückgreifen und entsprechend valide Informationen liefern, so zeigt sich beispielsweise an den Untersuchungen zum rumänischen (Dennis Deletant), ungarischen (Kriztián Ungváry/Gabor Tabajdi) oder bulgarischen Geheimdienst (Jordan Baev/Kostadin Grozev), dass hier noch intensive Forschungsarbeit zu leisten ist. Zwar werden auch in diesen Fällen die wesentlichen Entwicklungen der Dienste nachgezeichnet, doch nicht selten fehlen archivgestützte Zahlen zu Mitarbeitern, Spitzeln und Budget. Zugleich ist zu beobachten, dass vor allem das Material für die vierziger und fünfziger Jahre am dichtesten ist, die Quellen zu den sechziger, siebziger oder gar achtziger Jahren fließen hingegen wesentlich spärlicher. Eine gleichgewichtige Betrachtung der Tätigkeit der kommunistischen Geheimpolizeien in Osteuropa kann so leider nur unvollkommen stattfinden.
Völlig unverständlich bleibt dem Rezensenten, warum die Herausgeber auf einen zusammenfassenden Artikel verzichtet haben. So ist es dem Leser leider selbst überlassen, sich einen Vergleich zwischen den einzelnen Geheimdiensten zu erarbeiten. Dass dieser außer bereits Bekanntem - alle Geheimdienste entstanden als "Schild und Schwert der Partei" unter dem übergroßen Einfluss der kommunistischen Parteien, sowjetischer Instrukteure und deren brutalen Verhörmethoden - durchaus Interessantes zutage fördert, belegt beispielsweise die Fallstudie zu Rumänien. Das Land trennte sich bereits 1964 von den sonst überall gegenwärtigen Beratern aus dem Komitee für Staatssicherheit der UdSSR und war damit der erste Staat im Ostblock, der sich zumindest im Bereich der Geheimpolizei etwas von der sowjetischen Hegemonie löste. Das bedeutete jedoch nicht, dass auch die Zusammenarbeit mit dem KGB ein Ende fand. Im Karpatenstaat gab es zudem eine militärische Spezialeinheit, die für ein Mitgliedsland des Warschauer Pakts einzigartig war. Die Aufgabe des nach 1968 geschaffenen Sonderverbandes war es, "die Aufklärungsoperationen anderer Länder des Sowjetblocks ab[zu]wehren, dazu zählten auch Anschläge auf Ceauşescus Leben und das Schaffen eines Vorwandes für eine Militärintervention in Rumänien durch den Warschauer Pakt." (353)
Warum die Herausgeber deshalb die Chance der zweiten Auflage nicht nutzten, um zumindest in einem Einführungs- oder Schlusskapitel eine erste Gesamtbilanz der Forschungen zu den kommunistischen Geheimdiensten in Osteuropa vorzulegen, ist unerklärlich. Trotz dieses gewichtigen Mangels ist der Band ein großer Schritt zur Untersuchung der Geschichte der Geheimpolizeien in der kommunistischen Diktatur. Er liefert in komprimierter Form eine Fülle an Daten- und Forschungsmaterial, das so bislang nicht zugänglich war. Das Buch ist deshalb für einen Historiker, der sich mit der Geschichte der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa beschäftigt, unverzichtbar.
Matthias Uhl