Kirsten Dickhaut / Jörn Steigerwald / Birgit Wagner (Hgg.): Soziale und ästhetische Praxis der höfischen Fest-Kultur im 16. und 17. Jahrhundert (= culturae; 1), Wiesbaden: Harrassowitz 2009, 253 S., ISBN 978-3-447-05919-0, EUR 54,00
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Stefanie Zaun / Daniela Watzke / Jörn Steigerwald (Hgg.): Imagination und Sexualität. Pathologien der Einbildungskraft im medizinischen Diskurs der frühen Neuzeit, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2004
Birgit Wagner / Christopher F. Laferl: Anspruch auf das Wort. Geschlecht, Wissen und Schreiben im 17. Jahrhundert. Suor Maria Celeste und Sor Juana Inés de la Cruz, Wien: WUV 2002
Jörn Steigerwald / Burkhard Meyer-Sickendiek (Hgg.): Das Theater der Zärtlichkeit. Affektkultur und Inszenierungsstrategien in Tragödie und Komödie des vorbürgerlichen Zeitalters (1630-1760), Wiesbaden: Harrassowitz 2020
Frühneuzeitliche Festkulturen sind an den sozialen Raum der höfischen Gesellschaft gebunden. Die sozialen und ästhetisierten Regularien des höfischen Miteinanders skizzieren den Rahmen, in dem sich die Hofgesellschaft positionieren muss. Der Fokus des - literaturwissenschaftlich ausgerichteten - Bandes liegt auf den historiographischen bzw. literarischen Beschreibungen höfischer Feste und ihren charakteristischen Funktionen. Die Beschreibungen transportieren auf der einen Seite das "Image" einer spezifischen Hofkultur, auf der anderen Seite fungieren sie als Gedächtnisspeicher für eben diesen Hof und wirken daher sowohl prospektiv als auch retrospektiv.
Der vorliegende "Konzeptband" ist das Ergebnis einer Sektionssitzung des Wiener Romanistentags 2007, die gemeinsam von den Herausgebern geleitet wurde; für die Publikation wurden zudem weitere Beiträge gewonnen. Die insgesamt elf Aufsätze (einer davon in französischer Sprache) legen ihren Schwerpunkt auf die Analyse von schriftlichen Darstellungen der frühneuzeitlichen Festkultur der Romania. Den Ansatzpunkt bildet jeweils ein konkretes, wahlweise ein historisch verbürgtes oder literarisch erfundenes Fest, das entweder Anlass für eine Festbeschreibung war oder aber den Ausgangspunkt einer literarischen Inszenierung bildete. Als theoretische Grundlage gemeinsam ist den Untersuchungen die im Anschluss an Michel de Certeau vorgenommene Unterscheidung von herrschaftlicher Strategie und subjektivem Taktieren.
Einleitend benennt Jörn Steigerwald zwei zentrale Aspekte, welche die literaturwissenschaftliche Perspektive auf die Festkultur der Romania auf je eigene Weise zu strukturieren vermögen. Zunächst wäre zu fragen, inwieweit die aktuellen Forschungen zur höfischen Gesellschaft im Allgemeinen und der höfischen Festkultur im Besonderen von der jeweiligen Forschungstradition geprägt sind. Daran angebunden hat sich der Blick auf die am Fest Beteiligten und ihre jeweilige Rolle zu richten. Steigerwald betont, dass vorrangig die literarischen Inszenierungstechniken und Erzählweisen sozialer und ästhetischer Praxis der höfischen Fest-Kultur zu analysieren und erst über diesen Weg auch die historischen, anthropologischen und soziologischen Modelle zu erarbeiten seien, auf die in den zugrunde gelegten literarischen Texten rekurriert wird.
Auf die Grundbegriffe zur Analyse höfischer Kultur in der Frühen Neuzeit - Fest, Symbol und Zeremoniell - wirft Marian Füssel sein Augenmerk, indem er die Begriffe "Fest und Alltag", "Symbol und Zeichen" sowie "Zeremoniell und Ritual" vorstellt und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin beleuchtet, um schließlich zu einigen thesenhaften Beobachtungen zu Geschichtlichkeit und Wandel symbolischer Kommunikation bei Hofe zu kommen. Füssel hebt hervor, dass eine moderne Kulturgeschichte des Hofes nicht in Beschreibungen von Festen und Zeremonien aufgehe. "Kultur" des Hofes sei vielmehr die Sinndimension der Gesamtheit der Handlungs-, Deutungs- und Repräsentationsweisen höfischer Interaktion. Insofern könne höfische Kultur auch nicht auf literarische Repräsentationen reduziert werden, obwohl gerade sie ein besonders differenziertes Medium der Selbstbeschreibung und Beobachtung darstellten.
Die Beiträge der zweiten Sektion beschäftigen sich mit den Darstellungsformen der sozialen und ästhetischen Festpraxis in der Frühen Neuzeit. Andrea Sommer-Mathis zeigt anhand von Festbeschreibungen im iberoromanischen Raum auf, dass der Textsorte "Festbeschreibung" unter den Druckmedien der Frühen Neuzeit eine ganz spezielle Funktion zukommt: Zwischen Historiographie und Literatur angesiedelt, waren die Berichte über die Feste integrativer Bestandteil der sozialen und ästhetischen Praxis der höfischen Festkultur, welche die Aufgabe hatten, die Medieninszenierungen des Festes in das kollektive Gedächtnis zu überführen. Auch beinhalten die Beschreibungen nicht nur den Ablauf der Festlichkeiten, sondern halten ebenso die dafür geschaffenen Werke der ephemeren Architektur mit großer Akribie fest und produzieren so eigene Erinnerungsorte.
In der spanischen Literaturgeschichtsschreibung stellt der 1552 publizierte Reisebericht des Juan Cristóbal Calvete de Estrellas El felicísimo viaje del muy alto y muy poderoso príncipe don Felipe einen der bekanntesten Texte der Frühen Neuzeit dar. Wegen der Fülle an beschriebenen Festen und des Reichtums an festlichen Ausdrucksformen gilt er als Mustersammlung für spanische Festbeschreibungen der Renaissance. Die Charakteristika und Grenzen dieser Festbeschreibung zeigt Christopher F. Laferl auf. "Musikalische Mimesis in den Intermedien in Girolamo Baraglis La Pelegrina (1589) und in Emilio del Cavalieres Rappresentatione di Anima et di Corpo (1600)" untersucht Jan Söffner. Die Intermedien markierten den Höhepunkt der Hochzeit Ferdinandos de Medici mit Christine de Lorraine. Cavalieres Oper, die zugleich die erste geistliche Oper der Musikgeschichte darstellt, wurde erstmals in Rom zum Karneval des Heiligen Jahres 1600 aufgeführt; ihr eignen Züge sowohl des Festlichen als auch des Höfischen.
Den Festberichten des André Félibien, der 1667 zum offiziellen Festgeschichtsschreiber am Hofe Ludwigs XIV. bestellt wurde, widmet sich Andreas Gipper. Erst in der Inszenierung der Inszenierung findet das Schauspiel königlicher Machtfülle und Machtvollkommenheit seine Vollendung. Wie kaum das Werk eines anderen Zeitgenossen ist das Œvre des Architekten und Kunsttheoretikers Félibien mit dieser Aufgabe verbunden. Ob in der Darstellung des Schlosses Versailles, ob in der Beschreibung und Deutung der in ihm enthaltenen Kunstwerke oder aber in der Beschreibung der großen Hoffeste der 1660er und 1670er Jahre, stets steht das Werk Félibiens, so Gipper, exklusiv und höchst offiziell im Dienste monarchischer Machtrepräsentation. Dass bei der Inszenierung von Hoffesten auch ästhetische und genealogisch legitimierte Rückbindungen an antike Mythen zu leisten waren, zeigt Helen Watanabe-O'Kelly anhand der besonderen Rolle der Amazonen in der Praxis der deutschen Festkultur auf.
Den Abschluss des Sammelbandes bilden vier Beiträge, welche auf der Grundlage von Einzelinterpretationen von Texten die Praxeologie der höfischen Festkultur rekonstruieren. Untersucht werden unter anderem die 1505 von dem Venezianer Pietro Bembo verfasste idealisierende und allegorische Darstellung Gli Asolani (Birgit Wagner), Molières Tartuffe ou l'Imposteur (Kirsten Dickhaut) und die dialogische Festbeschreibung der Madeleine de Scudéry zur Zeit Louis XIV. (Jörn Steigerwald).
Zu betonen ist, dass alle Beiträge keine historiographische Quellenarbeit leisten, sondern aus literaturwissenschaftlicher Sicht die fiktionalen Inszenierungen sozialer und ästhetischer Praxis der höfischen Festkultur analysieren. Als solche führen sie über bisherige Forschungen zur Festkultur insofern hinaus, als sie nicht nur die soziale oder die ästhetische Praxis in den Blick nehmen, sondern deren wechselseitiges Verhältnis. Auf unterschiedliche Weise machen sie die Prozesshaftigkeit der Machtregulierungen anschaulich und legen die Wirkungsmechanismen der höfischen Gesellschaft offen. Als kleiner Kritikpunkt sei angemerkt, dass ein Autorenverzeichnis wünschenswert gewesen wäre.
Nicole Bickhoff