Rezension über:

Carsten Dilba: Memoriae Reginae. Das Memorialprogramm für Eleonore von Kastilien (= Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 180), Hildesheim: Olms 2009, 606 S., ISBN 978-3-487-13943-2, EUR 78,00
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Rezension von:
Sylvaine Hänsel
Münster
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Sylvaine Hänsel: Rezension von: Carsten Dilba: Memoriae Reginae. Das Memorialprogramm für Eleonore von Kastilien, Hildesheim: Olms 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/18528.html


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Carsten Dilba: Memoriae Reginae

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Das Thema Hofkunst in der englischen Architektur und Skulptur des 13. und 14. Jahrhunderts ist in den letzten Jahren mehrfach untersucht worden. Nach Eva-Andrea Wendebourgs Monografie über Westminster Abbey von 1986 setzte Paul Binski 1995 in seinem Westminster-Buch den Akzent auf die Funktion der Kathedale als Ort der Repräsentation. Antje Fehrmann nahm 2008 die königlichen Grablegen, vor allem die der Lancaster-Dynastie, in den Blick. Carsten Dilba fokussiert nun sein Interesse auf das Leichenbegängnis der Eleonore von Kastilien, zu dem nicht nur die Grabstätte in Westminster, sondern auch ein Sarkophag in Lincoln, die Herzurne in Blackfriars sowie insbesondere zwölf Kreuze, die den Weg des Leichenzugs vom Todesort bis zur königlichen Grablege markierten, gehörten.

Dilba will zeigen, dass "die Sepulkralbauten für Eleonore nur ein - wenn auch wesentlicher - Teil eines in seinem Umfang und Anspruch bisher unterschätzten Maßnahmenbündels zur herrscherlichen Repräsentation und Aufwertung der memorierten Person, des Auftraggebers, seiner Familie und Dynastie in Konkurrenz zu regionalen, vor allem aber überregionalen Mächten waren." (8) Er beginnt mit einer ausführlichen Darstellung der Überlieferung und Erforschung der Monumente, angefangen von John Lelands 1540-46 entstandenem England-Reisebericht bis in die heutige Zeit, wo insbesondere Nicola Coldstream den Eleanor-Monumenten Aufsätze gewidmet hat.

Eduard hatte Eleonore von Kastilien 1254 geheiratet. Sie begleitete ihren Mann auf seinen Reisen und Kriegszügen sowie 1270-72 auf den Kreuzzug. 1290 starb sie auf der Rückreise vom Reichstag in Clipston; ihren Leichnam brachte man nach Lincoln, wo zunächst die Eingeweide in der Kathedrale beigesetzt wurden. Ein feierlicher Zug eskortierte den Körper nach Westminster, wo das Grabmonument des 1161 heiliggesprochenen Eduard des Bekenners zum Zentrum der Grabstätte des englischen Herrscherhauses avancieren sollte. Zwölf reich verzierte, steinerne Kreuze markierten die Stellen, an denen der Leichenzug gehalten hatte.

Die Rechnungslisten der Testamentsvollstrecker Eleonores, die Dilba gründlich auswertet, enthalten Angaben über Almosen, Schenkungen, Schulden und Maßnahmen, um das Andenken Eleonores zu sichern. Auch überliefern sie "die Namen der Architekten und Baumeister, der caementarii und imaginatores, und geben Aufschluss über die Arbeitsorganisation und den Arbeitsablauf dieser Bauprojekte." (85)

"Das gesamte Bauprogramm", folgert Dilba, "muss bereits kurz nach dem Tod der Königin bis in Einzelheiten geplant gewesen sein. Darauf deutet der fast gleichzeitige Baubeginn an mehreren Bildstöcken und eine planmäßige Beschaffung des Baumaterials hin" (120). Die Arbeiter stammten aus den für den Hof tätigen Werkstätten. Die vor Ort arbeitenden Baumeister besaßen wahrscheinlich weitgehende Befugnisse; so nimmt Dilba an, dass es sich "[...] bei den in den Baurechnungen als Magister titulierten um eigenverantwortlich arbeitende Künstler handelt, die in ihrer Arbeitsausführung unmittelbar dem Auftraggeber verantwortlich waren [...]" (137).

Im zweiten Teil analysiert Dilba vor allem die drei erhaltenen Kreuze, deren gestalterische Vielfalt weit größer war, als nach der straffen Organisation der Materialbeschaffung und Arbeitsorganisation, die aus den Rechnungslisten hervorgeht, zu erwarten wäre. Trotzdem gab es offensichtlich gewisse Entwurfsvorgaben, etwa was die mehrstöckige Pfeilerarchitektur, das Mittelgeschoss mit den Skulpturen oder die Wappenschilde betrifft. Auch "mikroarchitektonische" Zierelemente, die wesentliche Anregungen der zeitgenössischen französischen Fassadenarchitektur verdanken, werden an den Kreuzen eingesetzt. Insbesondere am Geddington-Kreuz zeigt sich in der originellen Grundstruktur und der reichen Ornamentik die enge Verbindung zu Goldschmiedearbeiten.

Bei den Skulpturen hätte man nach den Rechnungslisten eine Serienproduktion für alle Kreuze vermuten können, doch zeigt Dilba, dass die Bildnisse der Königin exakt auf die Architektur der jeweiligen Bildstöcke zugeschnitten waren, was wiederum auf eine enge Kooperation zwischen Baumeistern und Bildhauern deutet. So überzeugend Dilba die stilistische Analyse der Eleanor-Kreuze gelingt, so wenig zwingend erscheint jedoch seine Schlussfolgerung, dass die stilistische Vielfalt absichtsvoll um der größeren Repräsentativität willen vom Auftraggeber intendiert gewesen sei.

Unverkennbar ist, dass sich in den Eleanor-Kreuzen ein hoher repräsentativer Anspruch verkörpert. Offensichtlicht knüpfte Eduard I. an die neun Bildstöcke an, die zwischen Notre-Dame und Saint Denis an den Leichenzug Ludwigs IX. erinnern sollten. Sowohl die französischen als auch die englischen Kreuze dienten zur Sicherung der Memoria und Stimulierung von Bittgebeten. Dilba schlägt überdies vor, sie als Reflex des Bauwerks auf dem Mons Gaudii, das den Ort bezeichnete, von dem aus die Teilnehmer des ersten Kreuzzugs Jerusalem erblickten, zu interpretieren. Da der Orden de Monte Gaudio von Alfons VIII. von Kastilien gefördert wurde, käme hier auch ein "familiärer" Bezug zum Tragen. Vor allem aber sollten sie auf die Teilnahme des englischen Königspaares am zweiten Kreuzzug verweisen und Eduards Pläne für einen weiteren Kreuzzug unterstützen.

Dazu passt, dass die nicht individualisierten Bildnisse der Königin Anklänge an Marienfiguren der Zeit aufweisen und so als Inbegriff von Reinheit und Tugendhaftigkeit erschienen. So schlussfolgert Dilba, dass die Kreuze "einerseits der Abgrenzung von anderen Machtträgern und andererseits einer Selbstvergewisserung durch das visuelle Einlösen der mit der Rolle als Frau und Herrscherin verknüpften Erwartungshaltung [dienten]. Die im Bild gefasste mariologische Analogie der Königin wirkte entsprechend auf die sakrale Identität der Herrscherin und ihrer Nachkommenschaft zurück" (248).

Im vierten Abschnitt untersucht Dilba die Grabmale Eleonores und Heinrichs III. Wieder geht es zunächst um eine eingehende stilistische Analyse. Für die Liegefigur Eleonores zieht Dilba das Bild der Königin auf ihrem Siegel heran, das als "offizielles Vertreterbild" fungiert und so ihre herrscherliche Macht in sich trägt und beglaubigt (279). Wenn Dilba jetzt die staatsrechtliche Theorie des natürlichen und des politischen Körpers des Königs heranzieht, so erscheint das allerdings historisch weder plausibel noch argumentativ nötig.

Denn die These, dass das Eleonorengrab in Westminster Abbey den Anstoß für die Gestaltung der zentralen königlichen Grablege gab, kann der Autor im fünften Abschnitt überzeugend darlegen. So zeigt er anhand stilistischer Vergleiche, dass auch die späteren Grabmale von Eduards Bruder und Schwägerin von denselben Meistern geschaffen wurden, die auch für die Kreuze und die Grabmale der Königin tätig waren. Mit Anne McGee Morganstern charakterisiert Dilba die Gräber als "Verwandtschaftsgrabmale", zu deren Charakteristika zum einen die heraldischen Zierelemente gehören, zum anderen Figuren an der Tumba, die als Verwandte der Verstorbenen angesprochen werden können.

Den liturgischen Gedenkfeiern für Eleonore ist das letzte Kapitel der Untersuchung gewidmet. Dilbas Untersuchung über das Memorialprogramm für Eleonore von Kastilien beeindruckt durch die Materialfülle und Gründlichkeit der Analysen, die auf eine umfassende Auswertung der zu Verfügung stehenden Quellen fußen. Allerdings hätte dem Band eine Straffung und Komprimierung der Details zugunsten der stärkeren Akzentuierung der Grundidee gut getan, dass nämlich Eduard mit dem Memorialprogramm für Eleonore die Chance nutzte, seine individuelle Trauer zu herrscherlicher Standesrepräsentation zu nutzen und so mit dem französischen Konkurrenten gleichzuziehen.

Sylvaine Hänsel