Rezension über:

Anke Kuhrmann: Der Palast der Republik. Geschichte und Bedeutung des Ost-Berliner Parlaments- und Kulturhauses, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006, ISBN 978-3-86568-143-0
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Rezension von:
Stefanie Lieb
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Lieb: Rezension von: Anke Kuhrmann: Der Palast der Republik. Geschichte und Bedeutung des Ost-Berliner Parlaments- und Kulturhauses, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/13744.html


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Anke Kuhrmann: Der Palast der Republik

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Er verschwand erst vollständig im Dezember 2008, nach einer langen Phase politischer Debatten und einem hinausgezögerten Siechtum der Demontage: der Palast der Republik mitten in Berlin als ehemaliges Parlamentsgebäude der untergegangenen DDR. Heute befindet sich dort eine Wiese - man ist fast verleitet zu sagen, wie damals nach 1945, als es schon einmal Probleme gab, diesen national und städtebaulich bedeutenden Ort mit dem entsprechenden Repräsentationsbau zu bestücken.

Bis vor kurzem waren sich die deutsche Regierung und ein nicht geringer Anteil der deutschen Bevölkerung einig, dass an der Stelle des verhassten sozialistischen "Palazzo Prozzo" das 1950 dort von der DDR-Führung gesprengte Berliner Schloss rekonstruiert werden müsse. Der staatliche Entscheid dafür wurde bereits 2006 verabschiedet, 2009 erhielt der Architekt Franco Stella für seinen Entwurf des Humboldt-Forums in einem Stilmix aus Schlüterschen Barockfassaden und reduzierter Rasterarchitektur den ersten Preis zuerkannt. [1]

Die globale Finanzkrise macht nun aber aktuell den weiteren Planungen einen Strich durch die Rechnung, ganz einfach, weil das nötige Geld für eine Schlossrekonstruktion fehlt.

Die Denkmalpflege atmet auf, der Geschichtsklitterung ist für's Erste Einhalt geboten, das bedeutendste Denkmal des DDR-Regimes ist jedoch unwiderruflich verloren. Umso wichtiger sind die wissenschaftlichen Publikationen, die begleitend zum Palastabriss erschienen sind und mit der Auswertung der Bauakten sowie einer umfangreichen Bilddokumentation die Erinnerung an das Bauwerk wachhalten. [2]

An erster Stelle ist hier die vorliegende Dissertation von Anke Kuhrmann zu nennen, da sie eine schlüssige und sehr detaillierte Baumonografie bietet, in der gleichermaßen der symbolische Bezug und die politische Brisanz des Gebäudes berücksichtigt werden. Die Autorin hat sich nicht von Ressentiments aus Ost oder West hinreißen lassen, sondern mit sehr objektiver und kritischer Genauigkeit gearbeitet. Nur auf diesem Weg kann man einem so stark "belasteten" Gebäude wie dem Berliner Palast der Republik architekturhistorisch gerecht werden. Erstmalig wird hier das gesamte Quellenmaterial zu Planung, Bau, Rezeption und Abriss erschlossen, sinnvoll ausgewertet und systematisiert vorgestellt.

Die ersten zwei Kapitel sind der Planungs- und Baugeschichte des Palastes gewidmet: angefangen von den hilflosen Versuchen der jungen DDR in den 1950er-Jahren, den Marx-Engels-Platz als neues Zentrum von Ost-Berlin mit einer entsprechenden Architektur zu markieren, bis hin zur Eröffnungsfeier 1976, der Nutzungsgeschichte bis zur Schließung 1990 und dem Niedergang bis 2006. Besonders bei der sehr aufschlussreich mit vielen Originalplänen dokumentierten Planungs- und Entwurfsgeschichte ab 1972 wird deutlich, wie stark der damalige politische Paradigmenwechsel unter Erich Honecker und die Überwindung der internationalen Isolation der DDR die Funktion und Gestaltung des Palastes als Kulturstätte und modernes Kongressgebäude geprägt haben. Auch konstruktionstechnisch wurden neue Maßstäbe gesetzt: eben nicht in Plattenbauweise, sondern als freitragende Stahlkonstruktion wurde hier erstmals in der DDR ein Bauwerk mit diesen Ausmaßen (172.000 m2 Fläche) errichtet. Zum Korrosions- und Hitzeschutz erfolgte 1974 die Ummantelung des Stahlgerüstes mit gespritztem Asbestzement - dem gesundheitsschädlichen Material, das nach 1990 das Schicksal des Palastes mit entschieden hat (59).

Im baubeschreibenden Kapitel 4 stellt Anke Kuhrmann neben städtebaulicher Disposition, Grundriss und Außenbau auch die Innenarchitektur des Palastes der Republik ausführlich dar, so z.B. das Farb- und Materialkonzept der Designerin Gertraude Pohl, bei dem als eine Art Leitsystem jedem Geschoss ein Farbton zugeordnet wurde oder die Multifunktionalität des sechseckigen Großen Saales mit beweglichen Aktionsflächen und fahrbaren Roll- und Teleskopwänden (117-120). Das Hauptfoyer mit dem für damalige Zeit auch im Westen hochmodernen Stabkugelleuchtensystem lieferte die Vorlage für den damals gängigen Spitznamen "Erichs Lampenladen".

Die abschließende stilistische und typologische Einordnung des Palastes der Republik zeigt sehr stringent, wie eng das DDR-Bauwerk in Konzept und Gestaltung an die modernen multifunktionalen Kongresszentren der 1970er-Jahre angelehnt war, zu nennen sind hier beispielsweise die Kongresshalle Finlandia in Helsinki von Alvar Aalto (1971) oder das Hamburger Kongresszentrum CCH von Schramm und Pempelfort (1973). Aber natürlich gab es auch die eigene sozialistische Tradition der Volkshäuser als Stätten der Arbeiterbewegung, die bereits in den 1960er-Jahren zum Typus des Kulturpalastes mutierte und vergleichbare Bauten wie den Dresdner Kulturpalast von Hänsch und Löschau (1969) oder die Stadthalle in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) von Rudolf Weißer (1974) hervorbrachte (150-151).

Trotz dieser bedeutenden architekturhistorischen Relevanz des Palastes der Republik als Zeugnis für den Typus der multifunktionalen Kongresshallen der 1960er- und 1970er-Jahre (die andernorts momentan vermehrt unter Schutz gestellt werden) und als wichtiges nationalhistorisches Relikt des untergegangenen DDR-Regimes wurde der Bau zum Opfer des politischen Willens. Die geplante Rekonstruktion des Berliner Schlosses an seiner Stelle bezeichnet Anke Kuhrmann mit Recht als "Geschichtskorrektur, die nicht nur die vierzigjährige Geschichte der DDR bewusst ausblendet, sondern auch das Dritte Reich [...]" (189).

Mit dieser Stellungnahme endet ihre Untersuchung zur Architektur des Berliner Palastes der Republik, die nun, nach seiner endgültigen Demontage, noch mehr an Dokumentationswert und Relevanz gewonnen hat. Warten wir's ab, vielleicht liefert diese Publikation irgendwann einmal das notwendige Dokumentationsmaterial für eine angemessene Rekonstruktion des Palastes der Republik...


Anmerkungen:

[1] Vgl. Peter Stephan: Von Schlüters Schloss zu Stellas Forum, in: INSITU, Zeitschrift für Architekturgeschichte 1 (2009), Heft 1, 103-134.

[2] Siehe u.a. Moritz Hohlfelder: Palast der Republik. Aufstieg und Fall eines symbolischen Gebäudes, Berlin 2008.

Stefanie Lieb