Renata Tyszczuk: The Story of an Architect King. Stanislas Leszczynski in Lorraine 1737-1766 (= Cultural History and Literary Imagination; Vol. 6), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2007, 462 S., 52 fig., ISBN 978-3-03910-324-9, EUR 90,50
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Monarch, Philosoph, Architekt, Visionär, Spottfigur, Patriot - die Liste der Zuschreibungen, die für Stanislaus Leszczyński (1677-1766), den heimatvertriebenen König von Polen [1], Herzog von Lothringen und Schwiegervater des französischen Königs Ludwig XV., bereits zu seinen Lebzeiten erdacht wurden, könnte um weitere Bezeichnungen ergänzt werden, will man die vielen Facetten dieser historischen Persönlichkeit beschreiben, deren Leben und Werk nahezu kaleidoskopisch Einblicke in zeitgenössische politische, staatsphilosophische, ideengeschichtliche und ästhetische Kontroversen erlaubt.
In der Gelehrtenrepublik zu Hause, aus Polen vertrieben, gefestigt in Glauben und Vaterlandsliebe, mit den Moden seiner Zeit vertraut und mit Rousseau und Voltaire im Dialog (62f.) darf Stanislaus Leszczyński zurecht als ein Prototyp des Gelehrtenfürsten der Aufklärung gelten, der Zeit seines Lebens den Versuch unternahm, Darstellungsformen und Ausdrucksmöglichkeiten in Kunst, Architektur und Literatur zu finden, um seine verletzte Königswürde zu rehabilitieren. Wie erfolgreich Leszczyński bei seinen Bemühungen um angemessene Repräsentation und Würdigung gewesen ist, wird nun erstmals in einer voluminösen Gesamtuntersuchung zu Leben und Werk des polnischen Regenten von Renata Tyszczuk (Universität Sheffield) behandelt.
Auf der Grundlage eines sehr weitreichenden Kulturbegriffs, der seinen Ursprung in der phänomenologischen Hermeneutik Gadamers findet, eröffnet Tyszczuk aus unterschiedlicher Perspektive den Blick auf einen hochgebildeten, vielfach versierten Adligen, der trotz seines Schicksals, zurückgezogen in Nancy eine Poetik schafft, die es ihm erlaubt, seine modern anmutenden Ideen von Königtum, Staat und Gesellschaft wie auch von ihren Repräsentationsformen begreifbar respektive verständlich zu machen. Bei diesen Versuchen, von denen sowohl literarische Publikationen als auch Bauskizzen für Schlösser und Gärten Zeugnis geben, ist festzustellen, so Tyszczuk, dass Leszczyński sich selbst stets als König von Polen verstand, und ebenso sein Wort an seine (in erster Linie) polnische Leserschaft wandte.
Indem Tyszczuk in Ansätzen Leszczyńskis Schriften in ihren ursprünglichen, zeitgenössischen Kontexten zu dialogisieren versucht, gelingt es ihr, eindrucksvoll zu zeigen, wie der abgedankte Monarch immer wieder eben diese (von ihr sogenannte) als-ob Stellung des Königs von Polen bezieht. Selbst sieht sich der Monarch als "roi bienfaisant", als ein König, der dank Vorsehung zur "bonheur"-Erhaltung unter seine Untertanen berufen sei. Akzentuiert wird diese Selbststilisierung in der Einleitung seiner Schrift "La Voix Libre" aus dem Jahre 1753, die Voltaires Ruf nach Platos Philosophenkönig aufgreift. Das von Leszczyński in selbiger Schrift entworfene utopische Königreich führt Herrscher und Untertan in Gleichheit und Nächstenliebe zusammen. Alles befindet sich in einem gottgelenkten harmonischen Gleichgewicht.
Es verwundert nicht, dass Leszczyński das Werk seiner Heimat Polen widmet, die im 16. Jahrhundert eine solche aurea aetas erlebte. Doch statt die Tradition und das Erbe zu wahren, herrschen nun Uneinigkeit und Ungehorsam unter den Adligen, die sich ihrer Verantwortung gegenüber dem großen polnischen Volk nicht bewusst seien. Es überrascht daher ebenso wenig, dass Leszczyńskis neue polnische res publica, die er auf dem Papier entwirft, dem Adel nur noch repräsentative Aufgaben zuschreibt und all seinen Besitz dem Volk übermacht.
Renata Tyszczuk weist wiederholt darauf hin, dass dieser Entwurf dem abgedankten Titelhalter eine Möglichkeit eröffnete, Frieden mit der eigenen dilemmatischen Situation zu finden: So nämlich konnte dem polnischen Volk gezeigt werden, was es versäumt habe.
Diese Erkenntnis, so Tyszczuk, verbiete, dass man den exilierten König für einen lebensfernen Visionär hält. Der eigenen Rolle bewusst, bleibt Leszczyński seiner Linie treu: Er blickt nach vorn und versucht, sich auszudrücken, etwas zu (er)schaffen: "His program cannot therefore simply be defined in terms of wishful thinking or building castles in the air, but rather described substantially as acting in the world" (365).
Dass Leszczyński ein einheitliches Bild vor Augen hat, beweist Tyszczuk durch inhaltliche Übereinstimmungen zwischen den architektonischen bzw. städteplanerischen Projekten für Nancy und den Entwürfen für ein neues staatliches Gefüge in La Voix Libre. Vergleichbare Entdeckungen lassen sich auch für das Chateau de Lorraine machen, die das Talent zur innovativen Selbstinszenierung, eine unglaublich ausgeprägte Vorstellungsgabe und ein immenses ästhetisches Empfinden eines Mannes verdeutlichen, der in vieler Hinsicht seiner Zeit voraus war.
Eine Schwäche der Arbeit, die sich primär wohl an ein wissenschaftliches Publikum wendet, liegt in den unzähligen Redundanzen ("The narrative framework [...] provides simultaneously the origin and the eschaton, the beginning and the end" (163)) die sich die Autorin sprachlich im Allgemeinen wie auch im Besonderen in ihren Zielformulierungen erlaubt: So werden immer wieder neue Ziele der Arbeit formuliert, die allerdings in toto gar nicht erreicht werden. Dieser Hang zur Überreichlichkeit lässt sich auch anhand der überflüssigen Begriffserklärungen und ideengeschichtlichen ab ovo-Herleitungen zeigen: Welche Konnotationen der Begriff curiositas (121-127) im 18. Jahrhundert im Licht der Aufklärung besaß, muss in einer derartigen Arbeit - im Sinne des wissenden Lesers - nicht mehr besprochen werden.
Ungeachtet dieser Einschränkungen legt Tyszczuk eine Arbeit vor, die sehr wahrscheinlich für einen nicht allzu kurzen Zeitraum das Bild Leszczyńskis in der Forschung bestimmen wird.
Anmerkung:
[1] Unter schwedischem Druck anstelle des Wettiners August II., des Starken, 1704 zum König von Polen gewählt, konnte sich aber nur bis zur Niederlage seines Protektors Karl XII. bei Poltawa auf dem Thron halten. Er wurde 1733 mit französischer und schwedischer Hilfe erneut König von Polen, musste aber im Polnischen Thronfolgekrieg 1736 August III. von Polen-Sachsen weichen.
Christof Ginzel