Rezension über:

Alexandre Cojannot (éd.): Viaggio del Cardinale Mazzarini a St Jean de Luz l'anno 1659. Un journal des négociations de la paix des Pyrénées par Atto Melani, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, 253 S., ISBN 978-90-5201-591-0, EUR 28,80
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Rezension von:
Sven Externbrink
Karl Jaspers Centre for Advanced Transcultural Studies, Universität Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Sven Externbrink: Rezension von: Alexandre Cojannot (éd.): Viaggio del Cardinale Mazzarini a St Jean de Luz l'anno 1659. Un journal des négociations de la paix des Pyrénées par Atto Melani, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/04/18425.html


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Alexandre Cojannot (éd.): Viaggio del Cardinale Mazzarini a St Jean de Luz l'anno 1659

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Während der Amtszeit Kardinals Mazarin (1643-1661) erreichte der französisch-italienische Kulturtransfer, der mit den Italienzügen Karls VIII. begonnen hatte, seinen letzten Höhepunkt. Mazarin holte nicht nur Familienmitglieder, sondern auch Künstler und Autoren und deren Werke nach Paris. Unter ihnen befand sich auch der 1626 in Pistoia in der Toskana geborene Kastrat Atto Melani, der an der dortigen Kathedrale zum Sänger ausgebildet worden war. Melani ging 1640 nach Venedig, wo er als Opernsänger debütierte, jedoch nicht lange blieb, sondern wenige Jahre später nach Florenz ging, wo ihn der Bruder des Großherzogs, Matthias, protegierte. In Florenz stieg er zu einer Berühmtheit auf, die das Interesse der Mäzene und Musikliebhaber außerhalb Italiens weckte: Eine erste Einladung Mazarins nach Frankreich erging1647, weitere folgten.

Als Melani 1656 erneut an den französischen Hof ging, kam nicht nur ein virtuoser Sänger, sondern ein vielseitig einsetzbarer Höfling, der bereits zuvor von Mazarin und den Medici mit diplomatischen Missionen betraut worden war. Somit ist er ein weiteres Beispiel für die zahlreichen Musiker-Diplomaten der Epoche, wie etwa der im Dienste der Hannoveraner stehende Agostino Steffani (1654-1728). Als Vertrauter Mazarins begleitete Melani den Kardinal auf seiner Reise zu den letzten Verhandlungen über den Frieden mit Spanien an den Fuß der Pyrenäen und hielt seine Eindrücke der Reise und der Verhandlungen in einem Tagebuch fest. Dass dieses "Journal" ihm überhaupt zugeschrieben werden konnte, verdankt sich einer einzigen Bemerkung darin, die Melani über eine frühere Mission in Mazarins Diensten fallen lässt (86-87).

Das Original des "Journals" befindet sich im Archiv des französischen Außenministeriums, und die Auswertung der Korrespondenz Melanis mit dem Staatssekretär Hugues de Lionne, der gemeinsam mit Mazarin und dem spanischen Minister Don Luis de Haro den Friedensschluss aushandelte, zeigt, dass es wahrscheinlich in den 1660er Jahren, nach Melanis Rückkehr nach Florenz, an Lionne kam. Melanis Korrespondenz mit dem Mediciprinzen Matthias über die Verhandlungen (Florenz, Staatsarchiv, 12) weist, so Cojannot, große Übereinstimmungen mit dem Tagebuch auf, so dass davon auszugehen sei, dass beide zur gleichen Zeit entstanden sind, bzw. dass das Tagebuch für die Abfassung der Briefe nach Florenz herangezogen wurde.

Melanis Tagebuch hat den Charakter eines Protokolls, in dem er alle Ereignisse festgehalten hat, die ihm von Wichtigkeit erschienen. Er nennt die Teilnehmer der französischen Delegation zu den Verhandlungen an der spanischen Grenze, die Etappen der Reise, Reaktionen der ausländischen Gesandten über den in Paris geschlossenen Vorvertrag, berichtet ausführlich über die protokollarischen und zeremoniellen Vorbereitungen für die Sitzungen auf der Fasaneninsel, über Einzelheiten der diskutierten Vertragsklauseln, über den Fortgang der Verhandlungen, oder über die Verhandlungssprachen, etwa dass Mazarin immer spanisch sprach, wenn er sich mit Don Luis Haro traf, da dieser weder Französisch noch Italienisch verstand. Hinzu kommen Überlegungen zu politischen Entwicklungen sowohl in Frankreich als auch in Europa.

Auch wenn der Tagungsort fern der großen Residenzen beider Kronen lag, fand unter den Anwesenden doch ein Wettbewerb der Gastfreundlichkeit statt. Jeder Franzose wurde in Spanien mit größtmöglicher Aufmerksamkeit empfangen (65), und umgekehrt gab Marschall Gramont dem Gefolge von Don Luis de Haro einen glänzenden Empfang bei dem "auf deutsche, statt auf französische oder spanische Art getrunken worden sei" (vi s'è bevuto piutosto all'uso d'Alemagna che di Francia e Spagna [68]). Überhaupt wurde der Verhandlungsort zu einem Treffpunkt von Gesandten aus ganz Europa: Beteiligte am Krieg aus Portugal und Italien sowie aus England und dem Alten Reich trafen am Fuße der Pyrenäen ein.

Melani beschränkte sich aber nicht nur auf die Konsequenzen des bevorstehenden Friedensschlusses für die europäischen Mächte, sondern deutete bereits die Folgen des Friedens für die innere Entwicklung Frankreichs an. Die Stimmung in der Bevölkerung, vor allem unter dem Adel, sei sehr schlecht, weiß Melani zu berichten: Familienoberhäupter mit mehreren Söhnen bedauerten den Frieden, da sie nun wieder ihre "arbeitslosen" Söhne versorgen müssten, und sie nicht mehr, ausgestattet mit einem Pferd und einem Degen, in den Krieg schicken könnten. Letztere bedauerten, dass sich ihre Karrierechancen verringerten. Nachdem man Mazarin die alleinige Verantwortung für den Krieg zugeschrieben habe, klage man ihn nun auch wegen des Friedenschlusses an (45). Außerdem rechne man nicht mit einer finanziellen Entlastung der Bevölkerung. Darüber hinaus stehen die Steuerpächter in der Kritik, und besonders Fouquets Ausgaben für den Bau seiner Paläste in St.-Mandé und Vaux-le-Vicomte werden scharf kritisiert.

Cojannot präsentiert das Original des Tagebuchs, geschrieben auf Italienisch, sowie eine französische Übersetzung. Der Kommentar lässt nicht viel zu wünschen übrig: Personen und Orte werden identifiziert und die Eintragungen Melanis, wenn nötig unter Heranziehung verschiedener Überlieferungen, kommentiert. Mit seiner sorgfältigen Edition legt Alexandre Cojannot eine Quelle vor, die einen vielseitigen Einblick in die Verhandlungspraxis bei Friedensschlüssen der Frühen Neuzeit ermöglicht. Seinen Reiz bezieht der Text nicht zuletzt daraus, dass nicht nur die konkreten Fragen des Friedensschlusses debattiert werden, sondern ein Panorama des Kontextes politischer Verhandlungen sichtbar wird. Auch kleine Editionen wie diese haben ihre Berechtigung, da sie neue Perspektiven eröffnen.

Sven Externbrink