Benedikt Mauer (Hg.): Barocke Herrschaft am Rhein um 1700. Kurfürst Johann Wilhelm II. und seine Zeit (= Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Düsseldorf; 20), Düsseldorf: Droste 2009, 271 S., ISBN 978-3-7700-1397-5, EUR 24,95
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Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz ist sicherlich derjenige frühneuzeitliche Herrscher, der - in der niederrheinischen Mundart liebevoll als "Jan Wellem" bezeichnet - im kollektiven Gedächtnis der heutigen Düsseldorfer am präsentesten ist. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er der letzte regierende Fürst war, der dauerhaft in der Rheinmetropole residierte, aber auch mit der schon von den Zeitgenossen registrierten Pracht, die er während seiner langen Regierungszeit (1690-1716) entfaltete und die seiner ehrgeizigen Reichs- und Außenpolitik entsprach - auch wenn von der kurfürstlichen Residenzstadt nach Krieg und Wiederaufbau wenig übriggeblieben ist.
Reichs- und Außenpolitik, vor allem aber die herrscherliche Repräsentation Johann Wilhelms stehen im Zentrum des anzuzeigenden Sammelbandes, der auf eine Tagung zurückgeht, die im Rahmen des "Jan-Wellem-Jahrs", das den 350. Geburtstag des Kurfürsten feierte, am 4. und 5. September 2008 unter Federführung des Stadtarchivs im Düsseldorfer Palais Wittgenstein stattfand. Die Tagung war interdisziplinär geprägt; besonders stark vertreten waren die Geschichte und die Kunstgeschichte. Diese Ausrichtung schlägt sich naturgemäß auch in den Tagungsakten nieder. Wie bei Sammelbänden üblich, sind das Gewicht und die Qualität der Einzelbeiträge durchaus unterschiedlich; zudem fällt es schwer, außer dem Thema "Johann Wilhelm" einen gemeinsamen Nenner auszumachen. Dies entspricht dem recht bescheidenen Ziel, das der Herausgeber in seiner kurzen Einführung nach einem knappen Forschungsüberblick skizziert: Angestrebt sei keine "kumulative Biographie", sondern eine Annäherung "von mehreren Seiten und Disziplinen" an die "Person des Kurfürsten" und die "(Kultur)geschichte seiner Zeit" (13). Daher erscheint es sinnvoll, den einzelnen Aufsätzen zumindest einen kurzen Blick zu gönnen, bevor abschließend der Gesamtband zu würdigen ist.
Den Reigen eröffnet ein kenntnisreicher Überblick über das Leben und die Politik Johann Wilhelms von Klaus Müller, mit einem Akzent auf der Reichs- und Außenpolitik, ein Thema, das, unter Einbeziehung anderer "rheinischer Barockfürsten", auch Jörg Engelbrecht behandelt. Während Engelbrecht die außenpolitischen Handlungsspielräume Johann Wilhelms als sehr begrenzt schildert und vor allem das Scheitern seiner "hochfliegenden Pläne" (129) herausstellt, gelangt Müller zu einer differenzierteren Sicht, indem er die aktuellen Forschungsergebnisse zur Zeremonialgeschichte aufgreift. Dem Streben Johann Wilhelms nach Rangerhöhung wird somit eine Rationalität zugebilligt (29), die es ermöglicht, seine Prachtentfaltung, die unter anderem in der Planung eines königlichen Schlosses ihren Ausdruck fand (31), in einem neuen Licht zu sehen.
Dieser Ansatz wird in dem Beitrag von André Krischer vertieft, der eindrucksvoll den "Mehrwert" der zeremonialgeschichtlichen Ansätze für das Verständnis der frühneuzeitlichen Staaten und Gesellschaften herausarbeitet. Zwar steht der Beitrag thematisch eher am Rande, da er sich fast ausschließlich mit der Repräsentation der Kölner Kurfürsten und der Reichsstadt Köln beschäftigt. Er kommt gleichwohl zu wichtigen Ergebnissen, wie dem Befund, dass die rheinischen Höfe nicht auf die Domestizierung des Adels ausgerichtet waren (39f.), und der Erkenntnis, dass die Untertanen mehr eine "amorphe Zuschauerkulisse" (55) als die primären Adressaten der fürstlichen Repräsentation waren, die sich nämlich in erster Linie an "le Monde", "die Welt des Adels und der Herrschaftsträger" (56), richtete. Diese und andere Beobachtungen dürften sich auch auf Johann Wilhelm übertragen lassen. Einige der folgenden Aufsätze lassen erahnen, wie fruchtbar es sein könnte, zeremonialgeschichtliche Ansätze systematisch auf dessen Regierung anzuwenden.
So insbesondere die Studie von Martin Miersch, der die "Strategien der Herrschaftsinszenierung" der drei wittelsbachischen Kurfürsten und Zeitgenossen Max Emanuel von Bayern, Joseph Clemens von Köln und Johann Wilhelm von der Pfalz anhand der Porträt- und Bildpropaganda vergleicht. Dies kann auf 20 Seiten nur beispielhaft geschehen, aber dennoch erweist sich auch dieser Beitrag weiterführend. Bemerkenswert ist unter anderem der Befund, dass der Reichsapfel als Symbol des zwischen den beiden Wittelsbacher Kurlinien umstrittenen Erztruchsessenamts auch ikonographisch zum "'Zankapfel' zwischen Jan Wellem und Max Emanuel" wurde (94). Weitere Einblicke in die kurfürstliche Repräsentation liefern Bettina Baumgärtel mit ihren Ausführungen zur Düsseldorfer Gemäldegalerie und insbesondere der Erwerbung der "Himmelfahrt Mariae" von Peter Paul Rubens und Inge Zacher mit ihrer Aufstellung der Geschenke der kurfürstlichen Familie an Düsseldorfer Kirchen und Kapellen. Die Autorin kann belegen, in welchem Maß diese Gaben Ausdruck der tiefen Frömmigkeit des Herrscherhauses waren und gleichzeitig der Herrscherrepräsentation dienten. Zugleich wird deutlich, wie wenig von den sakralen Kunstwerken heute noch vor Ort vorhanden ist bzw. im Umkehrschluss, um wie viel prächtiger als im heutigen Düsseldorf nachvollziehbar man sich die kurfürstliche Repräsentation vorstellen muss - auch wenn die Mittel Johann Wilhelms begrenzt waren. Zusätzlich eingeworben wurde ein Beitrag von Eduard J. Belser zu dem heute im Historischen Museum Basel befindlichen Prunkschlitten des Kurfürsten.
Das wichtige Thema des konfessionellen Profils der Pfalz-Neuburger behandelt Eric-Oliver Mader. Eine zentrale Rolle in seinen Ausführungen spielt die Konversion Wolfgang Wilhelms, des Großvaters von Johann Wilhelm, im Jahr 1613. Mader kann zeigen, dass, im Unterschied zu anderen Konvertiten, nicht die Toleranz gegenüber den ehemaligen Glaubensgenossen, sondern ein prononcierter Katholizismus für die Neuburger prägend wurde. Konversionen bzw. Konversionsbemühungen spielten auch in der weiteren Familiengeschichte eine beachtliche Rolle. "In der Gesamtschau" attestiert der Verfasser mit gutem Grund dem Haus Pfalz-Neuburg "ein hohes Maß an Deckungsgleichheit von konfessions- und säkularpolitischen Zielen" (115). Abgerundet wird der Band durch einen historiographiegeschichtlichen Beitrag von Chiara de Manzini Himmrich zu Hermine Kühn-Steinhausen, der Biographin der zweiten Gemahlin Johann Wilhelms Anna Maria Luisa de' Medici.
Der Band leistet einen wichtigen Beitrag zur längst noch nicht abgeschlossenen Erforschung des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz und seiner Regierung. Bedeutsam ist unter anderem, dass er das Thema der pfalz-neuburgischen Zeremonialgeschichte im Zeitalter Jan Wellems als Forschungsdesiderat identifiziert und zugleich Wege zur Aufarbeitung dieses Themas aufzeigt. Bewähren dürfte sich hier weiterhin die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaft und Kunstgeschichte; es wäre beispielsweise aber auch sinnvoll, die Musikwissenschaft ins Boot zu holen, wenn man etwa an die Düsseldorfer Hofoper denkt. Der mit zahlreichen qualitätsvollen Abbildungen versehene Sammelband könnte somit zu einem Ausgangspunkt für die weitere Johann Wilhelm-Forschung werden; erleichtert worden wäre die Arbeit mit den Texten, wenn diese durch ein Register erschlossen worden wären.
Matthias Schnettger