Janice Mann: Romanesque Architecture and Its Sculptural Decoration in Christian Spain, 1000 - 1120. Exploring Frontiers and Defining Identities, Toronto: University of Toronto Press 2009, XIII + 241 S., ISBN 978-0-8020-9324-0, USD 75,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Arthur Kingsleigh Porter und seine Zeitgenossen entfesselten Anfang des 20. Jahrhunderts die Diskussion über die Chronologie der romanischen Kirchen in Frankreich und Spanien. Sie arbeiteten mit dem Werkzeugkasten der Kunstgeschichte: Beschreibung, Stilvergleich und Quellenstudium. Dass dieser Werkzeugkasten Grenzen hat, zeigt Janice Mann in ihrem 2009 erschienenen Buch 'Romanesque Architecture and Its Sculptural Decoration in Christian Spain, 1000-1120. Exploring Frontiers and Defining Identities'. Gleichzeitig überschreitet sie diese Grenzen: Sie betritt den Boden spanischer Kunstgeschichte neu und betrachtet politische, territoriale, religiöse und kulturelle Grenzen, die die romanische Architektur Spaniens entscheidend beeinflusst haben.
Nach Manns Erkenntnissen nutzten die christlichen Herrscher Spaniens kurz nach 1000 n.Chr. die neue, romanische Architektur und Skulptur für ihre Zwecke: der Demonstration von Macht und von einem aufblühenden Christentum auf spanischem Boden im Angesicht der untergehenden islamischen Herrschaft. Sie entwickelten eine eigene Formensprache. Mann stellt diese Formensprache vor und spürt den Faktoren und Voraussetzungen nach, die deren Entwicklung geprägt haben.
In den fünf Kapiteln ihres Buchs beleuchtet Mann verschiedene solcher Faktoren. Während sie im ersten Kapitel den Forschungsstand referiert, ist bereits das zweite Kapitel das Kernkapitel des Buchs, das die Herangehens- und Denkweise der Autorin zeigt. Prominente Bauten wie San Millán de Cogolla, San Juan de la Peña und San Salvador de Leire haben eine Formensprache gemeinsam, als deren Patron Mann Sancho el Mayor (reg. 1004-35), den ersten christlichen König nach der islamischen Herrschaft, sieht. Während nach Mann Kunsthistoriker dazu tendierten, die frühen spanischen Kirchen in eine Reihe mit den romanischen Kirchen nördlich der Pyrenäen zu setzen, erkennt Mann in ihnen Stein gewordene spanische Geschichte: Sancho el Mayor nutzte Architektur und Skulptur als Sprache zur Demonstration von Macht und Legitimation seiner von Gott gegebenen Herrschaft. Dass auch die Damen des spanischen Königshauses aktiv bei der Gestaltung der frühen romanischen Bauten beteiligt waren, um Macht und Tugendhaftigkeit zu erweisen, beschreibt Mann im dritten Kapitel. Burgkirchen wie San Pedro der Burg Loarre sind das Thema des vierten Kapitels. König Sancho Ramirez (reg. 1064-94) und seine Familie bauten Kirchen im Verbund mit imponierenden Burgen auf exponierten hohen Stellen in der Landschaft. Sie waren weithin sichtbar und oft nur wenige Kilometer entfernt von muslimischen Siedlungen. Die Zugänge verliefen meist unterhalb der Kirche, eine Abschreckung der Feinde und eine Versicherung für die Eigenen: Gott schützt die Burg, den König und sein Reich. Schließlich bespricht Mann im fünften Kapitel romanische Portale. Im Mittelpunkt steht das Tympanon von San Pedro in Jaca und seine Verwandten, seine Interpretation und damit seine Funktion für den König. Die politische Situation beeinflusste die Darstellungen auf kirchlichen Portalen und war somit auch ein wichtiger Faktor in der Ausbildung der romanischen Bildsprache in Spanien.
In Sachen Forschungsgeschichte konzentriert sich Mann auf frühe Forscher wie Arthur Kingsleigh Porter, Walter Muir Whitehill, Kenneth Conant und Meyer Schapiro. Die spätere Literatur gibt Mann im Überblick wieder. Bis heute befasse man sich mit dem Streit, ob die Romanik in Spanien oder Frankreich entstanden sei. Man habe aber nicht erkannt, dass die romanischen Bauten in Spanien als Manifestation einer noch unsicheren Grenze zwischen christlichen und islamischen Territorien gelten müssten. Den Gedanken an politische Einflüsse auf die spanischen Kunst hätten schon amerikanische Autoren wie John Williams, Jerrilynn Dodd, Julie Harris, Cynthia Robinson und Elizabeth Valdez del Alamo verfolgt. Europäische Autoren außer den spanischen nennt Mann in diesem Zusammenhang kaum, obwohl sie sie nutzt und zitiert. Allerdings stammt die bedeutendere europäische Literatur zur spanischen Romanik zum Großteil noch aus den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts; genannt seien Pedro Palol, Marcel Durliat und Oskar Beyer. Den spanischen Autoren wirft Mann vor, sich mehr auf traditionelle Aspekte wie Stil und Ikonografie zu stützen, doch würde in neuester Zeit der historische Kontext der Werke stärker beachtet. An den amerikanischen Autoren kritisiert Mann, dass sie bei ihrem Blick auf das multikulturelle Umfeld Spaniens nicht so weit gingen, die Grenze als theoretisches Modell heranzuziehen.
Die Überlegung, dass sich politische und historische Ereignisse auf die Kunst auswirken, ist nicht neu, neu erscheinen aber die von Mann gebotene Ausführlichkeit und Komplexität. In jedem Kapitel des Buchs untersucht sie andere Faktoren. Durch diese Gliederung kommt es zu Überschneidungen und dadurch zu Wiederholungen, besonders in den Beschreibungen der Funktion und des Nutzens von Architektur und Skulptur für die Herrscher. Hier wünschte man sich ein anderes System beziehungsweise eine Komprimierung der Wiederholungen. Gewöhnungsbedürftig sind für den kunsthistorischen Leser die erzählenden, Spannung und Abenteuer implizierenden Kapitelüberschriften, die den Inhalt des jeweiligen Kapitels allerdings auf den Punkt bringen.
Mann arbeitet heraus, dass nicht nur die Geschehnisse, sondern auch das statische Phänomen von territorialen, kulturellen und religiösen Grenzen für die spanische Romanik von größter Bedeutung war. Sie führt ihre Untersuchungen an den unmittelbar nach der christlichen Machtübernahme neu gebauten oder veränderten Kirchen durch, was in dieser Zusammenstellung ebenfalls neu ist. Indem Manns Buch dem roten Faden der Grenzen, Grenzgebiete und Grenzüberschreitungen sowie der dadurch beeinflussten Identitätsbildung methodisch folgt, entsteht mehr als ein Überblickswerk der frühromanischen Architektur und Bauornamentik in Spanien. Die untersuchten Objekte hat die Autorin außerdem in mehr als 70 Fotos, zwei Karten und drei Grundrissen dargestellt. Als kunsthistorische Bebilderung sind die Abbildungen mit Mängeln behaftet: teilweise unscharf, die Details nicht groß genug abgebildet, die Grundrisse nicht nach Osten ausgerichtet.
Ein grundsätzlicheres Problem ergibt sich aus den etwas konfusen Datierungen. Sie sind zunächst nicht der Autorin zur Last zu legen: sie hat sich mit den Primär- und Sekundärquellen auseinandergesetzt und gibt sie in Zusammenfassung wieder. Dass Mann in Bezug auf die frühesten Bauten einräumen muss, dass Sancho el Mayor nicht immer der unmittelbare Bauherr gewesen sein könne, Quellen gefälscht seien und Sancho nur hypothetisch mit einigen Bauten zu verbinden, stellt ihre These der funktionellen Formensprache Sanchos ins Kreuzfeuer der Kritik: Gehen die neuen Elemente dann tatsächlich auf Sanchos Intervention zurück? Nur wenn dies sachlich tatsächlich zutrifft, kann Manns These bestehen, dass er die Formensprache bewusst im Sinne einer Demonstration gegenüber seinen Gegnern entwickelt habe. Als Argument dafür steht Manns überzeugende Beobachtung, dass die einschlägigen Elemente der Formensprache an den verschiedensten zeitgenössischen Bauten erscheinen, also zur Zeit Sanchos entwickelt wurden, an seinen eigenen Bauten konsequent Anwendung fanden und somit direkt mit seiner Person verbunden sind.
Auf dem Fundament des bestehenden kunsthistorischen Wissens über Architektur und Skulptur des romanischen Spaniens konnte Mann ihre weiterführenden Fragen entwickeln, die Zusammenhänge der Umstände und der Bauten untereinander nachvollziehen und neue Erkenntnisse aufdecken. Jedes Kapitel ihres Buchs beleuchtet die damaligen Geschehnisse aus einem anderen Blickwinkel. Die Ergebnisse aller Kapitel verbindet Mann untereinander und zeichnet so ein neues und komplexes Bild der damaligen historischen und politischen Entwicklung und deren Auswirkungen auf die romanische Kunst und Kultur Spaniens.
Juliane Schwoch