Wolfgang Martynkewicz: Salon Deutschland: Geist und Macht 1900-1945, Berlin: Aufbau-Verlag 2009, 617 S., ISBN 978-3-351-02706-3, EUR 26,95
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Obwohl das Verlegerehepaar Hugo und Elsa Bruckmann zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Münchner Kulturlebens der Jahrhundertwende gehörte und Hitler früh unterstützte, blieb das Bild, das bisher von den Bruckmanns gezeichnet wurde, denkbar blass. Über pauschale Werturteile kam die Forschung in der Vergangenheit kaum hinaus: Die frühe Zeit des Salons wurde als starker Gegensatz zur späteren nationalsozialistischen Ausrichtung der Bruckmanns empfunden. Auch tat man sich schwer, das künstlerisch progressive Gedankengut, wie es Hofmannsthal, Rilke oder Wölfflin im Salon vertreten hatten, mit späterer NS-Ideologie zusammenzubringen. Die Hinwendung der Bruckmanns zu Hitler, Heß und Rosenberg wurde als Sündenfall der bildungsbürgerlichen Elite verstanden, ohne diesen aber weiter zu hinterfragen.
Nun hat sich der Literaturwissenschaftler Wolfgang Martynkewicz erstmals monografisch des Bruckmann'schen Salons angenommen. Das gut ausgestattete Buch ist als große panoramatische Erzählung angelegt, die die einzelnen Protagonisten in lockerer Chronologie in kurzen Kapiteln vorstellt. So spannt sich der Bogen von der frühen intimen Freundschaft zwischen Elsa Bruckmann und Hofmannsthal über die Glanzzeit des Salons vor dem ersten Weltkrieg, als Rilke, Wöfflin, Kassner, Graf Keyserling, Wolfskehl, Klages, Graf Kessler, Alfred Schuler und Norbert von Hellingrath zu den regelmäßigen Gästen zählten, und reicht bis zur einschlägigen Politisierung der Bruckmanns ab Mitte der 1920er-Jahre. Den roten Faden liefern dabei die Lebensumstände der Bruckmanns, ihre verlegerischen und gesellschaftspolitischen Aktivitäten sowie ihre weltanschaulichen und kulturellen Ansichten. Martynkewicz stützt sich dabei vor allem auf den privaten Bruckmann-Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek, ein bisher kaum ausgewertetes, dafür aber umso reicheres Konvolut an Korrespondenzen und Aufzeichnungen. Trotz dieser engen Anbindung an Hugo und Elsa Bruckmann ist das Buch jedoch keine Familien- oder Verlagsgeschichte im engeren Sinne. Vielmehr wird am Beispiel des Salons ein exemplarisches Bild der geistigen Eliten in Deutschland zwischen 1900 und 1945 gezeichnet.
An welchen Themen sich der Bruckmann-Kreis abarbeitete, wird besonders an den Schriften der einzelnen Habitués deutlich. Diese waren von einer gemeinsamen Grundsehnsucht bestimmt: "Ob Wölfflin mit seinen Grundbegriffen, ob Chamberlain mit seiner Rassentheorie, ob Klages mit seiner Physiognomik, ob Kassner mit dem Gesicht - oder eben Rilke und Hofmannsthal, sie alle begrüßten auf ihre Weise die Moderne als eine Zeit des Aufbruchs, und sie suchten zugleich nach dem verlorenen Festen, nach elementarer Gewissheit." (192) Parallel dazu entwickelte man in den Kreisen des Salons Ideen von geistiger Führerschaft, man sympathisierte mit autoritären Staatsformen und hoffte auf eine grundlegende Erneuerung des Menschen, was antisemitische Ideen mit einschloss. Verschärft wurden diese Ansichten durch die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und die tiefe Ablehnung der Weimarer Republik. So erscheint die zunehmende Politisierung der Bruckmanns als schlüssige Entwicklung, die nicht etwa im Kontrast stand zu den gedanklichen Grundlagen, die man um 1900 entwickelte hatte, sondern diese konsequent fortsetzte: "Am Salon Bruckmann wird deutlich, dass ästhetische Moderne und Nationalsozialismus keine voneinander abgeschlossenen Vorstellungswelten waren, dass es bis hin zur Avantgarde in Literatur, Malerei, Musik und Architektur einen Diskurs gab, der sich für totalitäre Ideen empfänglich zeigte." (13) Diese Beurteilung ist dabei freilich nicht vollkommen neu, sondern schließt an andere Forschungen an, die das Bild einer dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstehenden Kulturelite deutlich korrigiert haben. [1]
Martynkewicz' Studie identifiziert aber auch Verwerfungen: So distanzierten sich die Bruckmanns - etwa ab 1936 - immer häufiger von nationalsozialistischer Politik. Zum Bruch mit Hitler führte dies allerdings nicht. Zwar hatten sich die nationalsozialistischen "Geister", die sich das Bildungsbürgertum selbst ins Haus gerufen hatte, längst der Kontrolle entzogen, Durchhaltewillen, Opferbereitschaft und "Treue zum Führer" standen jedoch als bürgerliche Werte einer vollständigen Abkehr vom NS entgegen. Martynkewicz gelingt es dabei, die komplexe Gemengelage aus Patriotismus, Erneuerungswillen und Erlösungsglauben nicht auf einfache Erklärungsmuster herunterzubrechen, sondern in ihrer Verwickeltheit anzuerkennen. Damit leistet er Wesentliches für ein differenziertes Verständnis des Funktionierens des NS-Systems und der Rolle einer älteren Geisteselite.
Die beiden zentralen Qualitäten des Bandes, seine anschauliche Erzählweise sowie der Blick für das große Ganze, haben jedoch leider zu Abstrichen an anderer Stelle geführt. So sind Fußnoten eher dürftig gesetzt, was die Überprüfbarkeit vieler Fakten oft unmöglich macht, zumal diese teils nicht stimmen:
Das Verlagsgebäude in der Nymphenburger Straße wurde nicht von Henry van de Velde entworfen (51), sondern es stammt von Martin Dülfer. [2] Hugo Bruckmann wurde 1933 nicht alleiniger Leiter der Bruckmann A.G. (475), sondern leitete diese gemeinsam mit seinem Neffen Alfred Bruckmann. [3] Die angeblich programmatische Umbenennung der Bruckmann-Zeitschrift "Dekorative Kunst" in "Das schöne Heim" durch Hugo Bruckmann (444) ist unwahrscheinlich, da die Namensänderung bereits 1929 geschah. Ebenfalls irreführend ist die Behauptung, Hugo Bruckmann habe Hitlers Schrift "Der Weg zum Wiederaufstieg" 1927 "ins Verlagsprogramm aufgenommen" (421, 437). Der vom Stammverlag unabhängige "Hugo Bruckmann Verlag" war zu diesem Zeitpunkt kaum mehr aktiv, ein Verlagsprogramm nicht mehr existent. [4]
Den kulturpolitischen Aktivitäten Hugo Bruckmanns wurde nicht genauer nachgegangen. Dessen Vorstandstätigkeit in der Deutschen Akademie findet keine Erwähnung. Und ob er das Amt des Reichskultursenators bzw. des Präsidialrats der Reichsschrifttumskammer jemals aktiv ausgeübt hat, bleibt fraglich. Vieles spricht dafür, dass diese Gremien nie zusammentraten. [5] Insofern ist auch Martynkewicz' Schlussfolgerung zu relativieren, Bruckmann habe sich geschickt in Goebbels Einflussbereich begeben (473f.). Missverständlich ist auch, Elsas Aussagen über zu eliminierenden "Schlamm" und "Miasmen" mit den Bücherverbrennungen in Verbindung zu bringen (473). Hiermit waren wohl eher ungeliebte Parteimitglieder gemeint, die in Elsas Augen die "hehre" Idee des Nationalsozialismus trübten. Eine genauere Charakterisierung des Spektrums der NSDAP-Mitglieder, mit denen die Bruckmanns sympathisierten, wäre hier hilfreich gewesen - die Empörung über die Ermordung von Röhm und Strasser wird nicht erwähnt.
Kleinteilige Quellenkritik ist somit weniger die Stärke des Buches. Dies sieht man dem Autor allerdings schnell nach, da er im Gesamten eine differenzierte Analyse der geistigen Eliten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liefert.
Anmerkungen:
[1] Jürgen Gimmel: Die politische Organisation des kulturellen Ressentiments. Der "Kampfbund für deutsche Kultur" und das bildungsbürgerliche Unbehagen an der Moderne, Münster 2001.
[2] Denkmäler in Bayern, Bd. I.1, Landeshauptstadt München, München 1991, 270.
[3] Erich Pfeiffer-Belli: 100 Jahre Bruckmann, München 1958, 131.
[4] Anne Bechstedt / Anja Deutsch / Daniela Stöppel: Der Verlag F. Bruckmann im Nationalsozialismus, in: Ruth Heftrig / Olaf Peters / Barbara Schellewald (Hgg.): Kunstgeschichte im "Dritten Reich", Berlin 2008, 280-311, 286.
[5] Daniela Stöppel: Hugo Bruckmann als Vorstand des Deutschen Museums, in: Elisabeth Vaupel / Stefan L. Wolff (Hgg.): Das Deutsche Museum in der Zeit des Nationalsozialismus, Göttingen 2010, 127-170, 135.
Daniela Stöppel