Christoph Baumberger: Gebaute Zeichen. Eine Symboltheorie der Architektur (= LOGOS. Studien zur Logik, Sprachphilosophie und Metaphysik; Bd. 16), Heusenstamm: ontos Verlag 2010, 558 S., ISBN 978-3-86838-069-9, EUR 129,00
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Konrad Ottenheym / Monique Chatenet / Krista De Jonge (eds.): Public Buildings in Early Modern Europe, Turnhout: Brepols 2010
Heiko Laß: Jagd- und Lustschlösser. Kunst und Kultur zweier landesherrlicher Bauaufgaben. Dargestellt an thüringischen Bauten des 17. und 18. Jahrhunderts, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006
Die an der Universität Zürich angenommene Promotionsarbeit des Philosophen Christoph Baumberger kann als dezidiert interdisziplinäres Projekt gelten, da sie unter anderem von dem Kunsthistoriker Philip Ursprung begutachtet wurde. Dennoch wird der zunächst unauffällige, etwas über 550 Seiten umfassende Band dem kunsthistorischen Leser durch einen eklatanten Kontrast zu seiner Disziplin auffallen. Statt das Kunstwerk oder dessen historischen und hermeneutischen Kontext in den Mittelpunkt zu rücken, verwendet der Autor das einzelne Objekt sehr bewusst nur als Prüfstein für seine Thesen sowie zu deren Veranschaulichung. Statt aufwändiger Farbreproduktionen setzt Baumberger als gelernter Hochbauzeichner auf eigenhändige, in sehr kleinem Format reproduzierte Skizzen. Statt des üblichen umfänglichen Apparates an Fußnoten und Bibliografie sind die entsprechenden Verweise äußerst knapp gehalten, eine Diskussion findet im Text, nicht in den Anmerkungen statt. Der größte Unterschied manifestiert sich jedoch im vorgetragenen Anspruch. Die im Titel aufgeführte Symboltheorie ist hier wörtlich zu verstehen und wird in selbstbewusster Weise in ihrer praktischen Relevanz erläutert.
Gegenüber den eher vorsichtigen Ansätzen der aktuellen Kunstgeschichte zielt der Autor explizit auf eine Theorie, die "allgemein, systematisch und neutral" (11) sei, also alle Epochen, Gattungen und Formen umfassen könne. Dabei geht er zwar von den Vorstellungen Nelson Goodmans und Catherine Z. Elgins aus, an denen er sich kritisch abarbeitet, oder die er gar zu rekonstruieren sucht. Dahinter steht jedoch nicht die Absicht einer Würdigung und historischen Kontextualisierung dieser Gedankengebäude, sondern im Gegenteil die Entwicklung eines allgemeingültigen Theorierahmens für die Beschreibung und Deutung von Architektur - und davon ausgehend auch anderer Kunstgattungen - als Symbol.
Der Anspruch der Theoriebildung wird zunächst auf der Ebene der Begrifflichkeiten und Argumentationsweise eingelöst. Gegenüber dem eher dialogischen Verhältnis von Objekt und Sprache im aktuellen kunsthistorischen Diskurs, in dem mit einzelnen Begriffen oder Begriffsclustern gerungen wird, hat Baumberger ein enges Raster aus zahlreichen Kategorien zum Ziel, die untereinander zu einem geradezu tektonischen System verbunden werden. Denotation, Exemplifikation, Ausdruck, Anspielung, Werkidentität und Persistenz bilden dabei einen Rahmen, innerhalb dessen feinteilig differenziert wird. Dabei bemüht sich der Autor sichtlich um eine Fundamentierung seiner Begriffe, wenn er sie voneinander abgrenzt, durch Vergleiche bestärkt oder gegen Alternativen verteidigt. Die Argumentation ist in begriffskritischer Weise äußerst transparent, bisweilen von fast zermürbender Akribie.
Die sorgfältige Arbeit mittels Differenzierungen und Beispielen macht zunächst deutlich, wie unreflektiert und problematisch der Umgang mit Kategorien wie Typus, Metapher oder Symbol in der Architekturgeschichte nicht selten ist. Gegenüber einer Disziplin, die eine problematische Nähe von Theoriebildung zum Architekturschaffen sucht - etwa als apologetische Aufwertung der architektonischen Praxis in der Postmoderne - kann und sollte die Schrift von Baumberger auch als Aufruf gelesen werden, die kritische Distanz zum Forschungsobjekt durch eine genuine Theoriebildung zu gewährleisten.
Eine Arbeit dieses Zuschnitts setzt sich einer Kritik von zahlreichen Seiten aus. Der mitunter scholastisch anmutende Aufbau aus Definitionen bzw. Explikationen, Widerlegungen, Listen und Respondenzen suggeriert eine tektonische Sicherheit des komplexen und geschlossenen Begriffsgebäudes, die angesichts dekonstruktivistischer und poststrukturalistischer Unschuldsverluste erstaunen mag. Konkret wird dieser Bruch spürbar, wenn Baumberger von der Ebene der Begriffsbildung auf diejenige der Baukunst wechselt. So ist auffällig, dass die Argumentation der auf die Bauten bezogenen Passagen weit weniger entschlossen ausfällt.
Während bei der Entwicklung der Begriffe notwendige und hinreichende Bedingungen geschieden werden sowie formallogische Argumentationsmuster Verwendung finden, ist Baumberger bezüglich der Architektur sprachlich weit offener, bisweilen lapidar (214, 314, 517). Auch lässt sich der Fokus auf den begriffsimmanenten, vornehmlich systematischen Aspekten der Zeichenhaftigkeit nicht immer durchhalten, die Fragen nach dem konkretem Diskurs oder der Pragmatik, nach der tatsächlichen Verwendung von Architektur und Begriffen holen den Autor immer wieder ein (33, 165, 483). Von Seiten der Kunstgeschichte und Architekturtheorie muss der Einwand vorgebracht werden, dass die Auswahl sowohl der Beispiele wie der Forschungspositionen - und die damit verbundene Vorstellung von Architektur - sich nicht unmittelbar erschließt. So wäre gerade zu fragen, wie die vorgeschlagene Symboltheorie auf den Bereich des Mittelalters übertragbar wäre, der nur selten erwähnt wird. Auch finden verwandte Debatten um Semantik, Typus oder Säulenordnungen nur sporadisch Eingang in die Argumentation.
Diese Kritik ist jedoch eher als charakteristisch kunsthistorischer Reflex zu verstehen, der Systematisierung einer äußerst vielfältigen und sperrigen Fülle von Phänomenen mit Skepsis zu begegnen, als dass sie den Wert der Arbeit bemisst. Baumberger kann auf der Basis von Goodman eine Vielzahl intelligenter Analysen und begrifflicher Umdeutungen entwickeln, die sich für zahlreiche dringende methodische Probleme der Architektur als relevant erweisen können. Als Beispiel mag die von Baumberger hervorgehobene Differenzierung von Denotation, Exemplifikation und Ausdruck dienen, die nicht nur zu einer Neubewertung von Konzepten wie architecture parlante oder Expressionismus auffordern, sondern auch auf den so ungeliebten und dennoch so omnipräsenten Begriff des Typus zielen. [1] So kann die Exemplifikation eines Gebäudetypus in der Terminologie von Baumberger als ein Oberbegriff dienen, der die kritische Reflexion des Typus durch den Architekten nicht ausschließt (183) sowie durch weitere Kategorien wie Exemplar oder Muster weiter differenziert werden kann, je nachdem, ob hier eine einzelne Eigenschaft oder eine Konjunktion mehrerer Eigenschaften exemplifiziert wird. Eine Stärke dieses Ansatzes besteht auch darin, ansonsten eher konkurrierend gebrauchte Vorstellungen wie Ausdruck oder Denotation in einem gemeinsamen theoretischen Gerüst zu verorten.
Mit der Publikation zu gebauten Zeichen hat Christoph Baumberger eine äußerst mutige, selbstbewusste und klar fokussierte Arbeit vorgelegt, die einen umfassenden Geltungsanspruch und systematische Dichte und Konsistenz mit einem stark eingegrenzten Spektrum an rezipierten Theorien und Objekten verbindet. Mag man von Seiten der Kunstgeschichte in diesem Band auch keine allgemein verbindliche Symboltheorie finden (und suchen wollen), so bietet er eine Fülle an wertvollen Beobachtungen, Differenzierungen und vor allem ebenso theoretisch fundierten wie unverbrauchten Begriffsbildungen, von denen sich viele für die Kunst- und Architekturgeschichte fruchtbar machen lassen.
Anmerkung:
[1] Stephan Albrecht: Against Building Typologie: Why a Town hall doesn't have to look like a Town Hall, in: Public Buildings in Early Modern Europe, hg. von Konrad Ottenheym u.a., Turnhout 2010, 93-104; Julian Jachmann: Enzyklopädische Architekturtypologie im 18. Jahrhundert: die 'Architectonischen Risse' von Anckermann, Hofmeister und Engelbrecht. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 35, 2008, 169-214.
Julian Jachmann