Rezension über:

Alfred Ableitinger / Meinhard Brunner (Hgg.): Erzherzog Johann von Österreich "Ein Land, wo ich viel gesehen". Aus dem Tagebuch der England-Reise 1815/16 (= Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission für Steiermark; Bd. 41), Graz: Historische Landeskommission für Steiermark 2009, 518 S., ISBN 978-3-901251-33-7, EUR 39,00
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Rezension von:
Eric A. Leuer
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Torsten Riotte
Empfohlene Zitierweise:
Eric A. Leuer: Rezension von: Alfred Ableitinger / Meinhard Brunner (Hgg.): Erzherzog Johann von Österreich "Ein Land, wo ich viel gesehen". Aus dem Tagebuch der England-Reise 1815/16, Graz: Historische Landeskommission für Steiermark 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/17497.html


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Alfred Ableitinger / Meinhard Brunner (Hgg.): Erzherzog Johann von Österreich "Ein Land, wo ich viel gesehen"

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Keine historisch-kritische Edition will das vorliegende Werk sein, schlichtweg die Transkription des Tagebuches der Englandreise Erzherzog Johanns von Österreich, so wird es bereits im Vorwort erläutert. Insgesamt setzt es sich aus drei Teilen zusammen: zunächst einführenden Aufsätzen von Peter Wiesflecker, Elka Hammer-Luza und Alfred Ableitinger, folgend das Tagebuch Johanns selbst und schließlich 123 Kurzbiographien, die Erläuterungen zu den von Johann erwähnten Personen seiner Reise sind.

Bereits die Struktur lässt erkennen, dass es sich um eine lang durchdachte Edition handelt, die mit großem Respekt vor Johanns Niederschrift nur wenig zu verändern sucht und sich hierbei insbesondere auf sinnvolle Ergänzungen, wie zeitgenössische Bebilderungen der besuchten Städte oder Faksimiles einzelner Tagebuchseiten beschränkt.

Schwierig scheint der Respekt vor der Quelle und Johann selbst, im biographischen Artikel Peter Wiesfleckers zu sein. An mancher Stelle scheint es, als würde er zu sehr dem tradierten Bild der Habsburger folgen und die in der österreichischen Geschichtsschreibung noch immer sehr beliebten Mythen unhinterfragt zu übernehmen.

So stellt er Johann als nahezu tragischen Helden dar, der aufgrund seines schwierigen Verhältnisses zu seinem Bruder und Kaiser Franz, sowie seines Engagements für den Tiroler Freiheitskampf politisch isoliert wird. Sowohl die interimistische Führung der kaiserlichen Geschäfte während der 1848er Revolution in Wien als auch die Wahl zum Reichsverweser seien für ihn eine späte Genugtuung gewesen (39). Umso härter habe es ihn getroffen, dass auch der Reichsverweser dann nur noch "ein leerer Name" sei, da die Revolution und so auch Johann scheiterten (40).

Teilweise führt dies auch zu Widersprüchen, denn an anderer Stelle bezeichnet Wiesflecker, Berthold Sutter zitierend, die Annahme des Reichsverwesers als einen Beweis für Johanns "mangelnden Sinn für politische Realität" (39), oder bezeichnet ihn als Liberalen (38), ein Begriff, der bis heute in Österreich als schwammig und suspekt betrachtet wird.

Auch dem gezeichneten Bild Kaiser Ferdinands fehlt es an Differenziertheit, den Wiesflecker als gutmütigen, aber regierungsschwachen Monarchen (36) zeichnet. Auch hier folgt er einem Klischee. [1] Dass Ferdinand durchaus exzellent mit Finanzen umgehen konnte, fünf Sprachen sprach, im Gegensatz zu Franz und Franz Joseph ein lebhaftes Interesse an technischen und industriellen Entwicklungen besaß, sowie durchaus politisches Verständnis vorwies, wird hier leider vergessen. [2] Im Restlichen gelingt Wiesflecker jedoch ein durchaus gut gelungener Überblick zu Johanns Leben und Person.

Elke Hammer-Luza untersucht die Bedeutung von Reisen im Leben Erzherzog Johanns und stellt sie dabei passend in den Kontext der Kavalierstour des 17., der Bildungsreisen des 18. und schließlich der hinzukommenden nationalen Aspekte des 19. Jahrhunderts. Sie wirft einen Blick auf Johanns persönliche Einstellung zu Sinn und Zweck, die Organisation und Vorbereitungen seiner Reisen, erwähnt die regelmäßig auftretenden Schwierigkeiten der Fahrten selbst, fasst die Art Johanns Berichterstattung zusammen und gibt schließlich einen kurzen Überblick über dieselben.

Richtig fasst sie die Einstellung Johanns zusammen, Reisen "nicht bloß als Unterhaltung" (46) sondern insbesondere unter einer Maxime der Nützlichkeit anzusehen. Sie sollten für Johann als Anschauungsobjekte dienen, einerseits um sich selbst ein Bild anderer Kulturkreise zu verschaffen, andererseits auch, um als Anleitung für andere zu dienen.

Alfred Ableitinger geht detailliert auf das Tagebuch zur Englandreise ein. Er skizziert zunächst seine Entstehungsgeschichte, wie es von Johann zunächst mittels kurzer Notizen während der Reise und nach der Rückkehr dann fertig ausgearbeitet wurde. Auch weist er darauf hin, dass das Vorhaben einer späteren Publikation des Tagebuchs durch Johann nicht auszuschließen ist. Mindestens aber habe dieser wohl die Zentralstellen in Wien und die Provinzverwaltungen an seinen Eindrücken Englands teilhaben lassen wollen, da er die dortige Veränderung zu einer "neuen Welt" festgestellt habe (77).

Positiv zu erwähnen ist hier die redaktionelle Einteilung des Tagebuchs in sechs Teile, die den in Johanns Tagebuch nicht unterteilten Fließtext strukturierter und übersichtlicher machen. So werden die einzelnen Reisen jeweils gesondert aufgezeigt und in Aspekte aufgegliedert, auch wenn diese an unterschiedlichen Stellen des Tagebuchs zu finden sind. Ansonsten folgen die Herausgeber der üblichen Editionspraxis und versuchen das Tagebuch so unverfälscht wie möglich wiederzugeben.

Dieses ist durchaus lohnenswert, denn Johanns Reisebericht ist in jeder Hinsicht beachtlich. Es scheint, als wolle er tatsächlich ein allumfassendes Bild des damaligen Englands wiedergeben, wobei er sich keineswegs nur auf wirtschaftliche und industrielle Fragen beschränkt. Johanns Schwerpunkt liegt dabei naturgemäß auf seinem Aufenthalt in London, aber auch andere Teile werden umfangreich erwähnt.

Johann entgeht dabei in der Tat nichts, was für ihn von Interesse ist und erwähnenswert zu sein scheint. Er berichtet von Klima und Topographie der Landschaft, er beobachtet lokales Gewerbe, landwirtschaftliche Anbaumethoden und angesiedelte Industrie. Sogar Whisky-Brennereien und Salinen werden von ihm begutachtet. Bemerkenswert ist hierbei, dass Johann seine mitunter äußerst präzisen Betrachtungen nur mit der Hilfe von französisch- oder deutschsprachigen Dolmetschern tätigt. Auch werden ihm häufig zahlreiche Bereiche der Werke vorenthalten, häufig sind die Führungen aufgrund der Angst vor Industriespionage mehr als oberflächlich.

Er setzt sich mit sozialen und kommunalen Einrichtungen wie Schulen, Gefängnissen aber auch den politischen Verhältnissen auseinander, geht stark auf lokale Bräuche ein und kommentiert diese subjektiv. So erscheint ihm beispielsweise die Schottische Kirchenmusik als unangebracht, er vergleicht sie gar mit dem Bildersturm (153). Seine subjektiven Beschreibungen lassen dabei nicht nur Rückschlüsse auf das damalige Vereinigte Königreich zu. Sie lassen tief auf Johanns Ansichten schließen, als auch auf die damaligen Österreichischen Verhältnisse blicken.

Zusammenfassend ist das vorliegende Buch ein durch und durch wertvolles Werk. Die Veröffentlichung von Johanns Tagebuch ist ein probates Zeugnis seiner Zeit, dass durch seine umfangreichen Beobachtungen, aber auch seine Präzision besticht und dem interessierten Leser zahlreiche Informationen liefert. Die einführenden Aufsätze ergänzen dabei offene Fragen und geben eine optimale Einführung sowohl in die Materie als auch die Person des Erzherzogs. In Kombination mit den beigefügten Kurzbiographien und der übersichtlichen Neustrukturierung des Tagebuches, komplettieren sie die Quelle. Wie Ableitinger bereits in seinem Aufsatz und im Vorwort feststellt, handelt es sich hier nur um einen Grundstock für die noch ausstehende Forschung, aber dieser ist hiermit gelegt und veranlasst hoffentlich zu weiteren Beschäftigungen mit der Thematik. Ein durchaus lesbares und fruchtbares Werk zur Geschichte Großbritanniens aber auch Europas im frühen 19. Jahrhundert.


Anmerkungen:

[1] Vgl. bspw.: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1998, 339.

[2] Vgl. u.a.: Gerd Holer, Gerechtigkeit für Ferdinand. Österreichs gütiger Kaiser, Wien 1986; sowie: Christian Dickinger, Franz Joseph I. Die Entmythisierung, Wien 2002, 77.

Eric A. Leuer