C. Scott Dixon / Dagmar Freist / Mark Greengrass (eds.): Living with Religious Diversity in Early Modern Europe (= St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot: Ashgate 2009, XIV + 301 S., ISBN 978-0-7546-6668-4, GBP 60,00
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Dagmar Freist: Glaube - Liebe - Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
C. Scott Dixon: The Reformation in Germany, Oxford: Blackwell 2002
C. Scott Dixon / Martina Fuchs (eds.): The Histories of Emperor Charles V. Nationale Perspektiven von Persönlichkeiten und Herrschaft, Münster: Aschendorff 2005
Nach langen Jahren der Konfessionalisierungs- und Etatismusdebatten werden zunehmend Praktiken religiöser Tolerierung, der Pluralität und Koexistenz in der Frühen Neuzeit erforscht. Dementsprechend rücken Konversionen, Mischehen oder Indifferentismus als Formen interkonfessionellen Lebens stärker in den Fokus. In "Living with Religious Diversity in Early Modern Europe", herausgegeben von Scott Dixon, Mark Greengrass und Dagmar Freist, nehmen diese Aspekte einen prominenten Platz bei der Entschlüsselung der religiösen Diversität ein. Zu beachten ist, dass der zentrale Begriff diversity in der deutschen Übertragung zwei leicht verschiedene Bedeutungen hat, die in die Analysen hineinspielen: zum einen meint es die Vielfältigkeit des konfessionellen Miteinanders, zum anderen die Ungleichheit, unter deren Bedingungen dies Miteinander stattfand. Den regionalen Fokus der Beiträge bilden England, Siebenbürgen, Frankreich, Wien, das Reich und die Niederlande, die mit vier Beiträgen ein stärkeres Gewicht erhalten. Hervorgegangen aus einer Tagung an der Universität Oldenburg 2007, vermittelt das Buch durch die für den Verlag Ashgate typische Kapitelstruktur mit substanzieller und nicht nur formaler Einleitung sowie einem zusammenfassenden Nachwort, ergänzt durch einen Index, einen konzisen Charakter und überzeugt, um dies vorwegzunehmen, vor allem durch die hohe Qualität der Einzelbeiträge. In seiner Einleitung formuliert Scott Dixon als deren Ziel, die Brücke zu spannen zwischen langfristigen konfessionellen Entwicklungsdynamiken und einer religiösen Kultur auf der Ebene gelebter Erfahrungen. Die Ideengeschichte der Toleranz gilt es durch eine Erzählung der religiösen Diversität zu ergänzen und danach zu fragen, wie die Ökumene des alltäglichen Lebens sich zwischen Konfliktpotential und pragmatischem Umgang miteinander ausgestaltete.
Aus einer niederländischen Perspektive fragt Willem Frijhoff, wie plural die religiösen Welten im frühneuzeitlichen Europa tatsächlich waren, und bietet damit eine hervorragenden Einstieg in die zentrale Perspektive des gesamten Buches. Frijhoff zeigt einen Perspektivwechsel an: Es gelte, die Homogenität innerhalb konfessioneller Gruppen zu hinterfragen und nicht mehr ausschließlich nach der Herausbildung von eindeutigen Identitäten zu suchen. Identität könne vielmehr als ein Marker verstanden werden, der aus Prozeduren der Selbstwahrnehmung und Fremdzuschreibung entsteht. Die niederländische Forschung ist in den letzten Jahren aus dem Fahrwasser der reformierten Historiographie herausgetreten und sieht in der Republik nicht länger die einheitliche calvinistische Nation. Es geht inzwischen nicht mehr nur um die Konflikthaftigkeit religiöser Differenzen, vielmehr darum, wie im frühneuzeitlichen Alltag angesichts dieser Unterschiede ein modus vivendi gesucht wurde.
Laufen Schemata stets Gefahr allzu holzschnittartig Komplexität zu reduzieren, bietet die Aufstellung von Mustern religiöser Diversität unter der Bedingung konfessioneller Mehrheitsgesellschaften dennoch einen heuristischen Mehrwert. So unterscheidet Wayne Te Brake verschiedene Mechanismen des Überdauerns religiöser Diversität: Er nennt Geheimhaltung (secrecy), Dissimulation, Kasuistik (casuistry), private Bildungsformen, Indifferenz, Stillschweigen (connivance) und Tolerierung. Als Muster religiöser Koexistenz erkennt er Unterdrückung, konfessionelle Parität, konfessionelle Privilegierung und ad-hoc-Toleranz. Ob diese Muster tatsächlich auch auf andere Epochen und Kulturkreise anwendbar sind, bleibt fraglich, obgleich sie für die Frühneuzeitforschung einen hohen Differenzierungsgewinn in Aussicht stellen. Stärker als Ter Brakes Heuristik wird allerdings in den weiteren Aufsätzen Frijhoffs Begriff des Identitätsmarkers aufgegriffen.
So fragt Maria Crăciun nach der Bedeutung von Kunst und deren Funktion und Verwendung im Kirchenraum als Marker konfessioneller Zugehörigkeit im Siebenbürgen des 17. Jahrhunderts. In einem zunehmend heterogenen religiösen Umfeld, in dem die Lutheraner mit Calvinisten, Unitariern und Täufern konkurrierten, unterschied die bloße Anwesenheit von Altargemälden und anderen - manchmal großzügigen - Ausstattungen den lutherischen Kirchenraum vom reformierten. Die Kunst des 17. Jahrhunderts tendierte, so die Autorin, zu einer Lesart des Sakraments der Eucharistie, das orthodoxen Lutheranern ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber Calvinisten jeglicher Couleur bot.
Der Konversion als einem Aspekt der Anpassung an religiös-politische Umstände widmet sich Keith Luria am Beispiel Frankreichs. Der konfessionelle Konflikt war ein Wettstreit um Überzeugungen, der mit Konversionen gewonnen oder verloren wurde. Die Assoziation von Monarchie und Kirche, von König und Christus war ein Topos, den viele katholischen Konversionserzählungen bedienten, gingen doch hier das Erzielen von Glaubwürdigkeit und Bestätigung der Herrschaftstreue Hand in Hand. Als Teil der interkonfessionellen Polemik lieferten Konversionsberichte zugleich eine Vorlage für die richtige Konversion zur jeweiligen Seite und wiesen dabei ähnliche Muster auf. Die Überzeugung (conscience) wurde auf beiden Seiten als der innere Kern der Identität eines Einzelnen gesehen, dessen gewissenhafte und tiefgehende Überprüfung dazu befähigte, moralische Entscheidungen zu treffen. Auch im Falle mehrfacher Konversion galt es, die eigentlich unveränderte Überzeugung im Sinne der gewählten Konfession darzulegen.
Karl Vocelka bietet einen Überblick über die Formen der Volksfrömmigkeit in der Habsburgermonarchie und in Wien nach dem katholischen Sieg am Weißen Berg 1620. Die Wiener Frömmigkeit basierte auf drei Säulen: der Verehrung des Kruzifix und des Altarsakraments sowie der Anbetung der heiligen Jungfrau. Eine besondere Stellung hatte dabei die Fronleichnamsprozession unter Mitwirkung des Kaisers. Das Stiftungswesen spielte eine große Rolle. In den meisten Pfarreien und Klöstern hatten sich drei bis vier Bruderschaften gebildet und fungierten als Motoren der Organisation von Prozessionen, Gebeten und Pilgerfahrten. Inwiefern sich hier religiöse Vielfalt im Sinne der Konzeption des Bandes ausprägte, bleibt offen. Vocelka nimmt jedenfalls Abstand von der verführerischen historiographischen Konstruktion einer spontanen Volksfrömmigkeit, die unabhängig von einem elitären Religionsverständnis ablief. Er betont stattdessen den Einfluss der Obrigkeiten auf die Ausgestaltung der lokalen Frömmigkeit.
Die Gegenüberstellung von Volks- versus Elitenkultur hinterfragt ebenso Peter Marshall, indem er den Austausch zweier scheinbar fremder Welten in Beziehung setzt: die Welt der Elfen und den Protestantismus im frühneuzeitlichen England. Elfen und dergleichen Zwischenwesen stellten eine Anomalie in der christlichen Kosmologie dar, der Glaube an sie wurde von Zeit zu Zeit entsprechend verurteilt. Zugleich lieferten sie ein reichhaltiges Inventar zur Stigmatisierung des konfessionellen Gegners. So räsonniert etwa Hobbes, dass die geistliche Macht des Papstes ebenso wie das Reich der Elfen ein Hirngespinst der Unwissenden sei. Unter protestantischen Autoren war es common sense, den Glauben an Elfen als abergläubisches Relikt anzusehen. Das Verschwinden der Elfen ist wiederum selbst eine Trope, die sich bereits bei Chaucer findet. Nichtsdestotrotz schienen sie nicht ganz zu verschwinden und zeigten sich weder inkompatibel mit noch notwendigerweise antithetisch gegenüber dem protestantischen Christentum. Die unorthodoxe Geschichte der Elfen macht vorsichtig gegenüber der Annahme, dass Kulturvermittlung immer nach dem top-down-Modell funktioniert.
Alexandra Walsham untersucht die interkonfessionellen Beziehungen im nachreformatorischen England anhand des Gesundheits- und Medizindiskurses, dessen Semantik einen bisher wenig reflektierten Bestandteil in der Zuschreibung religiöser Devianz darstellt. Krankheit (sickness) war dabei eine gängige Analogie für Sünde und Häresie. Diese wurden beschrieben als Krankheiten, die Einzelne befallen und die Gemeinschaft der Gläubigen von innen zerfressen können. Die Verfolgung religiöser Abweichler, in England vornehmlich der Katholiken, kam dabei in der Argumentation einer medizinischen Therapie gleich. Im Rahmen der Unterscheidung von notwendiger und freiwilliger Interaktion mit Katholiken sei, so der protestantische Reformator Peter Martyr Vermigli 1555, der Aufenthalt von Gläubigen in der Gegenwart der Unkorrigierbaren auf das Mindestmaß zivilen Umgangs zu beschränken. Zwar waren in der Praxis Religion,Gesundheit und Heilung eng miteinander verwoben. Doch lässt sich kaum bei einzelnen Ärzten nachweisen, dass sie nur für Mitglieder ihres eigenen Glaubens praktizierten. Walsham wirft hier zwar mehr Fragen auf als sie beantwortet. Sie gibt aber der Forschung auf, verstärkt nach dem Zusammenhang von konfessioneller Prägung und den Praktiken des Arzt-Patientenverhältnisses in der Frühen Neuzeit zu fragen.
Judith Pollmann unterstreicht für die Niederlande des 16. Jahrhunderts den Zusammenhang zwischen Revolte, Reformation und der gemeente, die begrifflich sowohl die gesamte Stadtgemeinde als auch diejenigen erfasste, die nicht Teil der herrschenden Eliten waren, aber im Rahmen von Gilden, Rhetorikerkammern und Bürgerwehren das Rückgrat der Gemeinde bildeten. Dabei geht sie der katholischen Reaktion auf calvinistische Aneignungen und Vereinnahmungen der gemeente nach. Die Marginalisierung der Katholiken in der städtischen Gemeinschaft erzwang zugleich neue Bindungen untereinander. Einen Umschlagpunkt bilden hier die 1580er Jahre, die auf katholischer Seite die Konfessionalität als Identitätsmarker stärkten. Um von einem Angriff des Calvinismus nicht nur auf den Sakralkörper der Stadt, sondern auch auf ihren Sozialkörper (body social) zu sprechen, musste die politische Rhetorik anstatt allgemeine christliche Begriffe wie Frieden, Einheit oder Moral zu gebrauchen konfessionelle Bahnen einschlagen und den Katholizismus mit den Werten der gemeente identifizieren. Mit dem Fall Antwerpens 1585 und der Trennung der habsburgischen von den nördlichen Niederlanden wurde im Süden die Religion zum Gradmesser für die Akzeptanz habsburgischer Herrschaft.
Dagmar Freist und Benjamin Kaplan beschäftigen interkonfessionelle Mischehen im 18. Jahrhundert. Die Familie als die kleinste Einheit religiöser Koexistenz war zugleich Kreuzungspunkt verschiedener Interessen ihrer Mitglieder, der Nachbarn und Geistlicher, die den konfessionellen Status beeinflussen wollten. Eine Zunahme von Konflikten in und um Mischehen Ausgang des 17. Jahrhunderts könne verstanden werden als Ergebnis einer wachsenden Bedeutung religiöser Selbstbestimmung im Bewusstsein der legalen Rechte und weltlicher Versuche, den kirchlichen Einfluss auf Eheangelegenheit zu beschränken. Die von Freist im Bistum Osnabrück untersuchten Heiratsverträge verweisen bis ins 19. Jahrhundert hinein auf individuelle Gestaltungsspielräume des häuslichen religiösen Lebens. Die Gemeinde Ankum war offiziell katholisch, hatte aber bis zu 50 Prozent Lutheraner. Unter den Bedingungen religiöser Pluralität war hier sowohl die in Mischehen praktizierte Erfahrung der Koexistenz als auch die Konflikthaftigkeit, die sich in Beschwerden, Konversionsversuchen und der konfessionellen Markierung öffentlicher und privater Räume zeigt, Ausdruck der Ambivalenz und Komplexität, die eine konfessionelle Differenz in soziale Beziehungen brachte.
Kaplan greift für seine Analysen auf Berichte zurück, die 1737 im Auftrag der Synode von Südholland durch die Konsistorien erstellt wurden, um Gewinn und Verlust von Gemeindemitgliedern durch Mischehen bemessen zu können. Auffällig ist die Vielfalt der bei den 613 erfassten Paaren beobachteten Phänomene. Streitpunkt und regelungsbedürftig war die Erziehung der Kinder. Wie im Ankumer Beispiel bei Freist waren Verträge oder Absprachen üblich, die die Partner vor der Heirat getroffen hatten. Nach einem gängigen Modell folgten die Söhne dem Vater, die Töchter der Mutter. Nach dem Tod eines Partners erfolgte die Erziehung im Glauben des verbliebenen Elternteils. 71,6 Prozent der Konversionen entfielen auf Frauen. Die reformierte Kirche verlor allerdings prozentual mehr Kinder an den Katholizismus, wenn die Mutter Katholikin war, was Kaplan in ausführlichen Graphiken demonstriert. Die konsistoriale Perspektive der Quellen macht es verständlich, dass ein vom Ehepartner ausgeübter Konversionsdruck nur aktenkundig wurde, wenn er von katholischer Seite ausging. Als signifikant erscheint, dass Kinder aus Mischehen nicht selten dazu tendierten, selbst eine solche einzugehen. Dies macht sie aber nicht zu Mustern der Tolerierung, ebenso wenig wie die Konversion oder die Erziehung der Kinder in einem Bekenntnis ein Ausdruck von Intoleranz ist.
Die Wahrscheinlichkeit Verwandte zu haben, die einer anderen Konfession oder religiösen Strömung angehörten, war im 16. Jahrhundert vor allem außerhalb der Niederlande ungleich größer, waren doch zunächst alle Protestanten Konvertiten. Ausgehend von diesem Umstand hält Bertrand Forclaz auf der Basis von Konsistorial- und städtischen Akten für Utrecht die konfessionellen Grenzen für durchlässiger als häufig angenommen. Die familiäre Solidarität überwog religiöse Differenzen. Für die katholische Minderheit ebenso wie die öffentliche reformierte Kirche konstatiert Forclaz dann im 17. Jahrhundert eine Tendenz zu religiöser Endogamie und rigideren konfessionellen Grenzen, mit denen Mischehen entsprechend stärker sanktioniert wurden, ohne völlig obsolet zu werden.
Einen anderen Aspekt der Bewahrung konfessioneller Identität bietet Dorothea Nolde am Beispiel des lutherischen Prinzen und späteren Herzog von Württemberg, Ludwig Friedrich, auf seiner Kavaliersreise durch Frankreich 1608/09. Als religiöser Beistand begleitete ihn der Prediger Christoph Brunn. Die Ausübung des lutherischen Glaubens war auch nach dem Edikt von Nantes (1598) in Frankreich untersagt und konnte nur bei Standespersonen toleriert werden. Die spätere Veröffentlichung von Brunns Reisepredigten unterstreicht den ostentativen öffentlichen Charakter, den die Ausübung der eigenen, 'wahren' Religion für Lutheraner gerade in Frankreich oder England besaß. Der darin geäußerten deutlichen Kritik am Katholizismus - abgeschwächter am Calvinismus - steht die Einschärfung des württembergischen Katechismus gegenüber.
Auch wenn der letzte Beitrag sich nicht ganz in das Konzept einpassen will, stellt der Band in der von der Konfessionalisierungsdebatte geprägten deutschen Forschungslandschaft insgesamt eine Bereicherung und eine Annäherung an die Vielfalt der Phänomene und Praktiken religiösen Lebens und Glaubens dar. Wie Mark Greengrass in seinem Nachwort resümmiert, haben die einzelnen Kapitel nicht viel Unmittelbares zur Konfessionalisierung zu sagen, wenngleich die hier in Anschlag gebrachte gelebte religious diversity ebenso den Aufbau konfessioneller Identitäten mit einschließt. Ein Gewinn ist dabei, dass in den meisten Beiträgen das Toleranz-Intoleranz-Schema kritisch reflektiert wird und Koexistenz weder automatisch das eine noch das andere bedeuten muss. Zum Vorteil gerät es, dass die Beiträge nicht in klassischer Weise nach katholischen, lutherischen, reformierten oder anderen Minderheiten und Mehrheiten sortiert wurden und so der Blick geschärft wird für die alltägliche religiöse Vielfalt des frühneuzeitlichen Europa. Ein stärkerer Einbezug osteuropäischer Forschung oder z.B. von Juden oder Conversos als Teil dieser Vielfalt erscheint allerdings notwendig. Doch in weiten Teilen gelingt es dem Sammelband, in den Worten von Wayne Te Brake, "to embolden historians to reconsider traditional assumptions about the phenomenon of religious diversity in early-modern Europe" (76).
Eric Piltz