Rezension über:

Rita Haub / Paul Oberholzer: Matteo Ricci und der Kaiser von China. Jesuitenmission im Reich der Mitte, Würzburg: Echter Verlag 2010, 160 S., ISBN 978-3-429-03226-5, EUR 14,00
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Rezension von:
Sven Trakulhun
Universitärer Forschungsschwerpunkt Asien und Europa, Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Sven Trakulhun: Rezension von: Rita Haub / Paul Oberholzer: Matteo Ricci und der Kaiser von China. Jesuitenmission im Reich der Mitte, Würzburg: Echter Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 2 [15.02.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/02/17925.html


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Rita Haub / Paul Oberholzer: Matteo Ricci und der Kaiser von China

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Am 11. Mai 2010 jährte sich der Tod des jesuitischen Missionars Matteo Ricci (1552-1610) zum 400. Mal. Dieses Jubiläum war der Anlass, ein Portrait des bemerkenswerten Missionspioniers zu publizieren, das an die Anfänge der christlichen Mission im Reich der Mitte im späten 16. und im 17. Jahrhundert erinnern soll.

In gewisser Weise passt Matteo Ricci in unsere Zeit, vielleicht sogar besser als in seine eigene. Er war ein Monument alteuropäischer Gelehrsamkeit, ein Grenzgänger und Vermittler zwischen den Kulturen, ein Weltbürger und Botschafter Europas, ein Vorläufer aus den Kindertagen der Globalisierung. Ricci gilt als Begründer der modernen Chinamission und Vordenker einer damals neuen, bevorzugt in Asien erprobten Missionsmethodik - der Akkommodation. Ziel dieses Ansatzes war es, durch die Überzeugungskraft westlicher Gelehrsamkeit und ganz erhebliche sprachliche, soziale und intellektuelle Anpassungsleistungen an die chinesische Kultur Zugang zur einheimischen Oberschicht zu finden. Denn wem es gelang, den chinesischen Kaiser und seinen Hof zum Christentum zu bekehren, so hofften jedenfalls die Jesuiten, der würde bald ganz China für den Katholizismus gewinnen. Der Vatikan in Rom verfolgte ihre Aktivitäten sehr aufmerksam, hatte aber auch ein offenes Ohr für die Gegner der zweifellos besonderen Missionsmethoden der Jesuiten. Sie beklagten eine zu weitgehende Anpassung der Missionare und hatten damit auf lange Sicht auch Erfolg. Der sogenannte Ritenstreit, der sich an der Tolerierung der chinesischen Ahnenverehrung durch die Jesuiten entzündet hatte, beendete das europäisch-chinesische Einvernehmen. Nach mehr als hundert Jahren kontroverser Diskussionen in Europa verbot Papst Benedikt XIV. 1742 chinesischen Christen die Teilnahme an den Riten zur Ahnen- und Konfuziusverehrung. Der Yongzheng-Kaiser reagierte auf dieses Zeugnis katholischer Engstirnigkeit mit Unverständnis und Empörung und verbot das Christentum in China noch im selben Jahr.

In diesem Buch blickt der Jesuitenorden auf diesen schillernden Teil seiner Vergangenheit zurück. Eine einleitende Grußbotschaft Papst Benedikts XVI. verleiht ihm gleichsam offiziellen Charakter. Darin lobt der Heilige Vater Matteo Riccis "[...] weitblickende Arbeit der Inkulturation des Christentums in China" (10) und stellt ihn in die Tradition der Kirchenväter. Rita Haub und Paul Oberholzer SJ führen in zwei Teilen in den historischen Kontext ein. Ein drittes Kapitel aus der Feder des Wiener Missionsprokurators Hans Tschiggerl SJ schildert die schwierigen Bedingungen der katholischen Mission im Land aus heutiger Sicht. Eine kurze Skizze der globalen Tätigkeiten der Jesuitenmissionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (überschrieben mit "Die Welt ist unser Haus") auf den letzten Seiten des Buches betreibt Werbung in eigener Sache. Den Würzburger Echter-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, als katholisch-kirchentreu zu bezeichnen ist sicherlich keine Übertreibung.

Man darf also keine ganz unparteiische Auseinandersetzung mit den Motiven und historischen Leistungen der ersten Jesuiten in China erwarten. China lag nun einmal "als noch unbebautes Ackerland vor ihnen", wie es an einer Stelle heißt (101). Auch wer sich für die sinologischen oder ideengeschichtlichen Feinheiten des chinesisch-europäischen Kulturaustauschs in dieser Epoche interessiert, wird bei diesem Band kaum auf seine Kosten kommen. Haub und Oberholzer ignorieren in ihren Ausführungen sogar den weitaus größten Teil der relevanten Forschungsliteratur. Das Buch richtet sich auch kaum an ein entsprechend vorgebildetes wissenschaftliches Publikum, sondern weit eher an Leserinnen und Leser ohne einschlägige Vorkenntnisse, die sich in diese faszinierende Episode europäisch-asiatischer Geschichte einführen lassen wollen. Diesem Zweck kann das Buch durchaus dienen.

Der einführende Essay von Rita Haub resümiert Leben und Wirken Matteo Riccis. Sie bietet dabei eine biographische Skizze Matteo Riccis und einen ersten Überblick über die Geschichte der Anfänge der jesuitischen Chinamission. Dabei wird auch deutlich, wie stark zu jener Zeit das chinesische Interesse an westlicher Wissenschaft war, aber ebenso, wie schwer den Jesuiten demgegenüber der Transfer religiöser Ideen gefallen ist. Matteo Ricci und seinen Mitstreitern gelang es, ästhetische, technologische, intellektuelle und religiöse Grenzen zu überschreiten und dabei bemerkenswerte Austauschprozesse zwischen China und dem "Westen" in Gang zu setzen. Die unterschiedlichen Ebenen des Austauschs waren jedoch nicht völlig gleichrangig, sondern unterschiedlich stabil oder prekär, und vor allem unterschiedlich gut beherrschbar. Französische Sextanten und portugiesische Kanonen waren für Chinesen unbestreitbar nützlich. Die westliche Ikonographie wurde als Stilelement in die chinesische Kunst eingebaut. Über Mathematik und Geographie konnte man sich streiten, und man tat es auch, jedoch ohne dabei über politische Fallstricke zu stolpern. Religiöse, moralische oder sittliche Überzeugungen hingegen konnten ihre Überlegenheit gegenüber konkurrierenden autochthonen Denkstilen nur sehr schwer unter Beweis stellen, denn sie waren kaum eingrenzbar. In ihnen liefen in China alle Fäden jenes Gewebes aus Zeichen, Diskursen, symbolischen Formen und lebensweltlich eingeübten Traditionen zusammen, das wir in seiner Gesamtheit "Kultur" nennen.

War die Jesuitenmission in China demnach notwendig ein Fehlschlag? Wer ein Gelingen der jesuitischen Inkulturationsbemühungen allein an der Zahl der erretteten Seelen bemisst, sollte sich in dieser Hinsicht tatsächlich keine Illusionen machen. Oberholzers Bilanz der Chinamission im zweiten Teil des Buches fällt dementsprechend nüchtern aus: Als Ricci 1610 in Peking starb, hinterließ er eine Gemeinde von etwa 2.500 Christen. Um 1700 verzeichnete man etwa 200.000 Christen, was zwar auf den ersten Blick ganz passabel aussieht, strenggenommen aber nur einem Anteil von etwa 0,16% der Bevölkerung entsprach. Eine religionsgeschichtliche Epochenwende sieht anders aus.

Die Enttäuschung über den quantitativ geringen Erfolg der Mission ist dem Buch anzumerken, ein Hauch von Melancholie durchweht die Seiten. Oberholzer urteilt dabei durchaus realistisch über die Möglichkeiten und Grenzen der Akkommodationsmethode Matteo Riccis und seiner Mitstreiter. Weder in der späten Ming-Zeit noch unter der Q'ing-Dynastie hätte das Christentum wirklich in China Fuß fassen können. Selbst unter optimalen Bedingungen einer von einheimischem Widerstand und innerkirchlichen Positionskämpfen unbehinderten Glaubenverbreitung, resümiert Oberholzer zu Recht, wäre eine mehr als bloß punktuelle Implementierung des Christentums in China wohl nicht gelungen.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sicher war die Zahl an Konvertiten zu klein, um eine substantielle Verbreitung des Christentums zu ermöglichen, wie Oberholzer betont. Eine Rolle dürfte aber auch die Art der Aneignung des fremden Glaubens an sich gespielt haben. Die intellektuelle Atmosphäre im China der späten Ming-Zeit war günstig für synkretistische Experimente. Manche konfuzianische Gelehrte bedienten sich buddhistischer Meditationstechniken, andere hatten taoistische Lehren mit konfuzianischen Prinzipien verbunden. Dabei handelte es sich freilich nicht um die Suche nach einer Alternative zum Konfuzianismus, sei es als ethische Grundhaltung oder als Staatsprinzip. Im Gegenteil: Ziel war es, die vielfachen Überlagerungen jahrhundertealter Traditionen zu durchdringen und zu den Wurzeln der Lehre des Konfuzius zurückzufinden. Im Ringen um die richtige Interpretation der Klassiker wurde das Christentum zu einem zusätzlichen Reservoir für die philosophischen und staatspolitischen Debatten der chinesischen Literaten. Im Transferprozess kam es zu Akzentumstellungen und nur selektiven, häufig auch rein utilitaristischen Adaptionen. Eine universalistische Religion wie die katholische, die "unkontaminiert" bleiben wollte, musste an diesen Bedingungen scheitern.

Wer eine kurze Einführung in Leben und Werk Matteo Riccis und die frühen Abschnitte der jesuitisch-katholischen Mission in China sucht, mag zu diesem Buch greifen, das zudem auch ansprechend illustriert ist. Seine hochkirchliche Tendenz ist legitim und gehört zum Gesamtbild, es ersetzt aber ein Standardwerk wie zum Beispiel David Mungellos Curious Land (Stuttgart 1985) nicht. Wer sich darüber hinaus auch für die Bedeutung kultureller Austauschprozesse interessiert, die sich, wie man sagt, "hinter dem Rücken der Akteure" abgespielt haben, wird bei Haub und Oberholzer kaum fündig. Was die frühneuzeitliche Jesuitenmission in ihrem Gelingen und Scheitern für uns heute jenseits religionspolitischer Interessen noch bedeutsam macht, wird in ihrem Buch darum nur unvollständig sichtbar.

Sven Trakulhun