Marianne Heinz / Sabine Thümmler: König Jérôme (1807-1813): Was er zurückließ, was er mitnahm. Malerei, Skulptur, Angewandte Kunst (= Museumslandschaft Hessen Kassel, Monographische Reihe; Bd. 23), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 108 S., ISBN 978-3-422-02250-8, EUR 12,80
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Der 23. Band der von der "Museumslandschaft Hessen Kassel" herausgegebenen kleinen monografischen Reihe greift ein Thema auf, das - natürlich - die Bestände der Kasseler Museen nahelegen, das aber auch die Zeitläufte vorgeben.
Seit der letzten Jahrhundertwende wird vor allem, aber nicht nur in Frankreich verschiedener, nunmehr 200 Jahre zurückliegender Ereignisse gedacht, die mit dem General, Konsul und Kaiser Napoleon Bonaparte in Verbindung stehen. Solcherart Ereignisse gab es bekanntermaßen auch im deutschsprachigen Raum, so die Eingriffe Napoleons in hiesige staatliche Strukturen: die Erhebung Bayerns und Württembergs zu Königreichen, die Etablierung von Großherzogtümern in Baden, Hessen-Darmstadt und Berg, die Beförderung des Rheinbundes sowie die Installation des Bruders Jérôme Bonaparte als König von Westphalen mit Residenz in Kassel. Die Ausstellung "König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen" im Museum Fridericianum gedachte bereits 2008 dem letztgenannten Ereigniskomplex. [1]
Das Erscheinungsdatum des vorliegenden Bändchens fällt nun gewissermaßen in die Mitte des Erinnerungszeitraumes an die von 1807 bis 1813 währende Herrschaft des Napoleoniden in Kassel. Sein Titel "König Jérôme: Was er zurückließ, was er mitnahm" macht deutlich, dass es dabei zuvorderst um Realien geht, um die Ausstattungsstücke der Residenzen Jérômes nämlich, die in Kassel verblieben, und um die Kunstobjekte, die er zum gewaltsamen Ende seiner Regentschaft aus Kassel in die französische Hauptstadt schaffen ließ. Konkret werden gemalte und skulptierte Porträts der Mitglieder der Familie Napoleons sowie Möbel und weitere kunstgewerbliche Objekte und ihre Beauftragung, ihr Erwerb und ihre Aufstellung im Kasseler Stadtschloss sowie in den Schlössern Katharinenthal (Wilhelmsthal) und Napoleonshöhe (Wilhelmshöhe) behandelt.
Diese Ausführungen stützen sich, da sich vieles nicht erhalten hat, zu einem nicht geringen Teil auf Archivalien, unter anderem auf ein Verzeichnis der 1813 nach Paris gesandten Kasseler Objekte, das in einem Anhang auch abgedruckt ist. Ein erster Beitrag von Marianne Heinz gilt den Staats- und Familienporträts, ein zweiter von Sabine Thümmler der Ausstattung der genannten Schlösser. Versprochen wird im Klappentext ein "umfassender Einblick in das anspruchsvolle Ausstattungsprogramm des westphälischen Hofes".
Und in der Tat: Der Leser erhält in erhellender Weise Aufschluss über die Niederungen herrscherlicher Repräsentation. Anschaulich wird der überwiegend schlechte Zustand der Schlösser geschildert, die Jérôme und seine Gattin Katharina von Württemberg als Schachfiguren Napoleons in Kassel und Umgebung zu beziehen hatten und deren Glanz durch den napoleonischen Kunstraub zusätzlich gelitten hatte. Skizziert werden die umgehend einsetzenden Versuche, mithilfe französischer und einheimischer Künstler und Kunsthandwerker und mithilfe importierter und vor Ort gefertigter Bildwerke und Einrichtungsgegenstände diesen deplorablen Verhältnissen zu entkommen. Eine Reihe unvollendeter Porträts zeugt davon, dass sechs Jahre dafür keine angemessene Zeit waren und dass herrscherliche Repräsentation mit den Mitteln der Kunst nicht notwendigerweise ein reibungslos funktionierendes System war.
Im Zuge dieser Darlegungen wird eine Reihe von interessanten Fragen nicht diskutiert. Insbesondere der Beitrag von Heinz zu den gemalten und skulptierten Porträts der Napoleoniden ist ein mitunter etwas ermüdendes Referat von Künstlerbiografie, Typengeschichte und Informationen zu den Dargestellten, bei dem Porträtverwendungen und -funktionen nicht konsequent thematisiert werden. In einer Veröffentlichung, die nahe an konkreten Beständen und vor dem Hintergrund archivalischer Überlieferungen argumentiert, hätte gerade dieses naheliegen können.
Dann gilt, dass sowohl die gemalten als auch die gehauenen Porträts Züge aufweisen, die in den Bereich der Serienproduktion verweisen, und insofern Überlegungen zu massenmedial verbreiteten Herrscherbildern in den vorliegenden Ausführungen durchaus eine Rolle hätten spielen können. Dies umso mehr, als die Massenproduktion von Porträts der Napoleoniden aus Carrara-Marmor, die unter der Ägide der Fürstin von Lucca und Piombino, Elisa Bonaparte, unternommen wurde, im vorliegenden Text nachdrücklich erwähnt wird. Desgleichen hätte die Kombination von Importen aus Paris und heimischer Produkte von der Hand von Künstlern und Kunsthandwerkern, die unter Umständen schon länger nach französischem Vorbild arbeiteten, zusätzlich im Kontext allgemeinerer Überlegungen zum Kulturtransfer problematisiert werden können.
Schließlich: Der Stilbegriff "Empire" wird mit Blick auf die Innenausstattungen der Schlösser immer wieder bemüht und dabei als "staatstragender Stil" (68) charakterisiert. Wie aber hat man sich die Wahrnehmung einer solchen staatstragenden Funktion in einem sogenannten Modellstaat vorzustellen? Welche Anhaltspunkte dafür liefern die in Rede stehenden Objekte? Welchen Anteil konnten etwa die aus Paris bestellten Möbel eines Bernard Molitor haben, der mit seiner Produktion konsequent alle Regimewechsel in Frankreich in den Jahrzehnten um 1800 überlebte?
Die Stärken des vorliegenden Bändchens liegen in der knappen Darstellung eines vorübergehenden, nur kurz währenden beziehungsweise nie finalisierten Ausstattungszustandes der Kasseler Schlösser, durch den auch ein Politikwechsel nach innen und außen demonstriert werden sollte. Dabei wird vor einer interessierten breiteren Öffentlichkeit, an die sich die monografische Reihe der Kasseler Museen auch richtet, demonstriert, wie eine archivalische Überlieferung und ein Bestand an erhaltenen Objekten dazu beitragen, diese wichtige Episode nicht nur hessischer Geschichte und Kunstgeschichte sichtbar zu machen. Weitergehende Problematisierungen und Zuspitzungen allerdings, etwa im eben angedeuteten Sinne, unterbleiben. Dies ist zu bedauern, da gerade dadurch die Ergebnisse der Kunstgeschichte anschlussfähig für großräumigere Fragestellungen gemacht werden können.
Anmerkung:
[1] Siehe dazu: König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen (Ausstellungskatalog Kassel, Museum Fridericianum 2008) (= Kataloge der Museumslandschaft Hessen Kassel, Bd. 39), München 2008. Vgl. dazu die Rezension von Ingeborg Schnelling-Reinicke, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 (15.10.2008), URL: http://www.sehepunkte.de/2008/10/14344.html.
Claudia Hattendorff