Rezension über:

Gudrun Clemen: Schmalkalden - Biberach - Ravensburg. Städtische Entwicklungen vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; Nr. 203), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, 393 S., ISBN 978-3-515-09317-0, EUR 59,00
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Rezension von:
Paul Warmbrunn
Landesarchiv Speyer, Speyer
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Paul Warmbrunn: Rezension von: Gudrun Clemen: Schmalkalden - Biberach - Ravensburg. Städtische Entwicklungen vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/17634.html


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Gudrun Clemen: Schmalkalden - Biberach - Ravensburg

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Für die Erforschung sowohl wirtschafts- wie konfessionsgeschichtlicher Fragestellungen in den Städten der Umbruchszeit zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit haben sich vergleichende Untersuchungen oft als sehr fruchtbar erwiesen. In aller Regel wurden dabei mehrere Reichsstädte oder mehrere landesherrliche Städte mit einander verglichen. Indem die Autorin in der vorliegenden Arbeit, der Druckfassung einer Dissertation von 2008 an der Universität Siegen, bewusst die Thüringer "Territorialstadt" Schmalkalden zwei Reichsstädten im oberdeutschen Raum, nämlich Biberach und Ravensburg, gegenübergestellt, geht sie einen anderen, bisher nur selten beschrittenen Weg. Ihre Entscheidung für die Wahl der untersuchten Städte begründet sie mit einer Reihe von Gemeinsamkeiten: der Gründung zu Beginn des 13. Jahrhunderts und einer im ausgehenden 16. Jahrhundert, dem Ende des Untersuchungszeitraums, vergleichbaren Einwohnerzahl von etwa 5000, einer zu den großen Verkehrswegen und damit für die Entstehung des Fernhandels günstigen Lage und der Mitgliedschaft im Schmalkaldischen Bund. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, jedoch werden auch die - vor allem im Kontext der städtischen Verfassungsentwicklung dargestellten - konfessionellen Weichenstellungen des 16. Jahrhunderts ausführlich mit einbezogen.

In einer ausführlichen Einleitung geht die Autorin zunächst auf das Profil der untersuchten Städte ein. Schmalkalden, das als Gründungs- und wichtigster Tagungsort des Schmalkaldischen Bundes kurzzeitig zu europäischer Bedeutung aufstieg, wies als landesherrliche Stadt unter dem Kondominat der Grafen von Henneberg und der Landgrafen von Hessen, das erst 1583 zugunsten der Alleinherrschaft der letzteren abgelöst wurde, grundsätzlich andere Voraussetzungen auf als die oberdeutschen Reichsstädte Biberach und Ravensburg. Diese erkannten nur den König bzw. Kaiser über sich als Herrn an; durch gezielte Privilegierung des Reichsoberhaupts hatte ihre Bürgerschaft eine ungleich stärkere Position gewonnen.

Auch die - detailliert aufgezeigte - Quellen- und Literaturlage ist für die einzelnen Städte durchaus unterschiedlich. Sind die archivalische Überlieferung für Biberach durch zwei Brände von 1516 und 1584 erheblich gestört und das reichhaltigere Quellenmaterial für Ravensburg in der Literatur schon weitgehend zuverlässig aufbereitet worden, so waren im Falle Schmalkaldens umfangreichere Quellenstudien in staatlichen wie kommunalen Archiven erforderlich.

Im Hauptteil wird jede der untersuchten Städte in einem Großkapitel behandelt, wobei die gleichen Aspekte der Stadtgeschichte - jeweils mit abschließenden Kurzresümees - in den Blick genommen werden: Anfänge und Entwicklung bis zum 16. Jahrhundert, Stadtrat und Verwaltung, Handwerk und Gewerbe, Zunftwesen und -verfassung, Fernhandel und Verlag, Spitalwesen, Armut und Sozialfürsorge sowie die Entwicklung im 16. Jahrhundert mit den Schwerpunkten Bauernkrieg, Einführung der Reformation und Schmalkaldischem Krieg. Der sehr stringent durchgezogene und abschließend ausführlich bilanzierte Vergleich erbringt ein facettenreiches Bild.

Die politische wie wirtschaftliche Entwicklung in den beiden Reichsstädten war demnach durch die starke Dominanz des Patriziats, auch in Zeiten der Zunftverfassung, geprägt. Es wurde zum Motor eines früh entwickelten, umfangreichen Fernhandels, der namentlich mit der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft (1380-1530) als größter oberdeutscher Handelsgesellschaft des Mittelalters bestimmenden Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung dieser "Handelsstadt" nahm. Demgegenüber kam es in Schmalkalden nie zur Entwicklung eines Patriziats, gleichwohl bildete sich eine die städtische Politik bestimmende Oberschicht heraus. Dem Handel stand ein in allen Städten, besonders aber in Schmalkalden und in der "Gewerbestadt" Biberach bedeutendes, sich zunehmend spezialisierendes Handwerk mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Biberach und Ravensburg: Leinen- und Barchentweberei, Schmalkalden: Eisen- und Stahlgewerbe) gegenüber. Auf seiner Grundlage entwickeltes sich ein straff organisiertes Zunftwesen. Die sieben (Biberach) bzw. acht (Ravensburg) jeweils mehrere Handwerke umfassenden Zünfte gelangten durch die im Spätmittelalter durchgesetzten Zunftverfassungen (Biberach: 1344/74, Ravensburg: 1346/47) in den Reichsstädten zu politischer Partizipation und schließlich Vorherrschaft. Sie spielten dort die bahnbrechende Rolle bei der Durchsetzung der Reformation und setzten sich damit gegenüber den - mehrheitlich am alten Glauben festhaltenden - Mitgliedern des Patriziats durch, von denen viele als Reaktion die Städte verließen. Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg erlangte aber durch die Verfassungsänderungen Karls V. 1548-1552 ("Carolina") eine patrizisch-katholische Minderheit wieder die Vorherrschaft in den beiden Reichsstädten, deren Bikonfessionalität 1555 im Augsburger Religionsfrieden bestätigt wurde und 1648 im Westfälischen Frieden schließlich in die numerische Parität einmündete. Demgegenüber wurde die Reformation in Schmalkalden vom - seit 1583 allein regierenden - hessischen Kondominatsherren nach dem Grundsatz "cuius regio, eius religio" obrigkeitlich durchgesetzt.

Weitere Themen, die in der perspektivenreichen Arbeit angesprochen werden, sind die Einbindung des ländlichen Handwerks in die städtische Wirtschaft durch das Verlagswesen, oft zum Nachteil der Zunfthandwerker in den Städten, und die - in Schmalkalden besonders spürbaren - Einwirkungen des Bauernkriegs auf die Stadtbevölkerung. Das Spitalwesen erreichte in Schmalkalden nicht annähernd die Bedeutung wie in den beiden Reichsstädten. Gemeinsam ist den frühzeitig unter städtische Kontrolle gelangten Wohlfahrtseinrichtungen eine Schwerpunktverlagerung von der anfangs im Sinne der Stifter im Vordergrund stehenden Armen- und Krankenversorgung zum Pfründnerwesen im Spätmittelalter. Sie entwickelten sich zu landwirtschaftlichen Großbetrieben und zu Kreditanstalten für Bürgerschaft wie Stadtherren. Über "den" besonders kapitalkräftigen Biberacher Heilig-Geist-Hospital erwarb die Reichsstadt ein 27 Dörfer umfassendes Territorium, das zweitgrößte in Oberschwaben.

Ein ausführliches Verzeichnis der gedruckten Quellen und der Literatur (374-390) zeugt von der intensiven Einarbeitung der Autorin in ihren Forschungsgegenstand, dagegen fehlt leider ein Orts- und Personenregister. In formaler wie inhaltlicher Hinsicht fallen einige allerdings nicht gravierende Kritikpunkte auf: eine gewöhnungsbedürftige Zitierweise, gelegentliche sachliche (wenn etwa von "Reformierten" im bikonfessionellen Ravensburg gesprochen wird, 357) und orthographische Fehler und eine uneinheitliche Datierungsweise (z. B. 168: 1282 17. VI.; 257: 1276 15. Juni). Zwei überlange Anmerkungen (163 f. Anm. 379 und 110-112 Anm. 174) hätten wohl besser in den Text eingearbeitet oder als Anhang gebracht werden sollen. Die oben beschriebene, grundsätzlich klare und übersichtliche Anlage der Arbeit birgt auch die Gefahr von häufigen Wiederholungen in sich.

Dies alles vermag jedoch den positiven Gesamteindruck nicht wesentlich zu beeinträchtigen. Der Autorin ist es gelungen, Grundtendenzen der städtischen Wirtschaftsentwicklung des Spätmittelalters und des 16. Jahrhunderts transparent zu machen und dabei Gemeinsamkeiten wie Unterschiede von Reichs- und landsässigen Städten aufzuzeigen. Inwieweit ihr Fazit, "die Menschen der beiden Reichsstädte" hätten "gegenüber denen der landesherrlich regierten Territorialstadt zweifellos das bessere Los gezogen" und "dass sich die reichsstädtischen Gegebenheiten ökonomisch, sozial und kulturell vorteilhafter für die Bürger auswirkten als das unter territorial-fürstlicher Ägide möglich war" (363), verallgemeinerungsfähig ist, müsste wohl noch in Detailstudien aus anderen Untersuchungsräumen mit ähnlicher Themenstellung überprüft werden. Auch wenn die - sowohl durch strukturelle Unterschiede wie durch die oft sehr unterschiedliche Quellenlage bedingten - Grenzen der Vergleichbarkeit an mehr als einer Stelle der Arbeit deutlich werden, hat sich der Ansatz der Autorin insgesamt doch als lohnend erwiesen und zu überzeugenden Ergebnissen geführt.

Paul Warmbrunn