Rezension über:

Till Jansen: Theodor von Mopsuestia, De incarnatione. Überlieferung und Christologie der griechischen und lateinischen Fragmente einschließlich Textausgabe (= Patristische Texte und Studien; Bd. 65), Berlin: de Gruyter 2009, XII + 311 S., ISBN 978-3-11-021862-6, EUR 99,95
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Rezension von:
Peter Bruns
Institut für Katholische Theologie, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Peter Bruns: Rezension von: Till Jansen: Theodor von Mopsuestia, De incarnatione. Überlieferung und Christologie der griechischen und lateinischen Fragmente einschließlich Textausgabe, Berlin: de Gruyter 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/17540.html


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Till Jansen: Theodor von Mopsuestia, De incarnatione

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An Monographien zu Theodor von Mopsuestia, dem herausragenden Exegeten der sog. "Antiochenischen Schule" herrscht wahrhaft kein Mangel, was für das eine oder andere Werk immer noch fehlt, ist die kritische Edition. Wer sich bisher rasch über die griechischen Fragmente zu Theodors heftig umstrittenen Werk De incarnatione informieren wollte, der griff zu Swetes handlicher Ausgabe des Pauluskommentars und fand im Appendix einen Nachdruck jener unkritischen editio princeps, welche seinerzeit Angelo Mai besorgt hatte. Eine weitere gelehrte Arbeit, jene des Oxforder Jesuiten Brian E. Daley zu Leontius von Byzanz, konnte von der Fachwelt nicht rezipiert werden, da diese zwar 1978 fertiggestellt, aber nur auf Mikrofilm publiziert wurde. Von einer Drucklegung im Corpus Christianorum Series Graeca darf sich die Fachwelt nicht nur einen kritischen Text des Leontius, sondern auch Aufschlüsse über die textliche Überlieferung des Theodor von Mopsuestia erhoffen. Das unstrittige Verdienst dieser vorliegenden Studie ist es, um das Ergebnis bereits vorwegzunehmen, erstmalig einen kritischen Text der Theodor-Fragmente (209-291) unter besonderer Berücksichtigung der griechischen Überlieferung der Leontius-Werke zu bieten. Was die Datierung von De incarnatione anbelangt, schlägt der Verfasser nicht ohne guten Grund (154) einen nicht näher bekannten Zeitraum nach der Abfassung der Katechetischen Homilien vor. Als lehrhaftes, nicht exegetisches Werk (für den Bibelkommentar gelten bei Theodor eigene Gesetze) bieten sich die Homilien geradezu an, die systematische Theologie des Bischofs von Mopsuestia zu erörtern.

Bei der Überlieferung der Fragmente De incarnatione unterscheidet der Autor (129-136) vier Phasen: 1. Der Ausbruch des Streits um Theodor kurz nach seinem Tod. - 2. Die Collatio cum Severianis 532. - 3. Die das II. (nicht das V., wohl aber das V. Ökumenische) Konzil von Konstantinopel vorbereitenden Schriften, zusammengestellt von Leontius und Innocentius. - 4. Das II. Constantinopolitanum (553) und die davon abhängigen Lehrschreiben der Päpste Vigilius und Pelagius. Zweifelsohne hat die Kontroverse zwischen Kyrill und Nestorius erheblich zu einem Ansehensverlust Theodors beigetragen. Der Alexandriner hat mit feinem Gespür für die Schwachstellen in Theodors dogmatischem Hauptwerk in dem Bischof von Mopsuestia den Nestorius ante Nestorium erblicken wollen. Proclus' Tomus ad Armenios bezog dann auch noch die Orientalen in den Streit hinein und sorgte für die Gegenstimmung im Klerus. Der armenische Faden wird von unserem Autor allerdings nicht weiter verfolgt. Der Mönchsbischof Rabbula von Edessa verhalf dem Andenken Kyrills zum Sieg im syrischen Hinterland. Es beginnt nun die Hochzeit der großen theologischen Florilegien, mit denen neben der Hl. Schrift der Väterbeweis für die rechtgläubige Lehre geführt wird. Die zweite Phase ist durch eine undurchsichtige Quellenlage gekennzeichnet. Für die Unterredungen mit den abständigen Severianern hatte Kaiser Justinian ein Dossier in Auftrag geben lassen, in dem sich auch einzelne inkriminierte Sätze Theodors fanden. Hier kommt die syrische Überlieferung ins Spiel (Ps-Zacharias Rhetor); obwohl es nicht zu einer Einigung zwischen Monophysiten und Chalcedoniern kam, wurde die diphysitische Christologie Theodors nochmals publizistisch beschädigt. Leider scheint der Autor des Syrischen (und des Armenischen) nicht mächtig, so dass er die Forschungsergebnisse der Grande Dame der deutschen Syrologie, Luise Abramowski, ungeprüft übernehmen muss. Überhaupt ist der Ausfall der syrischen Tradition, und zwar sowohl der monophysitischen wie auch der diphysitischen, im Falle Theodor aufs heftigste zu beklagen. Es hat bei den Ostsyrern eine komplette Übersetzung von De incarnatione gegeben, doch ist das eine Manuskript im Ersten Weltkrieg beim Kurdenaufstand verlorengegangen, ein anderes wegen Tintenfraß (BM add. 14669) unleserlich geworden. Gleichwohl wäre noch von der Forschung die Sisyphusarbeit zu leisten, die gesamte auf uns gekommene ostsyrische Literatur auf Fragmente aus den Theodor-Werken abzuklopfen. Während in der vierten Phase Theodor auf dem II. Constantinopolitanum in der Reichskirche feierlich verurteilt wurde, ging seine Rezeption außerhalb des Byzantinischen Reiches bei den Sasaniden ebenso unverhindert weiter, wie auch im gotischen Spanien das Ketzergericht niemals vollstreckt wurde. So erhält die lateinische Überlieferung - neben der orientalischen und dem griechischen "Urtext" - ihr besonderes Gewicht. In diesem Zusammenhang sind die Namen Facundus, Pelagius und auch Vigilius zu nennen, der schließlich als Papst einen gewissen Schwenk vollzog. So ergibt sich ein recht buntes Puzzle, bei dem unser Autor einige Teilchen zusammenfügen und einige wenige weiße Flecken auf der theologischen Landkarte des sechsten Jahrhunderts zudecken konnte.

Freilich zeigt der Verfasser mit der Edition und Übersetzung der Fragmente nicht nur philologische Kompetenz. Da die Untersuchung der Erlangung des theologischen Doktors diente, war eine Auseinandersetzung mit der Christologie Theodors unerlässlich. An diesem Punkte entstehen indes die größten Schwierigkeiten. Denn welches Bild gibt die fragmentarische Überlieferung von De incarnatione dem Betrachter preis? Kann das Ganze eines christologischen "Systems" überhaupt in Fragmenten erfasst werden? Der Verfasser kann auf diese Fragen keine schlüssigen Antworten geben, die über den Kenntnisstand der traditionellen Theodor-Forschung wesentlich hinausgehen. Jedoch stehen seine Ausführungen hinsichtlich De incarnatione auf einem breiteren und soliden philologischen Fundament als noch zu Swete's Zeiten. Nach wie vor problematisch bleibt Theodors Konzeption einer Einigung der Naturen "gemäß dem Prosopon" (198ff). Die Einheit der Person ist jedenfalls keine ontologische (197), aber was ist sie dann? Was erkennt der christliche Glaube in Christus und was betet der Liturge an? Offensichtlich eine Wirklichkeit, die nicht wirklich ist, d.h. Inkarnation hat bei Theodor nicht stattgefunden. Die postume Verurteilung durch die Kirche wird trotz der zugegebenermaßen durchaus verzwickten Überlieferungslage im Nachhinein mehr als verständlich. Kyrill, Leontius und andere Kritiker haben diese Schwachstellen der Theodorschen Christologie und Soteriologie treffend erkannt und nicht zu Unrecht bekämpft. Überhaupt besitzt Theodors Christologie ihre Stärke eigentlich in der Widerlegung ihrer Gegner, sprich der Arianer und der Apollinaristen. In diesem Punkte erweist sich Theodor eher als Autor des vierten Jahrhunderts, der unter der veränderten theologischen Gemengelage des fünften Jahrhunderts im Umfeld von Ephesus und Chalcedon zunehmend weniger verstanden und schließlich gänzlich verurteilt wurde. Aufs Ganze gesehen, fehlt dem Christus des Theodor, wie es aus den Fragmenten hervorgeht, die ontisch-dynamische Subjekteinheit des fleischgewordenen Gottlogos, weshalb man nicht mit dem Verfasser (200) von einer "gottmenschlichen Person" reden sollte, die es als solche in Theodors streng diphysitischem System gar nicht gibt und die mit dem Prosopon-Begriff nur recht unvollkommen beschrieben werden kann.

Fazit: Eine philologisch solide und theologiegeschichtlich höchst anregende Studie, die jedem Dogmengeschichtler nur dringend empfohlen werden kann.

Peter Bruns