Beatrice von Bismarck: Auftritt als Künstler. Funktionen eines Mythos (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek; Bd. 39), Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2010, 271 S., ISBN 978-3-86560-517-7, EUR 48,00
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Totgesagte leben bekanntlich länger. Und so kann es auch nicht verwundern, dass parallel und nach dem in den 1960er-Jahren ausgerufenen "Tod des Autors" sich die Konzeptionen von Künstlerschaft erneuern - interessanterweise und bei aller Veränderung im Rückgriff auf ältere Muster und Legitimationsstrategien. Diesen Rückgriffen geht Beatrice von Bismarck in ihrem neuen Buch "Auftritt als Künstler. Funktionen eines Mythos" in verschiedenen Fallstudien nach. Künstlerschaft entwirft sie dabei in der Spannung von Setzung und Durchsetzung, d.h. als eine Art beanspruchter Identität, die zwischen allen Beteiligten, Individuen wie Institutionen, immer wieder ausgehandelt werden muss.
Der allgemeine Rahmen, in dem sich von Bismarck bewegt, ist die Frage, wie sich Künstlerschaft in der Kunst nach 1960 konstituiert. Dabei nimmt die Autorin KünstlerInnen in den Blick, die die Fragen von Künstlertum explizit in ihren Werken thematisch machen. Dazu gehören u.a. Bruce Nauman, Dieter Roth, Lynda Benglis, Vito Acconci, Gilbert & George, Mike Kelley und Paul McCarthy, Elke Krystufek, Daniel Buren und Gerry Schum. Besonderes Augenmerk richtet von Bismarck auf die in der Aushandlung von Künstlerschaft künstlerseitig wirksamen Mythologeme: "Der Auftritt als Künstler", so die Autorin, "vollzieht sich als identitärer Prozess, der eigen- und fremdproduzierte Bilder gegeneinander abgleicht, sie in die jeweils prägenden historischen Kontexte verwebt und deren Anforderungen anpasst. Kennzeichnend für diese Formationsverläufe ist, dass sich in ihrem Netzwerk, einem grundierenden Muster gleich, mit großer Konstanz Topoi eines überzeitlichen, mythisch naturalisierten (und darin nahezu ausnahmslos männlich bestimmten) Künstlerbildes bis heute abzeichnen." (8) Zu den bekanntesten dieser Topoi zählen für die Autorin: nie versiegende Schöpferkraft, künstlerische Berufung, außeralltägliche Gaben sowie physisches oder psychisches Leiden für die Kunst.
Wichtig ist dabei aber zu betonen, dass es von Bismarck in ihrem Buch "weniger um die Freilegung des Mythischen im Kunstfeld der Gegenwart gehen [soll], als vielmehr um die Konstatierung einer selbstverständlichen Präsenz als Bestandteil auch aktueller Formationsprozesse von Künstlerbildern. Aspekte des Mythos haben in unterschiedlichen Praxisformen Anteil an den Aushandlungen von Künstlerschaft, lassen sich als Zeichen eines gesellschaftlichen Begehrens nach Ausserordentlichem und Überzeitlichen ebenso werten, wie sie als aktiv in den Positionierungsprozessen einsetzbare Bausteine zu behandeln sind." (8f.)
In diesem Ansatz folgt die Autorin der jüngeren Mythosforschung und den Anregungen, die sie durch Roland Barthes "Mythen des Alltags" erfahren hat. Überhaupt arbeitet sie mit französischem Besteck: das "Kunstfeld" bestimmt sie nach Bourdieu, in ihrem diskursanalytischen Vorgehen ist sie an Foucault orientiert, immer wieder kommt auch Lacan in der Kreuzung der Blicke zur Sprache. Die konkrete Herausarbeitung der Topoi erfolgt in einer Doppelstrategie: in eingehenden Diskussionen einzelner Werke und in der Beschäftigung mit der kunstkritischen wie kunsthistorischen Rezeption der genannten KünstlerInnen. Werke und Werkanalysen werden in den einzelnen Kapiteln (und in Wiederaufnahmen und Rückverweisen auch darüber hinaus) zu Leitfäden verschiedenster Kontextualisierungen: dem Zusammenhang mit anderen Werken der jeweiligen KünstlerIn und ihrer Verbindung zu Werk- und Themengruppen, dem Aufzeigen und der Entflechtung der in den Arbeiten wirksamen multiplen Kunstfelddiskurse, der Einbettung in zeitgenössische kunsttheoretische Fragestellungen wie in länger laufende historische Linien.
Werk- und Diskursanalysen dienen von Bismarck dazu, diejenigen Topoi von Künstlerschaft in den Blick zu nehmen, die in Prozessen künstlerischer Selbstdeutung und der Aufnahme dieser Selbstdeutungen in der Rezeption wirksam sind. Und aus dieser Fragestellung bezieht das Buch auch seine Spannung: Welche Topoi sind bei den Altmeistern der Gegenwartskunst im Spiele und welchen Strategien folgen Künstlerinnen in ihrer Konstitution von Künstlerschaft?
Die Antworten, die die Autorin gibt, sind exemplarisch und vor allem an der Künstlergeneration orientiert, die in den 1930er- und 1940er-Jahren geboren wurde. Die zeitlichen "Ausreißer" sind einerseits Renée Green (*1959) und Elke Krystufek (*1970), andererseits Paul Gauguin, dessen Selbststilisierung den historischen Auftakt des Buches bildet. Ihm folgt im zweiten Teil eine eingehende Beschäftigung mit Bruce Nauman, der mit seiner Einsicht "Kunst ist, was ein Künstler tut" (12), paradigmatisch Fragen der Künstlerschaft in seiner künstlerischen Praxis und ihren Werkformen zum Thema macht. Orte und Verfahren, die Nauman dazu einsetzt - das Atelier, den eigenen Körper sowie Video und Film - werden in den nächsten Kapiteln in eigenen Akzentsetzungen dargelegt.
So diskutiert der dritte Teil künstlerische Vorstellungen vom Künstleratelier, wie sie u.a. Dieter Roth formuliert. Dabei zeigt von Bismarck einen grundlegenden Wandel im Atelier-Verständnis: von einer wiederbelebten romantischen Auffassung bei Bruce Nauman, der sein Atelier "als mit dem Körperinneren, der Seele, korrespondierende[n] architektonische[n] Raum" (101) thematisch macht, zu Lynda Benglis, Mierle Laderman Ukeles und Martha Rosler, die aus "geschlechtsspezifischen Annahmen über die Verortung des Ateliers innerhalb der Gesellschaft, im Verhältnis von Öffentlichem und Privaten und über die dort sich entsprechend vollziehende Arbeit" (13) ein anderes Verständnis vom Atelier entwickeln.
Der vierte Teil beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kunst und Körper der KünstlerInnen, genauer: es diskutiert das "demonstrative in eins Fallen von Körper und Werk" (14), und zwar sowohl im Blick auf Konzepte von Authentizität als auch in der Perspektive zentraler Hierarchien im Kunstfeld. Künstlerinnen wie Lynda Benglis und Elke Krystufek arbeiten sich dabei in je eigenen Akzentsetzungen an der normgebenden weißen männlichen Heterosexualität ab, wie dieses auf Künstlerseite Vito Acconci, Mike Kelley, Paul McCarthy und/oder Gilbert & George tun. Der fünfte Teil schließlich behandelt kuratorische, archivalische und filmische Praktiken, wie sie von Daniel Buren, Christian Boltanski, Gerry Schum oder Renée Green eingesetzt werden. In ihren Ansätzen vollzieht sich Autorenschaft prozessual, d.h. in ihnen werden die "Verhältnisse zwischen Rollen, Aufgaben und Positionen im Kunstfeld neu definiert. Unter Einbeziehung von Topoi des tradierten Künstlerbildes spielen sie gesicherte Annahmen und aktuelle Anforderungen gegeneinander aus, verbildlichen darin weniger, was Künstler/innen 'sind', als wie sie dazu werden und was sie sein könnten." (15)
Im Anschluss an diesen letzten Teil wäre aus der Sicht des Rezensenten eine knappe Zusammenfassung nützlich gewesen. Sie hätte das reiche Material des Buches und die thematischen Fäden, die es durchziehen, bündeln können. Gelungen wie beeindruckend im Buch ist die Verbindung von Werk- und Diskursarbeit, die beide in ein offenes Gespräch gesetzt sind. In der Zeit der Wiederkehr des Künstlers [1] hat Beatrice von Bismarck ein gutes wie nützliches Buch geschrieben, da es falschen Ansprüchen im Kunstfeld - von welcher Seite auch immer - entgegentritt.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu die gleichnamige Tagung am 4.- 6. März 2010 an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Claus Volkenandt