Johann Kirchinger: Der Bauernrebell. Das Leben des streitbaren Landtagsabgeordneten Franz Wieland, Ökonom in Hierlbach, Post Straubing, Regensburg: Friedrich Pustet 2010, 288 S., 23 s/w-Abb., eine Kt., ISBN 978-3-7917-2271-9, EUR 22,00
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Johann Kirchinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Historische Theologie der Universität Regensburg, hat die erste Biographie über Franz Wieland (1850-1901) geschrieben, den markanten Präsidenten des Bayerischen Bauernbundes (1897-1901) und streitbaren bayerischen Landtagsabgeordneten (1897-1899). Über diesen wichtigen Vertreter der bayerischen Bauernbundsbewegung existiert bislang nur wenig Literatur, und dann nur im Zusammenhang allgemeiner Werke über die bayerische Bauernbundsbewegung. Er stand bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung im Schatten anderer Bayernbundspolitiker seiner Zeit, wie z. B. dem seines viel bekannteren Kontrahenten Georg Ratzinger (1844-1899), des Verfassers viel gelesener Werke christlich-sozial-konservativen Inhalts. Georg Ratzinger ist übrigens der Großonkel des gegenwärtigen Papstes.
So richtig ermöglicht wurde ein eigenes Buch über Franz Wieland erst 2007 durch den Fund seines Nachlasses bei Nachfahren seines Cousins. Kirchinger hat ihn gründlich ausgewertet und darüber hinaus noch viele Archiv- und Zeitungsstudien betrieben, so dass sein Buch in weiten Teilen aus neuen Originalquellen geschöpft ist.
Kirchinger zeichnet das Leben Franz Wielands von der Wiege bis zur Bahre sehr detailbeflissen nach und entwickelt ein kraftvolles Bild dieses viel umstrittenen und keinem Streit aus dem Weg gehenden, zuweilen recht derben und gerissenen, gleichwohl charismatischen Bauernbundpolitikers. Die Bauernvereinigungen kamen reichsweit 1893 als Protestbewegung gegen die liberale Handelspolitik des industrie- und wirtschaftsfreundlichen Bismarcknachfolgers Caprivi auf. Nicht zuletzt bayerisches Eigenstaatsbewusstsein verhinderte jedoch, dass in Bayern der von preußischen Großagrariern dominierte "Bund der Landwirte" Fuß fassen konnte. Stattdessen kam es zu Gründungen einer Vielzahl selbstständig agierender und sich in einem ständigen Wechselspiel von Auseinandersetzung und Annäherung befindender bayerischer Bauernvereinigungen, so 1893 zur Gründung des "Bundes der niederbayerischen Landwirte". Obwohl in diesem Verein nur zweiter Vorsitzender, war Franz Wieland von Anfang an die alles dominierende und prägende Figur. Sein Programm: Keine Geistlichen, keine Beamten, keine Adeligen, keine Doktoren und Professoren, sondern als Vertreter bäuerlicher Interessen: Nur echte Bauern, wie Wieland selber einer war. Aber was für einer! Geschäftstüchtig, immer auf seinen unmittelbaren Vorteil bedacht, selber ein Großbauer, aber auch ein Hofmetzger, der Bauernhöfe aufkaufte, sie zerlegte und mit Gewinn veräußerte, selbst seinen väterlichen Hof. Und ein Horizont, der nur eines kannte: Die eigenen wirtschaftlichen Interessen, die stets die Richtschnur für sein gesamtes politisches Denken waren. So wird Wieland vom Verfasser charakterisiert. Das Programm des Bundes der niederbayerischen Landwirte, sprich Wielands Programm, war damit gegen viele, eigentlich gegen alle gesellschaftlichen Gruppen gerichtet. Ein radikaler bäuerlicher Wirtschaftsegoismus kam in ihm in Reinform zum Ausdruck.
Das Programm war gleichermaßen entschieden gerichtet: 1. gegen den bayerischen Adel, der trotz 1848 immer noch überkommenen Bodenzins von den Bauern abforderte, solange diese ihn nicht ablösen konnten. Die Abschaffung des in der Tat anachronistischen Bodenzinses war eine der Hauptforderungen Wielands. 2. gegen die aufgeklärtes Wohlwollen vorgebende, jedoch etatistische bayerische Staatsbürokratie, die immer, wenn es darauf ankam, die bäuerlichen Interessen anderen unterordnete. Und 3. schließlich auch gegen das Zentrum, das zwar mit eigenen christlichen Bauernvereinen die katholischen Bauern ansprechen wollte - in wielandscher Sicht jedoch nur als Stimmvieh. Denn weil das Zentrum primär eine klassenübergreifende, konfessionell-katholische Partei war, konnte es nicht ausschließlich Sprachrohr bäuerlicher wirtschaftlicher Interessen sein, sondern musste im politischen Tagesgeschäft so manchen Kompromiss eingehen, auch auf Kosten bäuerlicher Anliegen.
All dies trug dazu bei, dass Wieland und mit ihm seine Bauernbundbewegung radikaldemokratischer Tendenzen bezichtigt wurden und der Bischof von Regensburg sogar einen Hirtenbrief gegen den im Übrigen persönlich glaubhaft religiös gebundenen Wieland verlesen ließ. Wieland eben durch und durch "Der Bauernrebell".
Der "Bund der niederbayerischen Bauern" fusionierte 1895 nach einigem intriganten Hin und Her mit den anderen bayerischen Bauernvereinigungen zum "Bayerischen Bauernbund", dem 1897 dann auch als letzte die oberbayerische Bauernvereinigung beitrat. Der Verfasser gibt das intrigante Hin und Her recht genüsslich-ausführlich und sehr drastisch quellenbelegt wieder. Die durchweg im Erzählduktus gehaltene Lektüre wird daher nicht nur Wissenschaftlern einigen Spaß bereiten. Und dem außerbayerischen Leser wird so nebenbei ein amüsanter Einblick in die von Deftigkeiten aller Art nicht arme Lebenswelt niederbayerischer Bauern und ihrer Standesvertreter gewährt, von denen einer - Wieland - immer bodenständig und bauernnah - ein Wirtshaus nicht nur zu seinem Stammlokal, sondern auch zu seinem Stammbüro gemacht hat, was übrigens mit gravierenden vereins-organisatorischen Mängeln einherging. Überhaupt spielt sich die Bauernbundbewegung viel in Wirtshäusern mit Krawall und Radau ab, aber auch in ländlichen Zeitungsorganen, die von würzigen Artikeln nur so strotzen und die Kirchner mit einem Anspruch auf Vollständigkeit ausführlich wiedergibt.
Genau hier könnte ein Kritikpunkt ansetzen: Kirchner hat eine gut zu lesende detailreiche Geschichtserzählung über Franz Wieland verfasst. Der Kritikpunkt ist nicht ein gut zu lesender wissenschaftlicher Erzählstil, sondern die vielen literarischen Ausschmückungen. Hier z. B. nur anlässlich Wielands Beerdigung: "Das lateinische Gebetsgemurmel der Geistlichen wurde von den knirschenden Kieselsteinen unter den genagelten Stiefeln der Bauern übertönt" (249). Wissenschaft in Reinform wird den Quellenbeleg für die "genagelten Stiefel" vermissen.
Vielleicht auch misslich: Bis auf das Schlusskapitel von knapp 6 Seiten "Bilanz eines kompromisslosen Lebens" nur wenig Einbettungen in allgemeine politische Zusammenhänge (z. B. in die industriefreundliche Handelspolitik des Reiches), wenig Strukturgegebenheiten (wie z. B. die lang anhaltende Krise der Landwirtschaft), fast gar keine Ausführungen über die wirtschaftliche und soziale Lage der bayerischen Bauern, die Wieland als Bauernbundführer vertreten will. Für die fehlenden übergreifenden Einbettungen auch bezeichnend: Keine Einleitung, geschweige denn eine wissenschaftsorientierte. Das nicht einmal dreiseitige Vorwort kombiniert allerdings die Danksagungen mit einem knappen Quellen- und Forschungsbericht.
Indes: Das Buch ist keine Dissertation, keine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit.
Vielleicht wollten der Verfasser (und der Verlag?) vor allem, dass das Buch gelesen wird. Dafür stehen die Aussichten gut, gerade weil das Buch so gemacht ist, wie es gemacht ist.
Fazit: Kirchner hat mit seiner viele neue Quellen erschließenden Biographie über Franz Wieland, einem wichtigen Führer des Bayerischen Bauernbundes, zweifelsohne eine Forschungslücke geschlossen - und gleichzeitig eine sehr gut lesbare, zuweilen recht unterhaltsame, deftige Milieustudie bäuerlicher Interessenvertretung im Bayern des ausgehenden 19. Jahrhunderts geschrieben.
Manfred Hanisch