Mark Häberlein / Christian Kuhn / Lina Hörl (Hgg.): Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (ca. 1250-1750) (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 20), Konstanz: UVK 2011, 220 S., 3 Farb., 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-86764-254-5, EUR 29,00
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Die Erforschung der Sozialgeschichte spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte kann auf eine lange Tradition und eine Fülle einschlägiger Publikationen verweisen. Ob durch den bislang eher weniger gebräuchlichen Zugang über die Generationenforschung neue Erkenntnisse über die vormoderne Stadtgeschichte gewonnen werden können oder zumindest unser Bild von der urbanen Gesellschaft in diesen Jahrhunderten nuancenreicher wird, ist die Kernfrage, die an den vorliegenden Sammelband zu stellen ist. Die Antwort lautet: Es kann gelingen, aber nicht jedes Sujet eignet sich für den generationengeschichtlichen Ansatz.
Historische Generationenforschung kann sich in vertikal-diachroner Betrachtung mit den Konflikten und Transformationsprozessen zwischen den Generationen oder in horizontal-synchroner mit der Ausprägung eines zeittypischen Bewusstseins im Sinne Karl Mannheims befassen. Sie kann die jeweiligen Akteure, ihre Intentionen und Selbstdeutungen wie auch die historiographische Verwendung und Instrumentalisierung des Generationenbegriffs untersuchen. In jedem Fall geht es um das Konstrukt der generatio, das die Wahrnehmung historischer Ereignisse lenkt. Daher wäre es hilfreich, den einzelnen Fallstudien eine allgemein akzeptierte Begriffsdefinition zu Grunde zu legen. Das lässt der aktuelle Forschungsstand jedoch noch nicht zu, und daher ist es nur konsequent, dass sich die Herausgeber dazu entschlossen haben, kein bestimmtes Generationenkonzept vorzugeben. Die Autoren hatten die Freiheit, unterschiedliche Ansätze zu wählen und somit "empirisch die Tragfähigkeit generationengeschichtlicher Forschungsansätze" (20) auszuprobieren.
In einigen Fällen erweisen sich diese Ansätze als wenig fruchtbar. So trägt die Verwendung des Begriffs "intergenerationelle Übertragung" letztlich kaum zu einem besseren Verständnis der an sich sehr überzeugend dargelegten komplexen Inklusions- und Exklusionsprozesse konvertierter Juden im spätmittelalterlichen Trani bei (Benjamin Scheller). Auch die kompetente Analyse der Konflikte von Universitätsangehörigen und Bürgern im spätmittelalterlichen Ingolstadt und ihre Interpretation vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes zwischen den besonders privilegierten Korporationen 'Stadt' und 'Universität' (Maximilian Schuh) gewinnt durch den Hinweis auf den zusätzlichen Gegensatz von Jung und Alt nur wenig. Ähnliches gilt für die Beiträge von Britta Schneider (Fuggersche Generationenkonflikte vor Gericht) und Pia Claudia Doering (Der gesellschaftliche Aufstieg des Corneilleschen Helden im Kontext des Generationenkonflikts).
Das Patronagesystem im Florenz der Renaissance mit Hilfe eines auf Grund der Verschmelzung von Heiligen- und Familienkult letztlich transzendentalen Modells von Vater-Sohn-Beziehungen zu beschreiben, eröffnet dagegen eine neue Perspektive auf das Ordnungssystem der Medici (Heinrich Lang). Auch die knappe Skizze einer Interpretation der veränderten Rezeption von Johann Arndts "Büchern vom wahren Christentum" (Corinna Flügge) und die Untersuchung des Zusammenlebens in Witwenhaushalten im spätmittelalterlichen Ravensburg (Gesa Ingendahl) als Generationenphänomene zeigen, dass dieser Zugang zu interessanten, die wissenschaftliche Diskussion anregenden Thesen führen kann. Der generationsgeschichtliche Ansatz erlaubt es außerdem, längst bekannte Quellen neu zu sehen und nicht nur intensiver, sondern auch ertragreicher zu interpretieren. Das belegen die in jeder Hinsicht überzeugenden Beiträge von Mark Häberlein zur Familienkorrespondenz Augsburger Patrizier und von Christian Kuhn über den Generationendiskurs in den Werken von Leon Batista Alberti und Christoph Scheurl.
Der Nutzen dieses Sammelbandes liegt vor allem darin, die bunte Vielfalt dessen, was gegenwärtig unter dem Etikett "Generationenforschung" läuft, vor Augen zu führen. Gleichzeitig haben die Herausgeber den Beweis erbracht, dass der generationengeschichtliche Ansatz auch für die Vormoderne fruchtbar sein kann. Der Band macht aber auch deutlich, wie notwendig die Entwicklung eines allgemein akzeptierten Generationenkonzepts ist, denn ohne eine solche Basisdefinition wird sich historische Generationenforschung über kurz oder lang dem Vorwurf der Beliebigkeit ausgesetzt sehen.
Peer Frieß