Martin Scheutz / Andrea Sommerlechner / Herwig Weigl u.a. (Hgg.): Quellen zur europäischen Spitalgeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Sources for the History of Hospitals in Medieval and Early Modern Europe (= Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 5), München: Oldenbourg 2010, 684 S., ISBN 978-3-486-59228-3, EUR 89,80
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Der vorliegende Band schließt als dritter Teil eine kleine Serie zur Spitalforschung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung ab. [1] Im Gegensatz zu den beiden vorausgehenden Abhandlungen, welche sich einer überblicksartigen Darstellung von europäischen Hospitälern widmen, stellt dieser dritte Band nun dezidiert Quellen zur europäischen Spitalgeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit selbst in den Vordergrund. Derartiges ist seitens der Forschung noch nicht vorgenommen worden. Mit einer solchen Ausrichtung beginnen jedoch bereits die Probleme und die Herausgebenden stellen die grundsätzliche "Machbarkeit einer 'Quellenkunde' des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spitals in Europa" (11) gleich zu Beginn der Einleitung selbst zur Diskussion. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens erfolgte dahingehend, dass die edierten Texte "den Bestand, den Forschungsstand, und die Besonderheiten der Quellen zur Spitalgeschichte in der jeweiligen Region in der jeweiligen Epoche gleichzeitig exemplarisch präsentieren und auf beschränkten Seiten unterbringen" sollten (11). Die ursprüngliche Überlegung, durch eine derartige Quellenedition den vorherigen Band zur Spitalgeschichte mit den dort präsentierten Ländern und Regionen zu ergänzen, erwies sich allerdings nur bedingt als umsetzbar, was nicht zuletzt der Bereitschaft der Autorinnen und Autoren zur Mitarbeit an dem Folgeprojekt geschuldet ist. Wenn demzufolge Kernregionen wie Frankreich und das Italien der Frühen Neuzeit fehlen, so konnte mit der Aufnahme Polens und Livlands zumindest der Blick nach Osten erweitert werden.
Nach einem chronologisch geordneten, regestartig aufgebauten Quellenverzeichnis (was die gezielte Suche sehr erleichtert) finden sich im Anschluss - wiederum analog zum vorhergehenden Band - 18 topografisch geordnete Beiträge. Diese beginnen im England des Hoch- und Spätmittelalters, schreiben sich über das deutsch-romanische Grenzgebiet fort, führen anschließend in den oberitalienischen Raum des Mittelalters und wenden sich über Österreich/Bayern und die schweizerischen Städte Bern und St. Gallen nach Hessen und Norddeutschland, sodann in den mittelalterlichen livländischen Raum mit den Städten Reval und Riga, schließlich über Breslau und Danzig nach Böhmen und Mähren, um im Ungarn des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zu enden. Der bereits im Band zum europäischen Spitalwesen geschlagene Bogen von Westen nach Osten wird auch hier deutlich. Im Gegensatz zu dieser topografischen "Rundreise" findet jedoch keine chronologisch fortschreitende Aneinanderreihung von Quellen für das jeweilige Gebiet statt, sondern die Auswahl der Texte hängt, neben der Quellenüberlieferung an sich (und der damit einhergehenden Ausprägung des Grades an Schriftlichkeit), von der Akzentsetzung der Autorinnen und Autoren ab. Visuelle Quellen, aber auch Ratsprotokolle und Reiseberichte wurden im Band bewusst ausgespart bzw. fielen dem "Zwang zur Auswahl" (13) zum Opfer.
Die einzelnen Beiträge folgen in ihrem Aufbau einem gleichmäßigen Schema. Sie führen zunächst in den Kontext der jeweiligen (Hospital-)Landschaft sowie der behandelten Epoche ein, stellen danach die ausgewählten Quellen vor, geben diese dann in Teilen oder vollständig in edierter Form wieder und versehen sie anschließend mit einem Kommentar.
Dabei wird deutlich, dass sich die Quellenlage für das europäische Spitalwesen in Mittelalter und früher Neuzeit als höchst heterogen erweist; zeichnet sie sich beispielsweise für den Rhein-Maas-Raum des 9. bis 16. Jahrhunderts durch reiche Überlieferung unterschiedlicher Quellentypen aus, so gilt für das urkundliche Material im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ungarn: "[it] cannot simply be considered 'the tip of the iceberg', but rather the core of it" (637).
In diesem Spannungsfeld zwischen der Fokussierung auf einige wenige Quellenstücke oder -auszüge und der Präsentation einer breiten textlichen Vielfalt ist der Band angesiedelt. Zu trennen ist dabei zwischen spitalinternem und spitalfremdem (Verwaltungs-)Schriftgut. Dazu zählen einerseits Urbare, Rechnungs- und Pfründbücher auf Seiten der Fürsorgeeinrichtungen sowie andererseits Grund- oder Stadtbücher und allgemeine Schriftstücke solcher Institutionen und Herrschaften, zu denen ein Spital gehörte und durch welche es verwaltet wurde. Des Weiteren finden sich beispielsweise Papst-, Herrscher- und Privaturkunden, Testamente, Schenkungen sowie deren Bestätigungen und Privilegien durch Herrschaftsträger, Spitalordnungen, Pfründverträge, Amtsantrittseide, Entscheide in Streitfällen und Bittgesuche verschiedener Art, aber auch ein Loblied (hier des Meistersingers Jörg Kienast auf die Institutionen der sozialen Fürsorge der Stadt Straßburg aus dem Jahr 1518) und Auszüge aus städtischen Chroniken. Die Herausgebenden erörtern auch die Frage der Repräsentativität der edierten Beispiele, können aber angesichts der überaus verschiedenartigen Quellenüberlieferung zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangen.
Hinsichtlich der inhaltlichen Vielfalt nimmt die Darstellung der "Lebenswelt" (24) der Insassen einen geräumigen Platz ein. Dazu gehört auch die Aufnahme von Bedürftigen in ein Hospital. Der Meinung der Herausgebenden, Bittgesuche seien aufgrund ihrer Mündlichkeit generell eher selten erhalten, ist gerade mit dem Argument der Verschriftlichung und des "Verwaltungsablaufes" einer solchen Supplikation von der Abfassung bis zum Aufnahme- oder Ablehnungsbefehl der das Hospital verwaltenden oder besitzenden Institution entgegenzutreten, [2] wie auch aus den Aktenläufen der hessischen Hohen Spitäler hervorgeht (471-478). Hier sind neben dem Aufnahmereskript des Landgrafen für das Hospital Haina aus dem Jahre 1782 das Gesuch des Bittstellenden selbst, ein Kirchenbucheintrag sowie verschiedene Gutachten erhalten, welche sowohl ein detailliertes Bild über das Verwaltungsprozedere im Vorfeld der Aufnahme des Petenten zeichnen als auch Einblicke in dessen Leben selbst gewähren.
Das mutige Unterfangen, sich zumindest in einem ersten Schritt den Quellen zur europäischen Spitalgeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit zu widmen, kann nur begrüßt werden. Hervorzuheben ist darüber hinaus die bewusst den Beitragenden überlassene Auswahl der präsentierten Texte, von denen eine Vielzahl zum ersten Mal überhaupt ediert wurde. Zu Recht halten die Herausgebenden fest, dass die gewählte Schematisierung: Auswahl einer Region/Epoche - inhaltliche Schwerpunktsetzung bezüglich dortiger Hospitalgeschichte - exemplarische Quellenauswahl und -kommentierung die Leserschaft mit der Frage nach einem gemeinsamen Nenner entlässt (13). Die Antwort liegt wohl in der Vielfalt des Hospitalwesens und seiner Quellenbestände selbst.
Für eine künftige Beschäftigung mit dem Thema Hospitalwesen bildet der Band einen wertvollen Überblick über die Quellenlandschaft verschiedener europäischer Regionen, dem - das bleibt zu hoffen - noch weitere folgen mögen. Die durchweg gelungene editorische Vereinheitlichung und das sorgfältige Lektorat runden den positiven Gesamteindruck ab.
Anmerkungen:
[1] Karl Brunner (Hg.): Europäische Spitäler. München 2007; Martin Schutz u.a. (Hgg.): Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hospital and Institutional Care in Medieval and Early Modern Europe . Wien / München 2008.
[2] Zur Analyse von Bittgesuchen zur Aufnahme in Hospitäler vgl. auch Wolfgang F. Reddich: Bürgerspital und Bischofstadt. Das Katharinen- und St. Elisabethspital in Bamberg vom 13.-18. Jahrhundert. Vergleichende Studie zu Struktur, Besitz und Herrschaft. Bamberg / Frankfurt O. 1998 und Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah: Spitäler in Dresden. Vom Wandel einer Institution (13. bis 16. Jahrhundert). Leipzig 2008.
Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah