Rezension über:

Cynthia J. Cyrus: The Scribes for Women's Convents in Late Medieval Germany, Toronto: University of Toronto Press 2009, XIX + 387 S., ISBN 978-0-8020-9369-1, USD 75,00
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Rezension von:
Antonella Ambrosio
Dipartimento di discipline storiche, Università degli Studi 'Federico II', Napoli
Redaktionelle Betreuung:
Georg Vogeler
Empfohlene Zitierweise:
Antonella Ambrosio: Rezension von: Cynthia J. Cyrus: The Scribes for Women's Convents in Late Medieval Germany, Toronto: University of Toronto Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/17866.html


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Cynthia J. Cyrus: The Scribes for Women's Convents in Late Medieval Germany

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Das Buch von Cynthia J. Cyrus ist voller Daten, Argumente und Einschätzungen. Die Autorin behandelt auf den 400 Seiten ihres Buches umfassend und detailliert die männlichen und weiblichen Schreiber in den deutschen Frauenklöstern vom 13. Jahrhundert bis zur Reformation.

Sie hat einen fruchtbaren Boden für ihre Forschungen gefunden. Der deutsche Sprachraum ist nämlich ein repräsentatives und gut dokumentiertes Beispiel für Skriptorien in mittelalterlichen Frauenklöstern: Mehr als 450 Konvente, davon 48 mit aktiven Skriptorien, und eine stattliche Zahl an überlieferten Handschriften, 4000, die sich gut für jede Art von Untersuchung eignen, da sie gut erfasst und mit Handschriftenkatalogen erschlossen sind. Die Autorin richtet ihr Augenmerk hauptsächlich auf das Kolophon, das viele Informationen über die Schreiberinnen und Schreiber liefert und dem dementsprechend ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Den Handschriften selbst gesellt Cynthia Cyrus urkundliche und chronistische Quellen sowie Bibliothekskataloge hinzu. Ihre Bibliographie der einschlägigen Forschung ist umfassend.

All diese Informationen sind minutiös gesammelt, geordnet und diskutiert und führen so zu einer nützlichen Studie, die sich als "prosopographical study" (3) und als "a kind of social history of scribes" (3) präsentiert. Da in ihr 416 Schreiberinnen untersucht sind, trifft auch die Selbsteinschätzung als "a study of women scribes" (5) zu. Für Ihre Forschungen über dieses an Zeugnissen reiche Kapitel der mittelalterlichen Geschichte Europas verwendet die amerikanische Forscherin einen methodischen Ansatz, der in der Historiographie vieler ihrer Landsleute nicht neu ist. So ist es unvermeidbar, dass sie einen sozialhistorischen Forschungsansatz mit Methoden der Gender Studies anreichert. In Nordamerika und Europa sind seit vierzig Jahren Studien von feministischen Historikerinnen und in den letzten Jahrzehnten auch explizit feministische historische Studien entstanden, welche die Geschichte der mittelalterlichen Frauenklöster behandeln. Sie haben gezeigt, wo die Lebensbereiche lagen, in denen die Frauen unabhängig waren, in denen sie ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln konnten und freie Entscheidungen fällten, und das alles in einer auf Männer zentrierten Welt. Unter diesen Lebensbereichen nehmen die Klöster eine herausgehobene Stellung ein, ein Lebensbereich durchdrungen von Macht und Kultur.

Aus ihrem methodischen Kontext heraus ist für Cynthia Cyrus die Buchproduktion ein effizientes Instrument, die Macht der Frauen in den deutschen Klöstern zu untersuchen. Es gelingt ihr zu zeigen, wie die Frauen, insbesondere die an der Spitze der Konvente oder in strategischen Positionen, sich nicht darauf beschränkten, Bücher intern bei Schreiberinnen des Konvents oder extern bei Berufsschreibern in Auftrag zu geben, sondern wie sie auch auswählten, welche Texte zu kopieren seien und dabei die Lektürebedürfnisse ihrer Mitschwestern interpretierten. Indem sie über den Inhalt der Klosterbibliothek wachten, konnten sie unabhängig von Männern das intellektuelle und spirituelle Leben des Konvents entscheidend beeinflussen.

Dieses Argument ist aus Sicht der Rezensentin eines der am besten entwickelten des Buches, zeigt aber gleichzeitig auch seine Grenzen. Der Versuch, immer und überall die Rolle der Frauen bei der Buchproduktion in den Vordergrund zu rücken, schadet der Studie an einigen Stellen, wenn sich nämlich die Autorin zu Schlüssen hinreißen lässt, die sie nicht wirklich belegen kann. So versucht Sie z.B. den Anteil an der Schreibarbeit nach dem Geschlecht des Schreibers/der Schreiberin zu ermitteln und kommt zu dem Schluss, dass die Frauen dabei aktiver als die Männer waren (119-126). Die Aussage beruht auf 30.000 Handschriften, von denen aber gerade einmal in 20% der Fälle der Schreiber/die Schreiberin bekannt ist. Trotz dieser lückenhaften Datengrundlage erstellt Cinthia Cyrus eine Tabelle mit Prozentanteilen und formuliert Hypothesen, die mit dieser schwachen Datengrundlage eigentlich nur noch Mutmaßungen sind.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert: Nach dem ersten Kapitel, das umfassend in das Thema einführt, geht Cynthia Cyrus das Verhältnis zwischen den monastischen Gemeinschaften und den internen und externen Schreibern an. Das dritte Kapitel widmet sie der Typologie der kopierten Texte, vorwiegend liturgischer Art, spiritueller Natur oder gelehrten Inhalts. Das vierte Kapitel zeichnet ein Bild der Kopistinnen und Kopisten aus den Kolophonen der Handschriften. Ihre Motive und die Bedeutung der Bücherproduktion im Kloster ist schließlich Thema des fünften Kapitels. Der Band wird von zwei Anhängen beschlossen: eine Liste der Schreiberinnen und Schreiber, geordnet nach Orden, und eine der Frauenklöster mit aktiven Skriptorien. Dieser letzte Anhang ist besonders nützlich, auch wenn er für den an den deutschen Frauenklöstern im Allgemeinen interessierten Leser nicht ausreichen kann. Eine Einordnung der von Cynthia Cyrus beschriebenen Phänomene in den Zusammenhang des weiblichen Klosterwesens in Deutschland im späten Mittelalter wäre wünschenswert gewesen. So hätte man die Menge der Forschungsergebnisse von Cyrus besser verorten können, insbesondere da die Großzügigkeit, in der die Autorin häufig auch fragmentarische Informationen bereitstellt, den Leser zu desorientieren droht. Die Entscheidung des Verlages, den Band mit End- statt mit Fußnoten auszustatten, trägt dazu bei, indem ein Bemühen um Vertiefung den Lesefluss durch ständige Mikrounterbrechungen stört.

Besonders vorsichtig und gründlich ist hingegen die lange Einleitung, die auch jedoch ein paar problematische methodische Entscheidungen präsentiert. Die Autorin benennt die von ihr gewählten Forschungsmethoden, ordnet sie ein und grenzt ihr Forschungsfeld ab. Insbesondere weist sie darauf hin, dass sie auf einen paläographischen Ansatz verzichtet hat, der die verschiedenen Schreiberhände zu identifizieren hätte (6). Das schiene der Rezensentin jedoch eine fruchtbringende Aufgabe, denn erst so wäre ein umfassendes Bild der Schreibtätigkeit in den Frauenklöstern entstanden, das z.B. auch den Grad der Alphabetisierung, den Schreibunterricht, oder die Genauigkeit bei der Beachtung von Schriftarten hätte untersuchen können, die sicherlich Teil der mentalen und kulturellen Welt sind, wenn nicht sogar des Alltagslebens der Männer und Frauen, das die Autorin zu rekonstruieren versucht.

Abschließend soll noch auf einige wenig genau redigierte Abschnitte hingewiesen werden. Im Kapitel "Scribe as Individual" geht die Autorin mit einer Reihe von Kolophonen sehr großzügig um. Die eigenwillige Transkription, die Abkürzungen unaufgelöst lässt (z.B. 275 Anm. 40, 278 Anm. 55 und 150) und Interpunktion (z.B. 276 Anm. 45) auslässt, erschwert die Lektüre, wenn nicht gar echte Transkriptionsfehler vorliegen (z.B. 134 und 276 Anm. 42).

Von solchen Fehlern und den manchmal nicht überzeugenden Schlüssen abgesehen liefert der Band von Cynthia Cyrus in seiner Gesamtheit nicht nur viele interessante Anregungen und umfangreiches Material, das noch der Auswertung harrt, sondern er erfreut auch durch seine klare Struktur und die Leidenschaft der Autorin für ihr Thema, einer Leidenschaft, die auf jede Seite des Buches hervortritt.

Aus dem Italienischen übersetzt von Georg Vogeler.

Antonella Ambrosio