Peter Zürcher: Bischofswahlen Fürstbistum Eichstätt von 1636 bis 1790. Wahlgeschehen im Spiegel domkapitelscher, dynastischer und kaiserlicher Landes- und Reichskirchenpolitik (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 155), München: C.H.Beck 2008, XCV + 831 S., ISBN 978-3-406-10770-2, EUR 68,00
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Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2004/2005 von der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Dissertation angenommen wurde, reiht sich ein in die nun schon über ein Jahrzehnt anhaltende Konjunktur der Beschäftigung mit der Germania Sacra. Es erscheint deshalb nicht nachvollziehbar, dass Zürcher deren Erforschung "als Stiefkind der neuesten Forschung" bezeichnet (757). Mit dem Fürstbistum Eichstätt wendet sich die Studie einem von der Forschung in der Tat eher vernachlässigten Territorium zu, das von den Historikern bisher als gerade auch in finanzieller Hinsicht unbedeutend eingestuft worden ist. Zürcher korrigiert dieses Bild explizit mit Zahlen, die Eichstätt in Bezug auf den finanziellen Ertrag an neunter Stelle der Hochstifte im Reich einordnen, implizit aber durch seine gesamte Darstellung, die die - teilweise ja sehr kostenintensiven - Bemühungen zahlreicher Adliger und Dynastien um diesen Bischofsstuhl dokumentiert.
Ziel der Arbeit ist es, die Eichstätter Bischofswahlen "in ihrem komplexen Zusammenhang innerhalb domkapitelscher, dynastischer und kaiserlicher Interessenpolitik einzuordnen und zu entfalten" (1). Die Arbeit versteht sich mithin nicht nur als Beitrag zur Eichstätter Bistumsgeschichte, sondern versucht, ausgehend von den Wahlvorgängen an der Altmühl, das vielschichtige Interessengeflecht zu entwirren, das dabei jeweils wirksam wurde, und die vielfältigen Interdependenzen der zahlreichen Akteure aufzuzeigen. Unglücklich gewählt ist allerdings der vom Autor in diesem Zusammenhang eingeführte Begriff des "Parallelgeschehen[s]" im Reich und im Hochstift (1). Denn Parallelen berühren sich bekanntlich nicht, sondern laufen ohne jede Verbindung nebeneinander her. Zürcher geht es aber ja gerade um die Verzahnung von Reichs-, dynastischer und Hochstiftsgeschichte, letztlich also um die Einlösung des von Peter Moraw und Volker Press schon vor Jahrzehnten aufgestellten Postulats der Verbindung von Reichs- und Landesgeschichte. [1] Um dies leisten zu können, hat Zürcher in 23 Archiven und einigen Bibliotheken recherchiert, vom Vatikanischen Archiv in Rom über die einschlägigen Staats- und Diözesanarchive bis hin zu zahlreichen Familienarchiven.
Der Aufbau der Arbeit folgt streng der Chronologie. In elf Kapiteln werden die Wahlen zwischen 1636 und 1790 sowie in zwei Fällen ergebnislose, aber intensive Verhandlungen um eine Koadjutorie dargestellt. Da der Ablauf der Wahlen in seinen Grundzügen kirchenrechtlich normiert war, folgen die einzelnen Wahlvorgänge - und damit auch ihre Darstellung - einem festen Muster. Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens jedoch waren die Unterschiede beträchtlich: War in manchen Fällen die Kandidatenfindung schwierig, wie etwa 1705, als der zunächst gewählte Heinrich Ferdinand von der Leyen die Wahl ablehnte, wodurch ein neuer Wahlgang notwendig wurde, so war die Wahl von 1725 (und bereits die Jahre zuvor) gekennzeichnet durch besonders intensive Bemühungen der bayerischen wie der sächsischen Dynastie, in Eichstätt mit ihren Kandidaten zu reüssieren. 1685 hingegen war die Wahl selbst vergleichsweise unspektakulär gewesen, während sich die Erlangung der päpstlichen Konfirmation über zwei Jahre hinzog. Diese Unterschiede erschließen sich freilich nur implizit bei der Lektüre der einzelnen Wahlvorgänge und werden erst in der Zusammenfassung systematisch eingeordnet und gewichtet, sodass Entwicklungslinien deutlich werden.
Hier liegt in den Augen der Rezensentin die Hauptschwäche der Arbeit: Die neun Wahlen werden in einer Fülle von Details ausgebreitet - auch wenn der Autor an verschiedenen Stellen anmerkt, nur die Haupttendenzen der Verhandlungen darstellen zu können (104, 419). Dabei ist längst nicht in allen Fällen klar, wozu die einzelnen Details dienen, außer um den Eindruck zu vermitteln, dass eine Bischofswahl im Alten Reich eine höchst komplexe Angelegenheit war, an der viele Akteure ein großes Interesse hatten. Die Darstellung und insbesondere die Fußnoten sind eine wahre Fundgrube für diejenigen, die sich für einzelne Akteure interessieren, und als solche über das Register auch gut zu nutzen. Für an einer Fragestellung interessierte Leser aber gerät die Lektüre der über 800 Seiten doch vielfach recht ermüdend, hier wäre eine stärker systematisierende und damit auch Details aussortierende Darstellung der Rezeption der ja durchaus interessanten Ergebnisse sicher zugute gekommen. Vollends sinnlos wird dieses offenbar um größtmögliche Vollständigkeit bemühte Vorgehen, wenn Schreiben mit der Bemerkung angeführt werden, dass der darin enthaltene Hinweis nicht einzuordnen sei (83, 289).
Die Studie vermag herauszuarbeiten, wie es dem Eichstätter Domkapitel trotz teilweise massiver dynastischer Bemühungen bei den Wahlen stets gelang, innerhalb des Gremiums zu bleiben. Bestätigt werden außerdem die von Günter Christ vor allem am Würzburger Beispiel herausgearbeiteten Erkenntnisse über die Entwicklung des kaiserlichen Wahlkommissariats zu einer für eine rechtmäßige Wahl konstitutiven Institution. Dies sollte sich insbesondere bei der Wahl 1790 auswirken, als Kurfürst Karl Theodor von Pfalz-Bayern in seiner Funktion als Reichsvikar während des kaiserlichen Interregnums die Entsendung eines reichsvikariatischen Wahlkommissars mit dem Hinweis auf die Rechtsnotwendigkeit der Anwesenheit eines kaiserlichen und nun eben reichsvikariatischen Wahlkommissars durchsetzte.
Im Vordergrund der Darstellung aber stehen die einzelnen Wahlvorgänge mit ihren häufig lange vorher einsetzenden Bemühungen um Mehrheiten. Zürcher versucht herauszuarbeiten, warum welcher Domherr sich für oder gegen einen Kandidaten aussprach. Allerdings scheinen der Rezensentin diese Versuche mitunter auch nicht zu sehr viel fundierteren Ergebnissen vorzudringen als die Vermutungen zeitgenössischer Beobachter. Selbst wenn man von dem - ex post natürlich durchsichtigen - Bemühen mancher Gesandter, die Stärke des eigenen Anhangs schönzurechnen, um eigene Erfolge vorweisen zu können, absieht, bleiben erhebliche Unsicherheiten: Selbstverständlich ist es möglich, Interessenlagen und Abhängigkeiten darzustellen, also darauf hinzuweisen, dass die Familie eines Domherrn in einem Lehnsverhältnis zu Bayern stand, dass ein Bruder in kaiserlichen Diensten tätig war oder auf einen solchen Dienst spekulierte etc., doch kann daraus nicht zwangsläufig auf ein bestimmtes Wahlverhalten geschlossen werden. Besonders problematisch ist es, von den Verwandtschaftsverhältnissen oder der regionalen Herkunft auf die Unterstützung einer bestimmten Partei zu schließen, wie dies Zürcher verschiedentlich bei der Rekonstruktion der Faktionen tut (95, 129). Zwar räumt er beispielsweise für 1685 ausdrücklich ein, dass "aus den vorliegenden Quellen [...] nichts über die Parteiverhältnisse im Domkapitel hervor[geht]" (95), das hindert ihn aber nicht daran, diese anschließend aus den genannten Kriterien zu erschließen und in einer Grafik darzustellen. Dabei machen die folgenden Ausführungen an vielen Stellen deutlich, dass Domherren aus einer Familie in ihren Präferenzen durchaus nicht immer einig waren oder sich einer Familienräson unterordneten. Wenn dies, wie die massiven Differenzen zwischen Kurfürst Lothar Franz von Schönborn und seinem Neffen Marquard Wilhelm, dem Eichstätter Dompropst, zeigen, selbst für die Schönborn gilt, bei denen sicher in einem überdurchschnittlichen Maß von einer kohärenten Familienpolitik ausgegangen werden kann, ist für andere niederadlige Familien erst recht Skepsis angebracht. Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, welchen Erkenntnisgewinn die detaillierte Herausarbeitung wohl häufig nur vermeintlicher Parteipräferenzen bringt.
Zürcher möchte domkapitelsche Politik ebenso darstellen wie dynastische und kaiserliche Kirchenpolitik. Dieses Vorhaben ist sachgerecht, die Darstellung offenbart freilich, wie schwierig es durchzuführen ist. Denn sobald ein dynastischer Kandidat auf den Plan trat, sprudelt die dynastische Überlieferung eben weit kräftiger als die der niederadligen Kapitulare und ihrer Familien (wobei die Schönborn in diesem Zusammenhang strukturell eher den Dynastien zuzuordnen sind). So gerät die Darstellung über weite Strecken zu einer Analyse pfälzischer, sächsischer und vor allem bayerischer Reichskirchenpolitik und bietet dadurch - wenn auch mit dem Fokus auf Eichstätt - teilweise eine Paralleluntersuchung zu derjenigen von Hubert Wolf über die lothringische Reichskirchenpolitik. [2] Diese Schieflage ist - wie gesagt - nicht dem Autor anzulasten, hätte aber doch thematisiert werden können, da sich hier ein grundsätzliches Problem bei der Erforschung der Germania Sacra stellt.
Erwähnt werden soll schließlich noch die Irritation der Rezensentin darüber, dass Zürcher mehrfach völlig selbstverständlich vom "fürstbischöflichen Absolutismus" (z.B. 617, 742) schreibt, ungeachtet der fundamentalen Kritik, die an diesem Begriff in den letzten Jahren geübt worden ist und ungeachtet der Tatsache, dass selbst abgesehen von dieser Kritik doch ein Konsens darüber zu herrschen scheint, dass der Begriff auf die geistlichen Fürstentümer in keinem Fall angewendet werden kann.
Insgesamt bedeutet die vorliegende Arbeit für die Eichstätter Bistums- und Hochstiftsgeschichte einen ganz erheblichen Erkenntniszuwachs. Denjenigen, die an allgemeineren Fragestellungen zu den Hochstiften und Domkapiteln im Alten Reich und den Strukturen der Germania Sacra interessiert sind, wäre mit einer stärker systematisierenden und weniger detailverliebten Darstellung sicher besser gedient gewesen.
Anmerkungen:
[1] Peter Moraw / Volker Press: Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (13.-18. Jahrhundert), in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), 95-107, hier 97.
[2] Hubert Wolf: Die Reichskirchenpolitik des Hauses Lothringen (1680-1715). Eine Habsburger Sekundogenitur im Reich? Stuttgart 1994.
Bettina Braun