Samuel Willenberg: Treblinka. Lager, Revolte, Flucht, Warschauer Aufstand. Übersetzt von Steffen Hänschen, Münster: UNRAST-Verlag 2009, 238 S., ISBN 978-3-89771-820-3, EUR 22,00
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Chil Rajchman: Ich bin der letzte Jude. Treblinka 1942/43. Aufzeichnungen für die Nachwelt. Aus dem Franz. von Ulrike Bokelmann, München / Zürich: Piper Verlag 2009, 157 S., ISBN 978-3-4920-5335-8, EUR 16,95
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Johannes Rogalla von Bieberstein: "Jüdischer Bolschewismus". Mythos und Realität. Mit einem Vorwort von Ernst Nolte, Dresden: Edition Antaios 2002
Agnieszka Pufelska: Die "Judäo-Kommune". Ein Feindbild in Polen. Das polnische Selbstverständnis im Schatten des Antisemitismus 1939-1948, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007
Klaus Kempter: Joseph Wulf. Ein Historikerschicksal in Deutschland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Sechseinhalb Jahrzehnte nach dem Häftlingsaufstand in Treblinka sind zwei neue Zeugnisse über das Vernichtungslager auf Deutsch erschienen. Nur Männer aus den Arbeitskommandos, die bei der Ermordung Hunderttausender und bei der Leichenbeseitigung und -verwertung Hilfsdienste verrichten mussten, konnten dort bis zum Aufstand überleben. Noch kleiner war die Zahl derjenigen, die am 2. August 1943 aus dem Lager fliehen und die Zeit bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft durchstehen konnte. Zu ihnen gehörten Samuel Willenberg und Chil (Jechiel) Rajchman.
Willenberg wurde 1923 in Tschenstochau im Südwesten Polens als Sohn eines Kunstmalers und einer russischen Mutter geboren. 1939 meldete er sich - noch minderjährig - freiwillig, um am Verteidigungskrieg der Polen teilzunehmen. Um eine Kriegsverletzung auszukurieren, hielt er sich dann in einem Kurort bei Warschau auf, ehe er sich zu seinen Eltern nach Opatów begab, wo sein Vater mit der Ausmalung einer Synagoge beschäftigt war.
Der Versuch, in Tschenstochau unterzutauchen, misslang - die beiden Schwestern des Verfassers wurden Ende September 1942 bei der Auflösung des Gettos in den Tod deportiert. Die folgenden Wochen verbrachte Willenberg auf sich allein gestellt wieder in Opatów, bis auch dieses Schtetl von der "Aktion Reinhard" erreicht wurde. Dieser Lebensweg während der Kriegs- und Besatzungsjahre ergibt sich aus einem biografischen Abriss am Ende des Bands (231f.) und einem Rückblick sowie weiteren Hinweisen, die der Verfasser in seinen Bericht eingestreut hat (17, 57-62,103, 157).
Die Anordnung der 38 kurzen Kapitel folgt ansonsten der zeitlichen Abfolge: Von der Deportation mit der Ostbahn in das Vernichtungslager Treblinka Ende Oktober 1942 bis zur Befreiung des Partisanen Willenberg durch die Rote Armee westlich von Warschau Mitte Januar 1945. Nach der Ankunft in Treblinka meldete sich Willenberg als Maurer - eine Chance, der Vernichtungsmaschinerie zu entgehen. Mehrmals erhielt er zudem Hilfe von Menschen, die ihm aus den Vorkriegsjahren bekannt waren. Er porträtiert einige von ihnen neben weiteren Personen, die ihm aus Treblinka mit ihren Namen im Gedächtnis blieben: Aus Deutschland vertriebene und aus den Gettos des Generalgouvernements (GG) deportierte Juden, Gläubige und zum Christentum Konvertierte, "Hofjuden" und Denunzianten, Funktionshäftlinge (Kapos) oder fähige Handwerker, die auch von den deutschen Wachmännern geschätzt wurden, Ärzte und andere Angehörige der jüdischen inteligencja. Außerdem gibt Willenberg seine Eindrücke von den deutschen Angehörigen der Lagermannschaft wieder (25, 29, 44, 108 usw.) und skizziert deren Einstellung zu dem, was sie taten (106).
Die SS teilte Willenberg in wechselnde Arbeitskommandos in dem Lagerabschnitt ein, der den Gaskammern vorgelagert war: Er sortierte die mitgeführten Gegenstände und die Kleidung der Ermordeten - dabei fielen ihm auch die Kleider seiner ermordeten Schwestern in die Hände; er verlud das Raubgut in Güterwaggons; später war er als einer der Haarschneider tätig, die den Frauen auf dem Weg zur Gaskammer die Köpfe schoren; von Zeit zu Zeit war er auch im "Kommando Tarnung" tätig, das aus den Wäldern der Umgebung regelmäßig grüne Äste hereinholte, um den Lagerzaun undurchsichtig zu machen.
Ein Dreivierteljahr lang erlebte Willenberg den Alltag im größten Vernichtungslager des Generalgouvernements, einem Ort, wo mindestens 850.000 Kinder, Frauen und Männer ermordet wurden. Und er beschreibt außergewöhnliche Ereignisse - eine Fleckfieberepidemie, auf welche die SS mit der sofortigen Erschießung der erkrankten Angehörigen der Arbeitskommandos reagierte, oder auch den Besuch Adolf Eichmanns (96).
In den letzten sechs Kapiteln schildert Willenberg den Zeitraum nach seiner Flucht, die ihn über Siedlce nach Warschau führte, wo er als gut polnisch sprechender, forsch auftretender junger Mann, der zudem kein als typisch jüdisch geltendes Äußeres aufwies, am besten untertauchen konnte. Hier traf er seine Eltern wieder.
Willenberg schloss sich einer polnischen sozialistischen Widerstandsgruppierung an und kämpfte im Warschauer Aufstand. Einige Jahre nach dem Krieg wanderte er nach Israel aus, wo er in einem Ministerium tätig war. Seinen Bericht veröffentliche er 1986 erstmals in Tel Aviv im Verlag des israelischen Verteidigungsministeriums auf Hebräisch; eine englische Ausgabe erschien drei Jahre und eine polnische fünf Jahre später. Auf welcher dieser Ausgaben die deutsche Übersetzung beruht, wird nicht klar.
Zu Beginn des Berichts von Chil Rajchman heißt es, dass die Übersetzung auf der französischen Ausgabe fußt. Der hierfür bearbeitete Text wurde von Evita Wiecki mit dem jiddischen Original lediglich abgeglichen (37). Das handschriftliche Original von Rajchmans Bericht über seinen nahezu zehnmonatigen Aufenthalt in Treblinka ist jedoch augenscheinlich nicht überliefert. Aufgezeichnet wurde er nach seiner Flucht; wie Annette Wieviorka in ihrem Vorwort erläutert, geschah dies Ende 1943 oder 1944 - "als Tod und Krieg noch ihre Schatten warfen" (14). Als Rajchman 2004 starb, hinterließ er ein Typoskript, das mit dem Titel "Zikhroynes (Erinnerungen)" überschrieben ist; seinen Söhnen trug er auf, dies zu veröffentlichen, und sie übergaben die "Erinnerungen" Verlagen in verschiedenen Ländern.
Rajchman kam am 14. Juni 1914 in Lodz zur Welt. Nach der Eroberung Polens durch die Wehrmacht hielt er sich als Zwangsarbeiter in deutschen Diensten in Pruszków bei Warschau auf. 1940 wurde er in das Warschauer Getto gesperrt. Von dort floh er nach Ostrów Lubelski. Die SS-Mordkommandos brachten während der "Aktion Reinhard" die jüdische Bevölkerung des Ortes am 10. Oktober 1942 nach Lubartów bei Lublin, von dort wurden sie nach Treblinka weitertransportiert (dem bisherigen Kenntnisstand zufolge sind die Juden aus Lubartów nur in den beiden anderen Vernichtungslagern im Generalgouvernement - Bełżec und Sobibór - ermordet worden [1]).
Der Bericht ist in 19 Kapitel mit eigenen, meist mehrzeiligen Überschriften unterteilt, die deren Inhalt anzeigen. Rajchman gelingt eine sehr eindringliche, geradezu atemlose Schilderung der Vernichtungsmaschinerie. Er bedient sich dabei eines nüchternen Stils und einer schnörkellosen Sprache; vorherrschende Zeitform ist das Präsens.
Der permanenten Gewalt waren alle ausgesetzt - die Angehörigen der Arbeitskommandos wie die zur sofortigen Ermordung ausersehenen Opfer. Bei Letzteren gehörte dies zum Mechanismus der Vernichtung, denn sie suchten, sofort ihres Gepäcks und ihrer Kleidung beraubt, Schutz vor den Schlägen, "wollten so schnell wie möglich alles hinter sich bringen" (100) und gelangten dann um so rascher in die Kammern, in denen der Tod durch Giftgas auf sie wartete.
Auch Rajchman gehörte im Vernichtungslager wechselnden "Judenkommandos" an. Zunächst war er bei jenen eingesetzt, welche die Kleidung der Ermordeten nach versteckten Geld und Wertsachen überprüfen mussten, dann als Haarschneider. Bald musste er in den Lagerabschnitt 2 überwechseln, der hinter den Gaskammern gelegen war und von den Häftlingen als "Totenlager" bezeichnet wurde. Von Ende 1942 an arbeitete er als Leichenträger bei der Beseitigung der Massengräber und als einer der "Dentisten", die den Leichen falsche Zähne herausbrachen. Einmal, bei einer nächtlichen Vergasungsaktion, leisteten die in die Gaskammer Getriebenen mit bloßen Händen Widerstand, sodass die Arbeitskommandos am nächsten Morgen Dutzende Erschossene vorfanden. Einen tiefen Eindruck machte auf ihn (wie schon auf Willenberg, 105f.) die Ankunft tausender Juden aus dem von Bulgarien besetzten Thrakien und aus Griechenland. Sie trafen in Treblinka in Personenwaggons mit einem großen Teil ihres Besitzes ein und waren überzeugt, man werde sie in Russland ansiedeln. Ende April 1943 erfuhren Rajchman und seine Leidensgenossen von den Kämpfen im Warschauer Getto - eine Nachricht, die sie einerseits bedrückte, die aber auch bei ihnen den Willen erwachen ließ, "uns aus Treblinka zu befreien" (125). In seinem Jahrzehnte später aufgezeichneten Bericht verbindet Willenberg den Kummer über das Schicksal der in Warschau Zurückgelassenen mit der späteren Heroisierung (130).
Wie Rajchman erläutert, gelangen die Aufstandsvorbereitungen nur, weil die Arbeiter 1943 über längere Zeit in ihren Gruppen blieben, einander kennenlernten und sich unter ihnen Solidarität herausbilden konnte. Dr. Zimerman, der Kapo der Dentisten, der die Wunden verletzter Arbeiter versorgte, ist Rajchman als "ein sehr anständiger Mensch" (86) in Erinnerung.
Die Herausgeber machen in Anmerkungen weitere Angaben zu den Lageraufsehern, deren Namen der Verfasser häufig nur in einer verballhornten Fassung kannte. Von Januar 1943 an musste ein Arbeitskommando die Spuren des Genozids verwischen - die menschlichen Überreste der Ermordeten wurden zu Hunderten auf Eisenbahnschienen verbrannt (114); Willenberg zufolge, der allerdings nicht im Lagerabschnitt 2 eingesetzt war, begann die Leichenverbrennung drei Monate später (97, 133).
Nach dem Aufstand war Rajchman mehrere Wochen auf der Flucht. Hilfe erhielt er von einem Bauern bei Sokołów Podlaski, der ihm Nahrung, Kleidung und einen Schlafplatz gab. Im Oktober 1943 fuhr er nach Piastów bei Warschau, wo ein polnischer Bekannter ihm "arische" Papiere verschaffte - Rajchman hatte also noch Wertgegenstände aus dem Lager bei sich, um dafür zu bezahlen. Offenbar auf Zureden seiner polnischen Beschützer hin begann er Ende 1943 oder Anfang 1944, seinen Bericht aufzuschreiben. Er war dann abermals in Warschau. Nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands versteckte sich Rajchman in einem Bunker der entvölkerten und westlich der Weichsel nahezu total zerstörten Hauptstadt, bis er am 17. Januar 1945 befreit wurde. 1946 wanderte er - mit seinen Aufzeichnungen - nach Uruguay aus.
Zu Recht unterstreicht Wieviorka "die Besonderheit dieses Dokuments" (14). Die Namen von weniger als 60 Personen, die den Aufstand vom 2. August 1943 überlebten, sind bekannt. So ist es umso wichtiger, dass die Überlebenden der Nachwelt eine Darstellung ihres Leidenswegs hinterlassen.
Die beiden Erinnerungsberichte sind unter sehr verschiedenen Umständen entstanden, ergänzen sich daher gegenseitig, und sie erweitern unser Verständnis von den schier unfassbaren Geschehnissen in dem nationalsozialistischen Vernichtungslager ganz erheblich.
Beide Bände werden durch Fotos abgerundet, auf denen Angehörige der Familie und Lagerskizzen abgebildet sind. Rajchmans Bericht ist zudem mit Abbildungen von einigen der Lageraufseher und weiteren dokumentarischen Fotos illustriert.
Anmerkung:
[1] Siehe Shmuel Spector (ed.): The Encyclopedia of Jewish life before and during the Holocaust, 3 vol., New York 2001, Vol. 2, 751, 952.
Klaus-Peter Friedrich