David Onnekink (ed.): War and Religion after Westphalia, 1648-1713 (= Politics and Culture in North-Western Europe 1650-1720), Aldershot: Ashgate 2009, XVI + 274 S., ISBN 978-0-7546-6129-0, GBP 65,00
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Die völkerrechtsgeschichtliche Kontextualisierung des Westfälischen Friedens hat bereits seit längerer Zeit dazu geführt, dass seine vielfach beschworene Bedeutung als Signal einer Epochenwende zunehmend in Frage gestellt wurde. Die Fortführung des französisch-spanischen Krieges mit seinen gesamteuropäischen Verwicklungen bis 1659 und darüber hinaus, die Jahrhunderttradition faktisch autonomer Bündnispolitik der Reichsstände vor wie nach 1648, die langfristigen Voraussetzungen der Entwicklung multilateraler Friedensschlüsse sind nur einige der Faktoren, die eine Singularität der Verträge von 1648 wenigstens partiell in Frage stellten. Aus der Perspektive einer verstärkten Berücksichtigung des Religiösen soll nun gewissermaßen auch das Bild von der "Entzauberung" entzaubert werden: die Staatenpolitik Europas, so die Kernthese des vorliegenden Sammelbandes, sei weit über "Westphalia" hinaus zutiefst von religiösen Kräften geprägt worden. Konkret geht es um die Jahrzehnte bis zum Utrechter Frieden von 1713, geographisch stehen England, die Niederlande, Frankreich und Spanien im Mittelpunkt der Beiträge.
In einer fein auf die verschiedenen Themenbereiche abgestimmten Einleitung legt der Herausgeber zunächst den historiographischen Zusammenhang dar, in den sich die vorgelegten Studien einfügen, und benennt Vorläufer auf dem Weg zu einer Neuwürdigung des Religiösen innerhalb der Staatengeschichtsschreibung zum 17. und frühen 18. Jahrhundert, unter anderem die Arbeiten von Mack P. Holt, Guido Marnef und John Morrill.
Die einzelnen Beiträge befassen sich im Anschluss mit sehr unterschiedlichen Facetten des Fortlebens religiöser Faktoren in der Mächtepolitik Europas: Außenpolitik aus der Herrscher- und Kabinettsperspektive in Frankreich (Paul Sonnino) und Spanien (Christopher Storrs), England (Andrew C. Thompson) und den Niederlanden (David Onnekink), das Verhältnis von Religion und Politik in Diplomatie und Kriegführung (Stéphane Jettot, K.A.J. McLay, Matthew Glozier) sowie in Selbstzeugnissen und Publizistik (Donals Haks, Stephen Taylor, Jill Stern, Emma Bergin). Von besonderem Interesse sind die Ausführungen im letztgenannten Beitrag zu den ikonographischen Aspekten der niederländischen und englischen Pamphletliteratur in den dramatischen Jahren 1688 und 1689, die vielleicht am augenfälligsten demonstrieren, welche Rolle religiösen Konflikten in der europäischen Politik beigemessen wurde und welche Bedeutung die Darstellungs- und Repräsentationsmuster auch für die kommenden Auseinandersetzungen der Aufklärungszeit haben mussten.
Zugleich mag die stellenweise ausdrücklich eingegrenzte Fokussierung auf die Entwicklung der Jahre 1685-1689 jedoch auch die Frage aufwerfen, ob es sich bei dieser unbestreitbaren Zuspitzung der konfessionellen Gegensätze um eine kontinuierliche Fortexistenz oder ein rezidives Wiederaufflammen von Konfliktlagen handelt, die auch in späteren Jahrhunderten immer wieder von Bedeutung waren und mancherorts bekanntlich bis in die Gegenwart bestehen. Wenn auch Jill Stern sehr klar aufzeigen kann, wie in Teilen der niederländischen Öffentlichkeit reformiertes Selbstbewusstsein mit skeptischen Einschätzungen des Friedens von 1648 (wie zuvor schon des Stillstands von 1609) einherging, so offenbart Paul Sonninos brillante Analyse der Hintergründe des Krieges von 1672 (als Fortsetzung von 1667/68) doch auch, wie sekundär der konfessionelle Gegensatz zu Holland für die weltlichen Begehrlichkeiten dynastischer Rivalitäten im stets auch kriegerischen Alteuropa der Monarchien sein konnte: "This is the point that almost everyone misses about the guerre de Hollande. It was never intended to take Amsterdam. It was intended to take Brussels" (21).
Der abschließende Essay von Benjamin J. Kaplan verdeutlicht die Komplexität der Verknüpfung von Religions- und Gesellschaftsgeschichte unter anderem mit dem Hinweis auf die vergleichbare Fortdauer der europäischen Hexenverfolgungen bis weit ins 18. Jahrhundert bei gleichzeitiger, meist längst erfolgter Abwendung der stärker säkular orientierten Eliten in den politischen Entscheidungszentren (253). So spricht David Onnekink im Fazit seines Beitrags zum Krieg von 1688-1697 denn auch von der "hybrid nature of international relations" (88), die zum Teil von religiösen Antagonismen geprägt war, ohne doch zum Auslöser regelrechter Religionskriege zu werden.
Das an vielen Stellen erkennbare Bemühen um eine differenzierte Konturierung der Begriffe "religion" und "religious war"/"war of religion" erlaubt es den Autoren, eine in den unterschiedlichen Fallstudien überprüfbare Multidimensionalität zu entwickeln, die auf diese Weise die historischen Akteure nicht plakativ mit einer anachronistischen Gretchenfrage konfrontiert, sondern, beispielsweise in Rückbesinnung auf Emile Durkheims soziologische Erweiterung des Religionsbegriffs (4), zunächst ein genaueres Verständnis von Handlungszusammenhängen und gesellschaftlicher Interaktion ermöglichen soll. Das Spannungsverhältnis von frühmodernem Völkerrecht und konfessioneller Dogmatik, das in mehreren Beiträgen sorgfältig analysiert wird, steht dabei im Zentrum der Frage nach der religiösen Komponente der Konflikte des späteren 17. Jahrhunderts, am deutlichsten vielleicht bei Stéphane Jettot in seiner vergleichenden Untersuchung der Korrespondenzen der englischen Diplomaten bzw. Staatsmänner William Godolphin, Henry Savile und William Trumbull, sowie bei Matthew Glozier in seiner Typologie exilhugenottischer Offiziere und Feldherren im Kampf gegen das ludovizianische Frankreich.
Die bereits erwähnte, sehr lesenswerte Einführung fasst programmatisch diese wegweisenden Interpretamente zusammen, die zugleich jedoch immer, wie auch vom Autor kritisch zugestanden wird, die Gefahr gewisser Überdehnungen bergen, was umgekehrt freilich auch für die ausführlich referierte ältere Forschung und ihre Sichtweise der Zeit vor 1648 gilt. Der "Second Schmalkaldic War (1552-1555)" (3) fungiert in der deutschen Historiographie wohl nicht grundlos überwiegend als "Fürstenaufstand" oder "Fürstenkrieg" ("princes' rebellion") mit mehr als rein religiösen Faktoren, denn weder Moritz von Sachsen noch Heinrich II. von Frankreich gehörten dem bereits zerschlagenen Schmalkaldischen Bund an, und ob die Schlussphase des englischen Bürgerkrieges tatsächlich durch das kirchenpolitische Etikett "a conflict between Arminians and Puritans" (3) zutreffend zu bezeichnen wäre, scheint diskussionswürdig. Vielleicht wäre die zeitgenössische Einschätzung Sir William Temples, die der Herausgeber in seinem Beitrag anführt und sehr überzeugend kontextualisiert (80), doch erneut allgemein zu bedenken: "I much doubt whether there was ever yet any war of religion, or ever will be; though, perhaps, hardly any without the pretences."
Wer sich zu diesen Fragen ein eigenes Urteil bilden möchte, wird im vorliegenden Band eine Fülle wertvoller Überlegungen und Anregungen finden.
Bernd Klesmann