Rezension über:

Wencke Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung. Preußische und französische Städte und Regimenter im Krieg, 1870/71 und 1914-19 (= Historische Grundlagen der Moderne; Bd. 1), Baden-Baden: NOMOS 2010, 474 S., ISBN 978-3-8329-5941-8, EUR 89,00
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Rezension von:
Klaus-Jürgen Bremm
Historisches Seminar, Universität Osnabrück
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Klaus-Jürgen Bremm: Rezension von: Wencke Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung. Preußische und französische Städte und Regimenter im Krieg, 1870/71 und 1914-19, Baden-Baden: NOMOS 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/18960.html


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Wencke Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung

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Der Ansatz ist so ungewöhnlich wie ambitioniert. Gleich aus drei Perspektiven versucht sich die Marburger Historikerin Wencke Meteling an einer vergleichenden transnationalen Geschichte des Krieges von 1870/71 sowie des Ersten Weltkrieges. Dem neuesten konstruktivistischen Ansatz der Historiographie folgend geht es ihr dabei nicht um das, was tatsächlich geschehen ist oder gewesen sein könnte, sondern um die Wahrnehmung dieser Ereignisse. Meteling rekonstruiert in ihrer preisgekrönten Dissertation verschiedene zivil-militärische Wahrnehmungsräume in unterschiedlichen Epochen. Ihre Perspektiven erscheinen geschickt ausgewählt und gruppieren sich konsequent auf der mittleren Ebene des Geschehens. Nicht die großen Metropolen der Epoche nimmt sie in den Focus, sondern mittlere Städte wie Orléans, die renommierte cité de Jeanne d'Arc, oder die brandenburgische Garnisonsstadt Frankfurt/Oder. Dem entspricht auf militärischer Seite die Regimentsebene: Hier das in Frankfurt stationierte preußische Leibregiment Nr. 8 (im Krieg von 1870/71 und im Ersten Weltkrieg), dort das 76e régiment d'infanterie de ligne (im Ersten Weltkrieg dann das 131e régiment d'infanterie aus Orléans) sowie auf beiden Seiten die mittlere Führungsebene der Stabsoffiziere. Damit hofft die Autorin die übliche Dichotomie zwischen einer Geschichte von unten und dem immer noch wirksamen nationalen Narrativ großer individueller Entscheidungen und Schlachten zu entgehen. Analysiert werden sollen, so verspricht das Vorwort, vor allem die Mechanismen des Zusammenwirkens der einzelnen Lebenswelten auf beiden Seiten und in beiden Kriegen. Einen Vergleich im engeren Sinne wollte die Verfasserin jedoch nicht vornehmen, sondern spricht lieber von einer "konsequenten Perspektivierung".

So vielschichtig und interessant dieser multiple Ansatz auch auf den ersten Blick erscheinen mag, bei Lichte besehen kann Meteling nur wenig an neuen Erkenntnissen präsentieren. Vornehmlich auf der Grundlage von Regimentsgeschichten, Tagebüchern oder Memoirenliteratur, die sie teilweise durch bereits bekanntes Archivmaterial ergänzt, bestätigt die Verfasserin längst vorliegende Befunde oder konturiert sie immerhin schärfer. Viele ihrer Argumentationen beruhen auch nur auf der bekannten Forschungsliteratur.

Dass der Krieg von 1870/71 weder eine Vorstufe zum "Totalen Krieg" war, noch von den beteiligten Offizieren auf beiden Seiten als ein nationaler Konflikt wahrgenommen wurde, ist seit den Forschungen von Stig Förster, Jörg Nagler und Roger Chickering hinreichend belegt. Die preußischen Offiziere glaubten sogar noch, einen dynastischen Krieg zu führen und reagierten nach der Kapitulation des Kaiserreiches bei Sedan eher hilflos auf die Fortsetzung des Kampfes durch die neue französische Republik. Dass sich das in der so genannten Heimat gepflegte heroische Bild des Krieges im massiven Feuer moderner Waffen rasch verflüchtigte und die Überlebenden der militärischen Anfangsdesaster schließlich sogar Mitleid mit dem in Metz eingeschlossenen Gegner empfanden, mag man als eine interessante Facette des Geschehens bewerten, trägt aber kaum zu einer historiographischen Neubewertung des Geschehens bei. Der Leser folgt der Autorin durchaus mit Interesse in das zweimal besetzte Orléans und erfährt dabei, wie unterschiedlich manche Bewohner Bayern und Preußen gesehen haben und mit welcher propagandistischen Vehemenz sich die cité de Jeanne d'Arc dem späteren Vorwurf entgegen stemmte, sie sei dem ihr anvertrauten Erbe der Nationalheiligen im Kampf gegen Preußen-Deutschland nicht gerecht geworden.

Ähnliche mentale Mechanismen der Verarbeitung einer schmerzlichen Niederlage wirkten nach dem Waffenstillstand von 1918 gleichfalls auf deutscher Seite und regional natürlich auch in Frankfurt, wo man die heimkehrenden Verbände, die kaum noch mit den Regimentern von 1914 vergleichbar waren, als tapfere und unbesiegte Verteidiger des Vaterlandes empfing. Die tatsächlichen Zusammenhänge des Zusammenbruches, die rasante Erosion der Kampfkraft und das Versagen der zivil-militärischen Führungsschichten vermochte man zunächst weitgehend auszuklammern.

Das alles ist keineswegs falsch, aber wiederum auch nicht so neu, dass es als Substanz einer wissenschaftlichen Studie durchgehen könnte. So vermag Meteling zwar plausibel aufzeigen, dass im Sommer 1918 nicht, wie im Anschluss an Wilhelm Deist gerne behauptet wird, auf deutscher Seite ein heimlicher Militärstreik stattgefunden habe, sondern vielfach Kompanien und Bataillone sogar unter Führung ihrer Offiziere geschlossen in alliierte Gefangenschaft gegangen sind. Doch auch diese Erkenntnis hat die Autorin von dem Briten Alexander Watson (Enduring the Great War) übernommen, so dass man sich einmal mehr nach der genuinen Erkenntnisleistung ihres Textes fragen muss. Es ist nirgendwo erkennbar, auf welche zentralen Fragestellungen Meteling mit ihrer Arbeit eine Antwort bietet. Sie greift viele Themen auf, ohne dass eine Richtung erkennbar wird. Einiges grenzt sogar ans Banale, wenn sie etwa schreibt, dass das Kriegsende 1919 in Orléans ausgelassener und prächtiger gefeiert wurde als in Frankfurt. Entscheidend aber ist, dass Multiperspektivität nicht immer zu mehr Klarheit führt. Es gelingt Meteling zum Schluss nicht, die Vielzahl ihrer Befunde zu der von ihr angekündigten Gesamtschau zu verdichten. Zu groß ist auch der Spagat zwischen dem letzten Einigungskrieg und dem Ersten Weltkrieg. Beide Themenkomplexe stehen bei ihr eher unvermittelt nebeneinander. Zwar zogen die Truppen von 1914 noch mit dem Kriegsbild von 1870 in den Kampf - und die Franzosen sogar noch mit ihren roten Hosen - doch tatsächlich waren beide Kriege nicht nur durch 43 Jahre voreinander getrennt, sondern bereits durch die beginnende Moderne. Eine Beschränkung auf nur einen Krieg hätte daher vielleicht geholfen. Ihren hohen Anspruch auf eine "integrative Kriegs- und Militärgeschichte" konnte Meteling so jedenfalls nicht einlösen.

Klaus-Jürgen Bremm